Filmische Spurensuche: Ein Zimmer in Galizien
Der polnische Schriftsteller Bruno Schulz, Autor der berühmten "Zimtläden", schuf kurz bevor er 1942 von der SS ermordet wurde märchenhafte Wandbilder. In Berlin rekonstruiert der Filmemacher Benjamin Geissler nun die anrührenden Fresken.
Am Anfang sieht man nur schmutzfleckige Wände, ein paar Schatten, die darauf hindeuten, dass hier etwas übermalt wurde. Dann tauchen Bilder auf, Märchenbilder: ein Reiter, eine Königin, Zwerge, ein Wald. Aber schnell, wie von Zauberhand, verschwinden diese Bilder wieder, jemand hat sie mitsamt des Putzes, auf die sie gemalt wurden, abgenommen. Zurück bleibt nur das nackte Ziegelwerk. Im Hintergrund erklingen ein paar Chopin-Akkorde. Dann erscheinen wieder die schmutzfleckigen Wände.
Wir befinden uns in der „Bilderkammer des Bruno Schulz“, einer Installation des Filmemachers Benjamin Geissler, die derzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Sie rekonstruiert einen Raum im Haus des SS-Hauptscharführers Felix Landau in Drohobycz, der galizischen Heimatstadt des 1892 geborenen Malers und Schriftstellers Bruno Schulz. Drohobycz zählte vor dem Zweiten Weltkrieg 36 000 Einwohner, davon war die Hälfte jüdischen Glaubens. Überlebt haben von ihnen ganze 400.
Selbst an Massenerschießungen beteiligt, hielt sich der kunstsinnige Landau den Autor eine Weile als „Leibsklaven“. Schulz, als dessen Meisterwerk „Die Zimtläden“ gelten (2008 im Carl Hanser Verlag von der soeben verstorbenen Doreen Daume großartig neu übersetzt), archivierte Bücher für ihn und brachte in seinem Auftrag auch in der Reithalle und dem Casino des Ortes Wandgemälde an.
Erhalten blieb davon, so meinte man lange Zeit, nichts. Bis dann im Jahr 2001 Benjamin Geissler eben jenes Märchentableau entdeckte. Es schmückte das Spielzimmer des von Landau requirierten ehemaligen Gendameriegebäudes von Drohobycz. Hier lebte er mit seinen zwei Kindern und seiner Geliebten, der Tänzerin Gertrud Segel. Diese ist denn auch im Spielzimmer als Königin dargestellt, gleich neben dem stattlichen Reiter – vermutlich Landau selbst.
Was aber steckt hinter den anderen Bildern, fragt man sich unvermittelt, wer ist die alte gebückte Frau dort? Ähnelt sie nicht Schulz’ Mutter? Was hat die zum Sprung bereite, riesenhafte Katze zu bedeuten? Und dieser Wald, der wie ein Schlusspunkt dasteht, gleich rechts neben dem Fenster, ist das der Wald von Bronica, in dem die meisten der vielen tausend vor Ort ermordeten Juden verscharrt wurden?
Ob solch eine allegorische Bedeutung intendiert war, ob Schulz seine eigene Geschichte als Subtext in das Spielzimmer hineingeschmuggelt hat, lässt sich nicht mehr mit Gewissheit sagen. Er selbst wurde 1942 auf offener Straße erschossen. Die Frage, ob es sich bei dem Märchentableau um eine geschlossene Erzählung handelt, lässt sich überhaupt nur aufgrund der Filmaufnahmen beantworten, die Geissler in Drohobycz gemacht hat und die nun, sich allmählich überlagernd, auf die Wände des dem Spielzimmer nachempfundenen Ausstellungsraums projiziert werden.
Nach der Entdeckung des Tableaus nämlich haben Mitarbeiter der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem drei der Bilder abgetragen und ohne Genehmigung nach Israel verbracht. Ukrainische Restauratoren entfernten weitere fünf. So klaffen jetzt riesige Löcher im Putz. Weitere Leerstellen, weitere Wunden in einer von der Geschichte geschundenen Gegend.
„The Picture Chamber of Bruno Schulz.“ Mobile Installation von Benjamin Geissler, Martin-Gropius-Bau, Südseite im Glas-Zelt, Niederkirchnerstraße 7, täglich 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei. Der Katalog mit Texten von Juri Andruchowytsch und anderen kostet 25 €.
Tobias Lehmkuhl
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