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Das Zweig-Haus in Petrópolis ist heute ein Museum, das Besuchern offen steht.
© picture alliance / dpa

Stefan Zweig in Brasilien: Die Ruhestätte

Für Stefan Zweig war Brasilien das Land der Zukunft. Auf der Flucht vor den Nazis fand der Schriftsteller Asyl im ruhigen Petrópolis. Ein Besuch in seinem Wohnhaus.

Montag, der 23. Februar 1942. Der französische Architekt Alfred Agache befindet sich auf dem Rückweg nach Rio de Janeiro. Der exilierte Jude hat nach dem Karneval ein paar Tage Ruhe im 50 Kilometer entfernten Petrópolis gesucht, wie viele tauschte er die Hitze der Stadt gegen die kühle Bergluft ein.

Nun tuckert sein Auto die Straße entlang, da bemerkt er im Garten des Schriftstellers Stefan Zweig ungewöhnlich viele Menschen. Als Agache sich der Rua Goncalvas Dias 34 nähert, informiert ihn ein Polizist, dass der berühmte Österreicher und seine Frau Lotte sich das Leben genommen haben. Alfred Agache ist einer der Ersten, der diese Nachricht nach Rio trägt.

Mehr als 70 Jahre später kann man sich vorstellen, wie der Stadtplaner an der kleinen Steinbrücke im Viertel Valparaiso hielt, den Blick hügelaufwärts gerichtet, hinauf zum weißen schlichten Bungalow der Zweigs. Wenig hat sich an dem Gebäude verändert, am von Hand bemalten Türknauf mit dem Rosenmotiv haben schon die Zweigs gedreht.

Das Innere ist vor zwei Jahren entkernt worden. Im letzten Wohnhaus hat eine private Stiftung eine Gedenkstätte für Stefan Zweig eingerichtet, den Weltschriftsteller, dessen Ruhm romanhafte Biografien („Marie Antoinette“) und Novellen („Brennendes Herz“) begründeten. Heute gehen Touristen über das Grundstück, Österreicher, Deutsche, Brasilianer.

Der Hund hustet mit

Erst einmal geht es treppauf, steil nach oben. Rechts an der Mauer entlang, nicht links in einem Zickzackweg zur Veranda hoch, wie der Weg zu Zweigs Zeiten angelegt war, als das Ehepaar das Domizil bezog. Das war im September 1941, der Autor bereits 60 Jahre alt und von Strapazen einer jahrelangen Flucht gezeichnet.

In seinen Briefen an Freunde und Verwandte beklagt er sich nicht über körperliche Gebrechen, nur über die nachlassende Gesundheit seiner Frau. Sie leidet unter Asthma. Stefan Zweig schreibt, dass sie nachts vom Husten geschüttelt werde, und ein Hund aus der Nachbarschaft auf jeden Anfall mit Gebell antworte. Eine Tonbandstimme liest Auszüge dieser Briefe vor, wenn Besucher auf dem versiegelten Holzfußboden im früheren Wohnzimmer stehen.

Die ursprüngliche Aufteilung der Zimmer ist nicht mehr erhalten. Ein größerer Raum beschreibt mit Exponaten das brasilianische Exil, ein kleinerer ist dem Tod des Ehepaars gewidmet. Die Besucher müssen sich das Leben wie auf einer weißen Leinwand im Kopf ausmalen.

Die erste Planstadt Brasiliens

Für den Schriftsteller muss dieser Rückzug ein Verlust gewesen sein. Stefan Zweig wurde in eine reiche jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. Er unterhielt bis 1934 ein palastähnliches Anwesen in Salzburg, flüchtete dann vor den Nazis erst nach England, wo er sich in Bath noch ein hübsches Häuschen leistete, und schließlich 1941 nach Brasilien, wo ihn die Regierung begeistert aufnahm, weil er kurz zuvor das Buch „Brasilien. Ein Land der Zukunft“ geschrieben hatte. Eine Verklärung, wie viele Kritiker ihm vorwarfen, denn Zweig verschwieg in seiner Lobeshymne, dass Brasilien eine Militärdiktatur war.

Petrópolis, von Rio zwei Stunden mit der Bahn entfernt, liegt auf 800 Meter Höhe in der Serra. Es war die erste Planstadt des jungen Brasiliens. Kaiser Pedro II. ließ sie ab 1843 von deutschen Auswanderern als Sommerresidenz erbauen, bis heute heißen einige Viertel Ingelheim, Mosel und Bingen, es gibt eine Herberge namens Altenheim Pousada und einen deutschen Gesangsverein.

Schon bei seinem ersten Aufenthalt in Rio 1936 reiste Zweig in die Kaiserstadt hinauf, ein europäischer Fleck in den tropischen Bergen, er speiste mit dem österreichischen Gesandten und schloss einen „Pakt fürs Leben“ mit dem Ort, wie Biograf Alberto Dines schreibt.

Als Zweig 1941 endgültig ins Land kommt, beauftragt er seinen brasilianischen Verleger Abrahão Koogan, ein Häuschen in Petrópolis zu finden – mitten im atlantischen Urwald, der sattgrün an den Hängen des Ortes klebt. „Bei aller Primitivität nur endlich nicht im Hotel wohnen und vier, fünf Monate keinen Koffer mehr sehen!“ Das schreibt er am 10. September 1941 an seine erste Frau Friderike, immer noch eine enge Vertraute. Sieben Tage später: „Heute glücklich übersiedelt.“

Die Angst vor den Nazis erreicht ihn in Brasilien

Stefan und Lotte Zweig in den 1940er Jahren.
Stefan und Lotte Zweig in den 1940er Jahren.
© picture alliance / dpa

Der Bungalow besitzt eine Veranda, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Büro, ein Bad und eine Küche. Die Wohnfläche beträgt etwa 50 Quadratmeter, im Hof wohnen Angestellte, „rührend hilfswillig … zwei Mädchen und Gärtner, der die Wege macht, 5 Dollar im Monat!“ In Petrópolis muss das Ehepaar den Alltag neu organisieren. Lotte Zweig schreibt Ende September: „Für mich ist das Leben im Moment ein bisschen schwierig, weil ich in meinem schwachen Portugiesisch einer Bediensteten, die nichts vom Kochen versteht, das wenige erklären muss, was ich davon verstehe.“

Am 28. November 1941 feiert der Schriftsteller seinen 60. Geburtstag, Lotte schenkt ihm eine französische Werkausgabe von Balzac, seine erste Frau Friderike schickt per Post Bücher von Montaigne. Tagelang empfängt das Paar ansonsten kaum Besuch. „Ein Minimum von Aufregung für einen Menschen, der die Besten seiner Zeit um sich geschart hatte“, schreibt Zweig. Und: „Es ist für ruhige Menschen ein Paradies (hätte es nur mehr Bücher!).“

Die Stufen hinauf zum Bungalow führen heute an einem großen Schachbrett mit kindsgroßen Figuren vorbei. Sie erinnern an die „Schachnovelle“, das letzte Werk, das Zweig in Petrópolis beendete und das posthum erschien. Es erzählt von einem jüdischen Arzt, der nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich aus Wien nach Buenos Aires flieht. Oben auf der Veranda wacht eine Pappmaché-Figur von Stefan Zweig, eine Aufnahme, die ihn 1936 zeigt: ein strahlender Mann mit Mütze.

Kein Karneval in Rio

Fünf Jahre später beunruhigen ihn die Nachrichten vom Krieg. Er leidet schon seit seiner Zeit in Bath unter Depressionen. Der Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 stürzt Zweig in Verzweiflung: Bald werden die Nationalsozialisten Lateinamerika, auch Brasilien angreifen.

Im Februar ist in Rio Karnevalszeit. Das Ehepaar fährt im Auto mit dem Verleger hinunter in die Stadt, wieder gibt es erschreckende Neuigkeiten: Die britische Kronkolonie Singapur fällt an die Japaner, die Deutschen kämpfen in Nordafrika. Stefan Zweig entscheidet sich, einen Tag nach seiner Ankunft wieder nach Petrópolis zurückzufahren – als würde dieser Bungalow ihm mehr Schutz bieten als die bevölkerten Straßen von Rio. Am Aschermittwoch greift ein deutsches U-Boot zum ersten Mal einen brasilianischen Frachter an, ein Matrose stirbt dabei. Zweig sieht seine Sorgen bestätigt.

Am Samstag darauf klingelt das Telefon. Wenn man der Videorekonstruktion in der Casa Zweig trauen darf, hing es links an der Wand, ein Gerät mit Wählscheibe und großem Hörer. Domenico Braga, ein Freund aus Paris, will die Zweigs am Sonntag, den 22. Februar, besuchen. „Morgen habe ich zu tun“, sagt der Hausherr. „Und in der nächsten Woche?“ – „Werden wir nicht hier sein.“

Abschiedsbrief an der Wand

Das Schlafzimmer ist das Gruselkabinett des Hauses. Auf neun Quadratmetern standen hier zwei kleine Nachttische und zwei aneinandergeschobene Betten der Marke „Faixa Azul“, am Kopfende ein Metallgestell wie im Krankenhaus. Eine Bank erinnert nun an das Möbel, in dem sich das Ehepaar Zweig vergiftete, in der Nacht vom Sonntag auf den Montag.

Suizid, so hält es der Polizeibericht am 23. Februar fest. Kommissar Rattes entdeckt den Abschiedsbrief. An der Wand des kahlen Schlafzimmers hängt er im kleinen Museum. Declaração, steht auf Portugiesisch in der Kopfzeile: Erklärung. Dann fährt Zweig auf Deutsch fort. Aus freien Stücken scheide er aus dem Leben, er danke Brasilien für seine Gastfreundschaft, aber die „langen Jahre heimatlosen Wanderns“ haben ihn erschöpft. Er kann und will nicht noch einmal neu anfangen. Aufrecht möchte er gehen. „Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“

Informationen über das Haus der Zweigs unter www.casastefanzweig.org

Übernachtung in Petropolis zum Beispiel in der ruhigen Pousada da Alcobaca, www.pousadadaalcobaca.com.br

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