Simon McBurney an der Schaubühne: Gefangener der Wälder
Als Simon McBurney anfing, Theater zu machen, wurde er als Wunderknabe und neuer Peter Brook gefeiert. Ein Träumer, der die großen Fragen stellt. An der Schaubühne zeigt er nach langer Berlin-Pause seine neue Amazonas-Performance - ein Stück über das Alleinsein.
Mutig, ein Work in Progress zu zeigen. Schließlich präsentiert sich der Künstler dabei quasi halbnackt und verletzlich. „Könnte auch dumm sein“, kontert Simon McBurney trocken und blickt einen sanft belustigt an. Okay, Punkt an ihn. Der Versuch, den britischen Theatermacher mit Schmeichelei einzufangen, ist schon mal ins Leere gelaufen. McBurney, Gründer des berühmten Theatre de Complicité, stellt auf dem Festival Internationale Neue Dramatik der Schaubühne eine Rohversion seiner jüngsten Arbeit „Amazon Beaming“ vor.
„Vielleicht hatte ich gar keine Wahl, ob ich nach Berlin komme oder nicht“, sagt McBurney. „Womöglich gibt es keinen freien Willen, und unsere Handlungen sind nur die Konsequenzen äußerer Ereignisse.“ Er habe ja auch keinen Einfluss darauf gehabt, dass sein Vater seine Mutter schwängerte. Diese Kette von Kausalitäten ließe sich mühelos zurückverfolgen über die Reptilien und die Protoerde bis zum Big Bang. Wow. Man erwartet einen Theatermacher und trifft einen Existenztheoretiker. Wobei man das andererseits hätte wissen können. Seine Arbeiten waren ja stets von diesen kindlichen Forscherfragen angestachelt, die ans Eingemachte gehen: Kann die Fantasie Tote zum Leben erwecken? Was ist Zeit? Vor allem: Wie funktioniert Erinnerung?
Simon McBurney wurde als neuer Peter Brook gefeiert
Der Schauspieler und Regisseur Simon McBurney ist mittlerweile Ende 50. Das Haar unter der speckigen Baseballkappe, die er während des Gesprächs gelegentlich abnimmt, um sich den Kopf zu kratzen, ist ein bisschen schütter geworden. Vor über 20 Jahren wurde der Mann von der britischen Presse als Wunderknabe und neuer Peter Brook gefeiert. Die Vergleiche hat er längst hinter sich gelassen. McBurney-Premieren spielen in ihrer eigenen Liga.
Es sei „legendär schwierig“, ihn zu einer verbindlichen Zusage zu bewegen, bekennt der Künstler. Zumindest, wenn er inszenieren soll. Vor die Kamera bekommt man ihn schon leichter, McBurney ist auch ein gefragter Filmschauspieler, zwischen Arthouse und Blockbuster. Das reicht vom John-Le-Carré-Thriller „Dame, König, As, Spion“ über Woody Allens „Magic in the Moonlight“ über das Stephen-Hawking-Biopic „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ bis zum fünften Teil der „Mission Impossible"-Reihe. Er zählt zu denen, die auch in Nebenrollen allein durch Präsenz und Charaktergesicht Mittelmaß veredeln können.
Ewig her, dass eine McBurney-Inszenierung in Berlin zu sehen war. Vor zehn Jahren lief „Maß für Maß“ im Rahmen der mittlerweile abgeschafften Spielzeit Europa. Er sei schon lange mit Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier im Gespräch über eine Inszenierung gewesen, erzählt McBurney. Seine Performance könnte ein Anfang sein.
Jenseits aller Zivilisation
„Amazon Beaming“ basiert auf Erlebnissen des amerikanischen Fotografen Loren McIntyre, der im Auftrag des „National Geographic“ aufbricht, um den Ursprung des Amazonas zu entdecken. Dabei trifft er auf den indigenen Stamm der Mayoruna, mit denen er sich tief in die südamerikanischen Wälder begibt. „Seine Kamera wird von einem Affen gestohlen, McIntyre steht mit nichts da, er kann den Mayoruna auch nicht verständlich machen, dass er in sein Camp zurück will. Er wird eine Art Gefangener“, so McBurney.
Der zugrunde liegende Roman erzählt von dem Monat, den McIntyre jenseits aller Zivilisation zugebracht hat. Autor dieser im Kern philosophischen Abenteuergeschichte ist der rumänische Schriftsteller Petru Popescu. McBurney hat ihn getroffen, Popescus Stimme wird auch in der Aufführung zu hören sein. „Er hatte eine Beziehung zu Ceausescus Tochter, weswegen er aus Rumänien in die USA fliehen konnte“, beschreibt der Brite dessen bewegte Lebensgeschichte. In Los Angeles schlug sich der Exilant zunächst als Drehbuchautor durch. Unter anderem schrieb er das Skript zum dritten Teil der Horrorsaga „Freitag der 13.“.
Theatre de Complicité: von Sonderlingen bevölkert
Der Theatre de Complicité-Kosmos war immer schon bevölkert von Sonderlingen, Außenseitern und Einsamen. „Street of Crocodiles“ hat die „Zimtläden“-Erzählungen des galizisch-jüdischen Schriftstellers Bruno Schulz in eine bildgewaltige Traumwelt von berührender Verlorenheit übersetzt. „Die drei Leben der Lucie Cabrol“ erzählte nach John Berger die Geschichte einer kleinwüchsigen, von der Gesellschaft ausgestoßenen Bäuerin. Und „Mnemonic“ hatte als Motiv das einsamste Wesen der Welt. Den Eismann Ötzi.
Um Einsamkeit geht es auch in „Amazon Beaming“. Das Publikum bekommt Kopfhörer, was aus einer Gemeinschaft lauter Einzelgänger macht. „Warum interessiert mich das Alleinsein“, fragt McBurney: „Weil es ein Charakteristikum unserer Zeit ist, die individuelle Erfahrung über alles zu stellen. Diese Selbstbesessenheit ist aber eine Falle der westlichen Kultur.“ Er ist nicht nur ein Träumer, sondern auch ein Homo Politicus. Einer, der von der eigenen Punksozialisation, dem fatalen Siegeszug des Neoliberalismus und der Weltverbundenheit indigener Völker erzählt. Und dabei kitschfrei auf das eigene Wirken blickt. „Ich habe unentwegt anderes versucht“, sagt er. „Ich spiele in Filmen. Ich schreibe für den ‚Guardian'. Ich habe den Amazonas bereist. Aber ich bin in der Lage, Theater zu machen. Die Leute wollen es sehen, man bezahlt mich dafür. Also mache ich weiter.“
Fr, 17.4., 19 Uhr, Sa, 18.4., 18 Uhr + So, 19.4., 15 Uhr (Sa + So mit deutschen Übertiteln) an der Schaubühne
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