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Erst mal abtauchen. Klaus Florian Vogt (Mitte) soll als Parsifal im Hamam verführt werden.
© Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

"Parsifal"-Premiere in Bayreuth: Kreuze regnen herab

Wenig Glaube, wenig Weihe: Uwe Eric Laufenbergs spielt beim „Parsifal“ mit religiösen Symbolen. Zur Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele.

Ganz hoch oben sitzt er, in der Kuppel eines christlichen Sakralbaus. Sein Gesicht lässt sich nicht erkennen, aber ihm scheinen sämtliche Haare ausgegangen zu sein. Auf einem Stuhl harrt er unbeweglich aus und blickt auf das, was unten Schutz sucht. Feldbetten füllen den Kirchenraum, für eine Nacht hat er auch denen Obdach gegeben, die nicht an den menschgewordenen Gott glauben. Jetzt wird zusammengeräumt, und ein paar versprengte Soldaten fuchteln mit ihren Maschinengewehren umher. Der neue Bayreuther „Parsifal“ beginnt dort, wo das Christentum bedroht ist, wo es endgültig zum Verschwinden gebracht werden soll, in Mossul oder anderswo im Irak etwa.

Ein Szenario, das auf eine spürbar beklommene Festspiel-Gemeinde trifft. Unmittelbar vor Aufführungsbeginn macht die Meldung die Runde, dass der Anschlag von Ansbach wohl einen islamistischen Hintergrund hat. Muss hier am Grünen Hügel jetzt mit Straßensperren und Polizeihunden die Freiheit unserer Kultur verteidigt werden? Und was hieße das überhaupt? Auf keinen Fall feiern, es gibt keinen roten Teppich in diesem Jahr, und auch die bayrische Landesregierung hat ihren Staatsempfang abgesagt.

Selbst Festspielchefin Katharina Wagner und ihr Musikchef Christian Thielemann sind nirgends zu sehen. Die Show um Wagner, so scheint es, vermisst niemand ernsthaft. Dafür plaudern die Festspiel-Gäste auffallend oft mit den reichhaltig aufgebotenen Polizisten. Eine verunsicherte Zivilgesellschaft, nachmittags in Smoking und Abendkleid, schwitzend unter der drückenden fränkischen Schwüle.

Blut oder Wein, was wird gereicht?

Was Regisseur Uwe Eric Laufenberg dem Premierenpublikum anbietet, soll angeblich einer Konzeption für die Kölner Oper folgen, die er dort dann nicht mehr umsetzen konnte. Jedenfalls, das merkt man schnell, ist der fürsorglich-brüderliche Auftakt schnell vorbei. Und es rückt unübersehbar in den Vordergrund, was für eine seltsame Gemeinschaft diese Gralsritter doch sind. Sie zwingen ihren sündigen Anführer Amfortas dazu, für sie zu bluten, sie gieren nach seinem Blut, das doch nicht rein ist, als wäre er Christus. Einar Schleef hat in seinem furiosen Traktat „Droge Faust Parsifal“ nachgewiesen, dass Wagner selbst ins Schleudern kommt bei der Frage, ob nun Blut oder Wein gereicht werde bei seinem Bühnenweihfestspiel. Vor den blutverschmierten Lippen, die Schleef zu den Gralsrittern in den Sinn kamen, schreckt Laufenberg dann doch zurück. Trinken ja, aber besoffen sein, danke nein.

So eiert der Abend hin, zeigt einen rasanten Zoom aus der Kirchenkuppel ins All und weiter bis an die Grenze unseres Sonnensystems, während Wagners Verwandlungsmusik „Zum Ort wird hier die Zeit“ erklingt. Plötzlich schwingt in ihr etwas imperial Sternenkriegerisches mit, das man so auch noch nie vermisst hatte. Das im „Parsifal“ stets prekäre Hantieren mit Speeren, Trinkgefäßen und Kreuzen erlebt im zweiten Aufzug seinen unfreiwillig komischen Höhepunkt in Klingsors Zauberschloss: Auf einmal lässt der ewige Widersacher und Kreuzfetischist eine ganze Wagenladung des christlichen Symbols herniederregnen. Ein Kreuz aber muss sich dabei verklemmt haben – und erschlägt dann beinahe den nachrückenden Parsifal. Das sagt viel über den Reflexionsgrad der Regie, die die Blumenmädchen ungeniert in Bauchtanzkostüme steckt, denn Parsifal soll heuer im Hamam verführt werden. Kein Wunder, dass Klaus Florian Vogt erst mal gründlich im Wasserbecken untertaucht.

Die Regie enthemmt sich weiter

Doch es hilft nichts, die Regie enthemmt sich weiter, weil ihr ein starkes Schlussbild vorschwebt, etwas von Weltuntergang und Neubeginn, wie es sonst nur in der „Götterdämmerung“ akzeptiert wird. Der Kirchenraum weitet sich, die Nebelmaschinen pumpen, plötzlich aufgelaufene Repräsentanten der monotheistischen Religionen werfen umstandslos die Attribute ihres Glaubens in Titurels Sarg. Und dann geht man durch den Nebel einer Zukunft entgegen, die weniger Religion wagt. Nicht, dass das kein hehres Ziel ist. Nicht, dass das nicht nach Bayreuth gehört. Doch das Wesen des Religiösen müsste jenseits vom Schauerkitsch schon ernst genommen werden, um hier auch ans Ziel gelangen zu können.

Kurz denkt man an Jonathan Meese, der ursprünglich einmal diesen „Parsifal“ hätte inszenieren sollen. Bei ihm gäbe es keine kleinen blauen dirigierenden Plastik-Wagner am Grünen Hügel. Dafür überall schöne Wimpel und Standarten, seinen „Erzparsifal“ feiernd. Vielleicht hätte sich Meese gar auf dem Balkon gezeigt und jenen Gruß entboten, über den Gerichte entschieden haben, dass er mit der Kunstfreiheit doch vereinbar ist. Wie aber soll man das der weltweiten Streaming-Community in diesem Jahr erklären? Meese in Bayreuth, das hätte die komplette Anarchie der Kunst werden können. Dazu fehlte offensichtlich der Mut. Der geschasste Künstler hat ihn im Übermaß bewiesen, als er Hitler die letzte gelungene Inszenierung am Grünen Hügel schimpfte.

Haenchens Dirigat ist dem dramatischen Erzählen verpflichtet

Nun hat Bayreuth mit seinem „Parsifal“ eine Menge zu tun die nächsten Jahre, sollte es die oft beschworene Opernwerkstatt hier noch geben. Laufenberg darf zur Komplettentrümpelung antreten, während es hoffentlich ein Wiederhören mit dem Pult-Einspringer Hartmut Haenchen gibt. Haben die tragischen Umstände in diesem Jahr das „Fest“ aus Wagners Bühnenweihfestspiel getilgt, streicht der 73-jährige Maestro von sich aus komplett die „Weihe“. Sein Dirigat zielt auf keinen esoterischen Gewinn, es ist stark und eigensinnig ganz dem dramatischen Erzählen verpflichtet, nicht der kontemplativen Ausdeutung des Geschehens. Für einen Regisseur, der weiß, was er tut, wäre Haenchen der ideale Partner. Er schleppt nie und hält dabei engsten Kontakt zum phänomenalen Gurnemanz von Georg Zeppenfeld, der dieser oft betulichen Rolle eine neue Dimension an Vergegenwärtigung abgewinnt.

Vieles macht Haenchen hörbar, doch die feine Balance macht nicht vergessen, dass er auch an die dynamischen Grenzen seines tiefen Orchestergrabens stößt. Wie der hochgewachsene Dirigent selbst zuerst an Wagners Schalldeckel. So befreiend dieser konsequente Ansatz klingt, mit der Zeit wird deutlich, dass die Übernahme nach dem Abgang von Andris Nelsons schon sehr schnell gehen musste. Richtig spannend würde es, wenn Haenchen mit den Sängern und Musikern nun die Stellen findet, an denen sich auch einmal Emotionalität in der Musik zeigen darf. Das würde Lust darauf machen, diesem „Parsifal“ wieder zu begegnen.

Noch immer wird gerätselt, warum Nelsons ging

Apropos Andris Nelsons. Noch immer rätselt man am Grünen Hügel darüber, warum der Shootingstar seine Produktion nach regulären Urlaubstagen plötzlich verließ. Dabei kursiert auch die Version, Nelsons sei mit der Besetzung nicht zufrieden gewesen. Wenigstens eine Insider-These, die die Premiere zu widerlegen vermag. Neben Georg Zeppenfeld singt Elena Pankratova eine Kundry, die technisch sicher zum Feinsten gehört, was die Festspiele seit Langem zu bieten hatten. Was sie noch trennt von der absoluten Weltspitze, ist ihr nicht immer glücklicher Umgang mit den Worten, die beim Wagner-Theater nun mal unentbehrlich sind. Gewohnt umfassend souverän meistert Klaus Florian Vogt seinen Parsifal, beinahe wünscht man sich mehr Widerstand beim Singen, auf dass die Rolle noch prägnanter ausgeleuchtet werde. In der wirklich guten zweiten Reihe Ryan McKinny als Amfortas, Karl-Heinz Lehner als Titurel und Gerd Grochowski als Klingsor.

Bleibt die Frage: Wer ist der Mann in der Kuppel? Bayreuths unsichtbarer Musikgott Christian Thielemann, Wagners enttäuschter Kunstanwalt Jonathan Meese, Andris Nelsons, der gar nicht abgereist, sondern an einen Stuhl gefesselt wurde, so wie Troubadix an einen Baum? Wir wissen es nicht. Und glauben hier ohnehin besser an gar nix mehr.

Weitere Vorstellungen am 2., 6., 15., 24. und 28. August

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