Ulrike Folkerts im Interview zu "Chuzpe": „Komödie liegt mir, nur weiß das keiner“
Ihr Einstand auf der Berliner Theaterbühne: Fernsehkommissarin Ulrike Folkerts spielt die Hauptrolle in „Chuzpe“, das am Mittwoch im Theater am Kurfürstendamm Premiere feiert. Ein Gespräch.
Frau Folkerts, gerade haben Sie in Ludwigshafen einen „Tatort“ abgedreht, am Mittwoch hat nun „Chuzpe“ Berlin-Premiere. Sind Sie nicht zu platt, um gleich auf die Theaterbühne zu wechseln?
Das passt schon, da bin ich gleich auf dem richtigen Arbeitslevel. Was mich besonders freut, ist, dass die Autorin Lily Brett nach Berlin kommt. Sie versteht gut Deutsch und ist eine ganz besondere Persönlichkeit. Dass „Chuzpe“ nicht autobiografisch, sondern fiktiv ist, wie sie sagt, stimmt, glaube ich, aber nicht ganz.
Inwiefern?
Lily Brett lebt ja in New York und hat selbst einen inzwischen über 90-jährigen Vater, der all den Unfug angestellt hat, den wir im Stück erzählen. Deswegen war es auch besonders berührend, sie bereits im vergangenen Jahr in Hamburg kennenzulernen. Plötzlich konnte ich verstehen, wie die Frau, die ich in der Rolle der Ruth Rothwax versuche zu sein, zu dieser Stadtneurotikerin geworden ist – mit ewigen Gewichtsproblemen und einer Familienvergangenheit, in der der Holocaust immer eine Rolle gespielt hat. Im Stück geht es um Liebe, Leben, Essen und darum, dass der Vater das Leben der Tochter auf den Kopf stellt, die eine überkritische Bedenkenträgerin ist. Ganz im Gegensatz zu ihm, der das Leben genießt.
Im Frühjahr haben Sie bereits einen „Tatort“ mit dem improvisationsfreudigen Nachwuchsregisseur Axel Ranisch gedreht: wie lief es diesmal – ganz brav nach Drehbuch?
Teils teils. Regisseur Roland Suso Richter improvisiert auch, aber anhand eines Drehbuchs mit Dialogen. Axel hat ja ohne Dialoge gearbeitet, die haben wir für „Babbeldasch“, der Anfang nächsten Jahres ausgestrahlt wird, frei erfunden. Er hatte nur ein Bildertreatment. Bei „Der sprechende Tote“ über die Müllgeschäfte der Mafia hatten wir jetzt ein komplettes Drehbuch. Richter probt nicht, sondern dreht sofort und mit zwei Kameras. Er will den wahrhaftigen Moment einfangen, der so nur im ersten Take entsteht. Durch Richter und Ranisch bin ich schon fast Improvisationsprofi. Das macht tatsächlich frei.
Ihre Lena Odenthal ist die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin: Warum wird die Figur vom SWR nicht abgesägt?
Fragen Sie doch mal meine Chefin, Martina Zöllner. Sie will mich nicht austauschen, weil es gerade Mode ist, sondern im Gegenteil an mir festhalten und Experimente wie „Babbeldasch“ wagen. Der Sender sieht ja, dass ich mit der Figur viel bewegt habe. Die Lena hat Kraft, die ist eine Einzelgängerin mit Durchsetzungsvermögen. Allerdings habe ich über 60 „Tatorte“ gedreht und nur mit acht Regisseurinnen gearbeitet. Das sagt generell was über den Anteil an weiblicher Regiearbeit in der Branche.
Sie selbst werden der Kommissarin nicht überdrüssig, weil sie Ihnen finanzielle Freiheit beschert?
Einmal das, das ist ganz simpel. Außerdem war ich das mal. Es gab langweilige Bücher, konstruierte Morde. Es ging für mich als Schauspielerin nicht weiter. Aber dann haben wir die Kurve gekriegt. Und es gibt ja auch noch andere Filmrollen. Obwohl die „Tatort“-Identität mich ein bisschen ausbremst. Nächstes Jahr drehe ich im Januar und Februar „Tatort“ und im November und Dezember, zwischendurch steht nur eine Theatertournee fest, also habe ich Platz für andere Filme oder Stücke. Theaterspielen sollte sowieso jeder Filmschauspieler.
Warum das denn?
Weil es die Wurzel der Schauspielerei ist. Sechs Wochen Proben, live auf der Bühne stehen, ein Stück spielt man chronologisch, es verändert sich, der Umgang mit Sprache ist anders. Am Theater muss man präziser arbeiten, über eigene Grenzen hinüber. Beim Fernsehen kann man schummeln, da wird geschnitten. Auf der Bühne gibt’s das nicht, da können alle sehen, was du machst, da ist eine andere Präzision erforderlich. Davon profitiert auch die Fernseharbeit. Das Theater hat mich mutiger, experimentierfreudiger gemacht. Und es gibt mir ein Glücksgefühl, weil es genau das ist, weswegen ich diesen Beruf mal ergriffen hatte. Nur hatte ich das aus den Augen verloren.
Ist Ihre Rolle in „Chuzpe“ Ihr Einstand auf einer Berliner Theaterbühne?
Auf einer großen schon. Als ich hierher gezogen bin, habe ich in der Hasenheide mal Offtheater gespielt. Ist aber ewig her. Privat bin ich kein Stammgast der Ku’damm-Bühnen, insofern bin ich gespannt. Es ist auf jeden Fall der richtige Ort für das Stück. Hier wird gutes Boulevardtheater gespielt. Da ziehen Namen. Das ist der Deal und das weiß ich.
Sind Sie selbst denn Theatergängerin?
In die Schaubühne am Lehniner Platz gehe ich gerne. Mit 14 Jahren bin ich zum ersten Mal nach Berlin gekommen und habe mit meiner Freundin dort diese ganzen tollen Schauspielerinnen gesehen – Edith Clever, Angela Winkler. Da wuchs so langsam in mir der Wunsch, eines Tages selbst dort zu spielen. Dazu ist es zwar bislang nicht gekommen, aber immerhin bin ich ihr räumlich näher gerückt.
Auf der Bühne sind Sie seit 2005 nach langer Abstinenz wieder zu sehen. Da haben Sie im Salzburger „Jedermann“ den Tod gespielt. Der Domplatz ist nicht gerade ein intimer Rahmen, um sich wieder ans Theaterspielen heranzutasten.
Stimmt. 2000 Leute und dann noch mit Mikroport spielen! Ich hatte ziemlichen Bammel. Mein Kollege Peter Simonischeck ist dafür verantwortlich, dass ich es trotzdem gepackt habe, mir den Bühnenraum wieder zu erobern. Er hat den Jedermann gespielt. Der Tod war bis dahin ja nur von Männern gespielt worden. Ich war die erste Frau. Es gab riesige Diskussionen darüber, ob der Tod weiblich sein darf oder nicht, weil das eine Tradition brach. Ich musste nicht den angsteinflößenden, bösen Tod spielen, sondern ein sanftes Wesen, verführerisch geradezu. Hinterher kamen Leute zu mir und sagten: Wenn der Tod so ist wie Sie, dann habe ich keine Angst mehr davor. Das hat mir gut gefallen. Und der Simonischek hat mich wirklich an die Hand genommen und mir eine Brücke gebaut, indem er sagte: ‚Ulrike, du wirst sehen, Theaterspielen macht so eine Laune!‘ Das vergesse ich ihm nie. Er selbst hat das mit einer Leidenschaft und einer Leichtigkeit gespielt, dass es eine Freude war.
Obwohl das Stück ja seine Grenzen hat.
Allerdings, aber Simonischek hat es geliebt. Die Buhlschaft war Nina Hoss und der Regieassistent war Henning Bock, der mir jetzt die Hauptrolle in „Chuzpe“ gegeben hat. Ihn kenne ich seit Salzburg. An Simonischeks Rat bin ich dran geblieben und habe in Österreich weiter Theater gespielt. „Acht Frauen“ am Landestheater Pölten. Die Österreicher hofieren ja ihre Schauspieler. Das ist ganz anders als in Deutschland. Da kommen die Leute auf dich zu und sagen, dass sie dich schätzen. Dort gehen auch viel mehr Leute ins Theater. Das ist dort eine Selbstverständlichkeit. So wie in Deutschland ins Fußballstadion zu gehen.
Sie haben mal gesagt, dass Sie als eine Schauspielerin in Erinnerung bleiben möchten, die in ihren Rollen einen neuen Frauentypus geschaffen hat.
Und ich habe mit meiner Arbeit in der Männerdomäne „Tatort“ auch ein Bild verändert. Das hatte ich mir aber nicht vorgenommen, das wurde in Magisterarbeiten analysiert. Inzwischen sind Kommissarinnen ja selbstverständlich. Trotzdem kommen Frauen weiter in zu vielen Fernsehrollen nicht gut weg. Sie sind die Verlassenen, sie haben die Problemkinder, sie liegen im Clinch und sind fies zueinander. Da werden Klischees bedient, die langweilen mich zu Tode. Ich verstehe nicht, warum es nicht mehr Geschichten von Frauen mit einem interessanten Leben gibt, die Entscheidungen treffen, die alles auf den Kopf stellen. Generell, nicht nur im Krimi.
Wie reiht sich die Ruth in „Chuzpe“ da ein?
Gute Frage. Zwischendurch dachte ich, die geht mir echt auf die Nerven. Dauernd ist sie auf Diät, zieht sie die Bremse, ist vorsichtig. Aber dann habe ich verstanden, warum Ruth diesen Tick hat. Die Eltern haben nie wirklich über den Holocaust geredet, aber sie will wissen, was passiert ist. Typisch nächste jüdische Generation, die fragt: wie konnte es dazu kommen? Das will sie begreifen und hat eine diffuse Angst, dass das wieder passiert. Als ich das verstanden habe, konnte ich Ruth auch in ihrem Kontrollwahn mögen. Außerdem hat mich sehr berührt, wie ein Vater und eine Tochter wieder zusammenfinden. Vielleicht liegt das an meiner eigenen Geschichte. Ich habe meinen Vater gerade wiederentdeckt. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, ich bin bei meiner Mutter geblieben und sah ihn nicht so oft. Deshalb reagiere ich da so sentimental. Ich finde es total schön, wenn sich eine Familie wieder zusammenrauft.
Ist das jetzt Ihre erste Komödienrolle am Theater?
Also „Acht Frauen“ war auch ganz lustig. Komödie liegt mir eigentlich. Das weiß nur keiner. Die Leute, die wegen der Kommissarin ins Theater kommen, werden die in „Chuzpe“ nicht sehen, das muss ihnen klar sein. Lena Odenthal hat auf der Bühne nichts verloren.
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