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Plattenkind.Axel Ranisch, 30, lebt in Lichtenberg und hat an der HFF Regie studiert. Sein Durchbruch 2011 war der Festivalhit "Dicke Mädchen".
© Kitty Kleist-Heinrich

Gespräch mit Axel Ranisch: „Ich glaube an Augenblickszauber“

In seinem neuen Film „Ich fühl mich Disco“ spürt Axel Ranisch seiner Moppelkindheit in Lichtenberg nach. Ein Gespräch über Omas, Türme & Pointen.

Axel Ranisch, 30, ist Regisseur, Schauspieler und Medienpädagoge. Er lebt mit seinem Freund in Lichtenberg, in der selben Wohnung, in der er aufgewachsen ist. Regie hat er bei Andreas Kleinert und Rosa von Praunheim an der HFF in Babelsberg studiert. Sein 2011 mit einem Budget von 517 Euro gedrehtes Spielfilmdebüt „Dicke Mädchen“, das Ranisch in der Wohnung seiner auch mitspielenden Großmutter drehte, entwickelte sich zu einem Festivalhit. Seither hat er die Produktionsfirma „Sehr gute Filme“ gegründet, zwei Kammeropern für die Bayerische Staatsoper inszeniert, Filmrollen gespielt und beim Filmfest München seinen Kinderfilm „Reuber“ präsentiert. Jetzt ist die Tragikkomödie „Ich fühl mich Disco“ in den Kinos angelaufen.

Herr Ranisch, wie geht’s denn Ihrer wunderbaren Oma Ruth Bickelhaupt, die in Ihrem Spielfilmdebüt „Dicke Mädchen“ als Laie die Hauptrolle gespielt hat?

Sehr gut, sie wird im Dezember 92 und hat seitdem ganz viele Rollen gespielt. In Studentenfilmen, bei Werbedrehs und auch in einem Tanztheaterstück unter der Regie von Corinna Harfouch am HAU. Alles seit „Dicke Mädchen“. Mit dem sind Oma und ich ja zu Festivals in ganz Europa gereist – Paris, Stockholm, Warschau, Helsinki, London – das war wunderschön, so viel zusammen zu sein.

Sie sind jetzt 30 , also aus den Kinderschuhen raus, halten aber Ihrer in „Ich fühl mich Disco“ durchaus ambivalent gezeichneten Heimat Lichtenberg weiter die Treue: warum?

Ich hab’s schon mal woanders probiert, zwei Jahre drüben in Friedrichshain, war mir aber zu hip. Dann wollten sich meine Eltern verkleinern und aus dieser Wohnung, wo ich und meine beiden Schwestern aufgewachsen sind, raus. Und der Gedanke, dass hier jemand einziehen könnte, den ich nicht kenne, brach mir das Herz. Deswegen bin ich jetzt wieder hier. Ich mag den WBS 70-Bau, die Platte war ja ein totaler Exportschlager. Und die ganze Familie wohnt um die Ecke. Ich bin kein Nomade, sondern eher ein Wurzler, ein Nestbauer.
Wie war das denn, hier so ein dicker, schwuler Junge zu sein wie Ihr Alter Ego Flori im Film?
Dick sein war nicht schön. Kinder sind scheiße, wenn’s um Übergewichtige geht. Und schwul zu sein, habe ich mir erst spät eingestanden. Da war ich schon 23 und HFF-Student, als ich das meinen Eltern gesagt habe.

Ihre Filmfigur Flori, ein Schlager liebender Tagträumer, steht im Konflikt mit seinem Vater, einem ehrgeizigen Wasserspringtrainer: Sie früher auch?
Ja, ich war das dicke Kind zweier Leistungssportler. Mutter Leichtathletin, Vater Wasserspringtrainer – bis vor wenigen Jahren aktiv am Olympiastützpunkt Landsberger Allee. Da haben wir auch die Szene gedreht, wo Flori sich – so wie ich früher – nicht traut, vom Zehner zu springen.
Haben Sie das beim Filmdreh mal nachgeholt?
Nee. Vom siebeneinhalb Meter hohen Turm bin ich oft gesprungen, aber zehn Meter sind einfach zu hoch. Danach haben Papa und ich drei Tage nicht miteinander gesprochen. Inzwischen ist er viel gelassener, Rentner, der ganze Druck, der auf ihm lastete, ist weg. Das genießt er. Jetzt ist er ein hinreißender Vater.
„Dicke Mädchen“ sah – bei aller Sympathie für Figuren und Geschichte – reichlich improvisiert aus. Ist „Ich fühl mich Disco“ jetzt Profiliga?
Das Budget hat jedenfalls drei Nullen mehr. Von 517 auf 500 000 Euro. Wir hatten einen Kameramann, einen Tonmann und haben sogar Licht gesetzt. Trotzdem ist der Film 100 Prozent Axel Ranisch. Ich bin kein Perfektionist. Filme drehen muss mir Spaß machen, und das machen Organisation, Finanzierung, Logistik nicht, deswegen sind meine Filme nicht aufwändig. So ist auch „Dicke Mädchen“ meine Visitenkarte geworden. Der ist mit Lust runtergerotzt, mein ganzes Herz liegt drin.
Was ist denn 100 Prozent Axel Ranisch?
Die Menschen von nebenan. Aber nicht in ihrem nacherzählten Alltag, sondern konfrontiert mit Humor und Absurditäten. Auf der einen Seite ein Konglomerat aus Andreas Kleinert und Rosa von Praunheim, auf der anderen Wes Anderson und François Ozon, um mal meine filmischen Helden zu nennen. Ich erzähle gerne traurige Geschichten, aber kombiniert mit Alltagskomik. Ich glaube nicht an die geschriebene Pointe, den vorgefertigten Dialog. Ich glaube, dass man nur lachen kann, wenn man vorher betroffen war. Und dass man nur betroffen sein kann, wenn man vorher mit den Figuren gelacht hat.
In Ihren Credits steht nie Regisseur, sondern immer Spielleiter ...
Ja, das trifft’s mehr. Regie hat viel damit zu tun, ein fertiges, vorgedachtes Drehbuch in einen Film zu übersetzen. Ich habe aber kein perfekt vorformuliertes Ding. Sondern wir haben eine in Szenen aufgegliederte Geschichte, die wir möglichst chronologisch drehen. Ohne Dialoge, feste Auflösungen oder Einstellungen. Das heißt, die Schauspieler müssen ihre Figuren sehr gut kennen und der Kameramann dann auf sie reagieren. Es ist ein großes Miteinander, ein Spiel.
Im Manifest Ihrer Produktionsfirma „Sehr gute Filme“ sagen Sie, dass ein guter Film nicht vom Budget abhängt. Sondern?
Von der Intuition. Ich finde, dass der deutsche Film daran krankt, dass er vorab schon totgedacht wird, dass kein Platz mehr für Ideen bleibt. Dabei entsteht der Zauber aus dem Moment. Diese Echtheit, Herzlichkeit, die macht, dass du Menschen sofort gern hast, sie in den Arm nehmen willst. Ich möchte mir und meinen Schauspielern die Freiheit erhalten, dass eine Szene in eine andere Richtung gehen kann, als ich sie mir gedacht habe. Das hält beweglich.
Und wie kommt ein Planungsverweigerer wie Sie ausgerechnet an die Opernregie?
Durch „Dicke Mädchen“. Den hat der Intendant der Bayerischen Staatsoper gesehen und mir eine Musiktheaterinszenierung angeboten. Das hätte ich nie zu träumen gewagt. Ich liebe die Oper und habe von zwölf bis 18 nichts anderes gemacht, als Klassik zu hören. Die beiden Kammeropern liefen im Sommer in München, was Größeres soll folgen. Jetzt habe ich gerade das Libretto für die Neuauflage einer Oper von Händel geschrieben, die nächstes Jahr in Hannover aufgeführt wird.
Sie mögen doch nichts Vorgeschriebenes?
(Lacht) Da kommt man in der Oper dann doch nicht drum herum.

Das Gespräch führte Gunda Bartels.

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