Tape Art in Berlin: Kleben, nicht kleckern!
Voll subversiv in den Mainstream: Die Tape Artists von Klebebande arbeiten auf Messen statt auf der Straße - und produzieren Kunst von der Rolle.
Ratsch, eine Linie. Ratsch, noch eine Linie. Bodo Höbing steht auf und betrachtet seine Arbeit. Er muss genau sein, damit der Berliner Fernsehturm, den er gerade mit Panzerband auf eine PVC-Wand klebt, nicht schief wird. „Die Kugel ist am schwierigsten.“ Das Gewebeband ist eher für gerade Linie gemacht. Bei Höbing sieht es trotzdem ganz leicht aus: Er reißt ein Stück ab und streicht das schmale Band mit dem Daumen in einem Bogen über den Untergrund. Fertig ist die geschwungene Linie.
Bodo Höbing und seine beiden Mitstreiter Bruno Kolberg und Kolja Bultmann nutzen das Material wie einen Stift. Seit 2010 machen sie als „Klebebande“ Tape Art – gerollte und geklebte Kunst. Sie kleben nicht nur auf Wänden, sondern quer durch den Raum, auf Glas, Gehwegen, Kleidung und Haut – überall, wo das Tape haften bleibt. Street Art also? „Für mich ist es etwas Eigenständiges, man sieht Tape Art selten einfach so in den Straßen“, sagt Kolja Bultmann. Wenn die Klebebande aktiv wird, dann fast immer wegen eines Auftrags. Aus Lust und Laune – dafür bleibt kaum Zeit.
Geklebter Imagefaktor
An diesem Herbsttag arbeiten sie auf einer Messe für Bar- und Getränkewirtschaft in Kreuzberg an einem fünfteiligen Motiv: Fernsehturm, Cocktail, Shaker, Destillieranlage und eine Flasche mit dem Namen des Auftraggebers, einem Whiskeyhersteller. Das Design ist klar und prägnant, wie ein Comicstrip wird das Ganze später aussehen. Das sieht man auf den Skizzen, die an der Wand kleben. Die drei arbeiten konzentriert, haben Cuttermesser in den Händen, unzählige Schnipsel kleben an ihren Turnschuhen. Ständig bleiben Leute fasziniert stehen und machen Fotos. Manche lassen sich am Stand dann Cocktails mischen, auch wenn es gerade mal Mittag ist.
Kunst aus Klebestreifen als Blickfänger und Anziehungspunkt – ein Erfolgsrezept? Fabian Fischer jedenfalls ist zufrieden. Er kümmert sich um das Marketing des Spirituosenkonzerns. „Wir wollten am Stand etwas für die urbane Zielgruppe anbieten“, sagt er. Mit den Mixgetränken sollen junge Leute an Whiskey herangeführt werden. Auch die Arbeit der Klebebande ist Teil der Imagekampagne. Wenn die teureren Whiskeys aus dem Portfolio präsentiert werden, kommen Dudelsäcke zum Einsatz. „Aber hier ist es eher trendy“, sagt Fischer.
Statt Geld gab es Ärger mit der Polizei
Wie so oft beschränkt sich die Klebebande auf wenige Farben: Schwarz, Weiß, Whiskey-farbenes Ocker. Auch wenn es keine Street Art sein mag, wird die Verwandtschaft deutlich. Viele Arbeiten der Klebebande erinnern an Stencils, also Schablonen-gesprühte Motive, oder an Paste-ups, zugeschnittene Plakate, die an Fassaden geklebt werden. Der Unterschied: Das Band kann schnell und spurenlos beseitigt werden. Im Zweifelsfall ist unerlaubte Tape Art eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat wie Graffiti.
Auch zwei Mitglieder der Klebebande sind früher mit Spraydosen losgezogen. Statt Geld gab es Ärger mit der Polizei. „Als es dann losging im Berufsleben, war der Wille nachts aufzustehen, nicht mehr so da“, sagt Bruno Kolberg und grinst. Mit Tape Art hingegen kann der Grafikdesigner heute seine drei Kinder ernähren.
Das Ende des Hypes?
Die Mischung aus Straßenattitüde, Trend, Kunstfertigkeit und Kalkulierbarkeit zieht große Marken an. In der Onlinegalerie der Klebebande findet man viele Beispiele und die Liste wird immer länger. Sie wollen, scheint es, etwas abhaben von der lässigen Kreativität der Klebebande. Im vergangenen Jahr war die Nachfrage so groß, dass das Trio Jobs an befreundete Künstler abgab.
Erfolgsgeschichten wie diese kennt Heike Derwanz. Die Hamburger Kulturwissenschaftlerin hat sich für ihr 2013 erschienenes Buch „Street Art-Karrieren“ mit der Professionalisierung von Street- Art-Künstlern beschäftigt. Sie sieht das Ende des Hypes um Urban Art gekommen. „Bei Kinderwägen mit Graffitimuster ist das subkulturelle Kapital nur noch Anmutung.“ Auch verändere sich die Kunst, wenn sie im Rahmen von Aufträgen entsteht. „Die Künstler müssen nicht mehr illegal und schnell arbeiten, es geht um Qualität.“ Dadurch löse sich das unangepasste Straßenimage weiter auf. „Tape Art passt in diese Entwicklung.“
Tapen mit Anleitung
Es ist die große Stunde von Künstlern wie der Klebebande. Gerade haben sie das erste deutschsprachige Buch zum Thema veröffentlicht. „Tape Art“ sieht von außen wie ein typisches Street-Art-Buch aus, das Bildbandhafte beschränkt sich aber auf wenige Seiten. Ein kurzer Textbeitrag des Tape-Art-Veteranen Michael Townsend führt durch die gut 25-jährige Entwicklung dieser Kunst.
Ihren Ursprung hatte sie ihm zufolge in Rhode Island, im Nordosten der USA. Als frühe Vertreterin in Deutschland wird Monika Grzymala genannt, die für Skulpturen aus Klebeband, sogenannte „Raumzeichnungen“, bekannt ist. Zugleich begann El Bocho, ein Berliner Street- Art-Künstler, Motive zu kleben, statt zu malen. Nach dem geschichtlichen Abriss folgt ein mehr als 50-seitiger Grundkurs zu Materialien und Techniken, dazu elf Anleitungen für ein „Tape-Schwein“, einen beklebten Stuhl oder ein Wandbild. Der Verlag präsentiert Tape Art als Urban Art zum Selberbasteln – das Subversive wird zum Mainstream. Die Szene der deutschen Klebekünstler ist relativ klein, die meisten leben in Berlin und sind als Dienstleister tätig. Sie verzieren Clubs, kleben auf Festivals und für Marken wie Zalando, Red Bull und Telekom. Statt schnöder Plakate gibt’s maßgeschneiderte Kunst, gern live geklebt.
"Kunstverliebt, aber pragmatisch"
Der Erfolg von Tape Art ist auch der zeitgenössischen Ästhetik geschuldet, glaubt Kolja Bultmann. Polygone und geometrische Formen als Ausdruck des digitalen Zeitalters würden sich überall in der Werbung finden. „Zugleich ist da eine Abkehr vom Digitalen – wir können mit Tape besser gestalten.“
Die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz ist in der Street Art nicht erst seit Publikumsrennern wie Banksy oder Shepard Fairey ein Thema. In der Tape Art nun scheint sie aufgelöst. Oft ist sie ein Hybrid, eine funktionierende Mischung aus Marketing und Kunst, ähnlich dem Grafikdesign, aus dem auch zwei der drei Klebebande-Mitglieder kommen. „Wir sind kunstverliebt, aber pragmatisch“, erklärt Kolja Bultmann.
Ständig sind er und seine Mitstreiter unterwegs. In ihrem Kreuzberger Atelier handeln sie Angebote aus und schicken Entwürfe an Firmenkunden. „Es ist schwer, sich Zeit für freies Arbeiten zu nehmen.“ Manchmal gelingt es aber doch. Die entstandenen Werke werden dann auf Ausstellungen und Kunst-Festivals gezeigt. Sogar eine Galerie für Urban Art vertritt die Gruppe – allerdings in München. Und das liegt nicht nur an der größeren Kaufkraft der dortigen Sammler, meint Kolja Bultmann. „Berlin ist voll mit Street Art, hier gibt keiner Geld dafür aus.“
Klebebande: Tape Art. Haupt Verlag, Bern 2015. 168 Seiten, 39,90 €.
Angie Pohlers
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