Berliner Kulturszene: Klaus Wowereit hinterlässt eine blühende Kulturlandschaft
Als Kultursenator hat Klaus Wowereit dafür gesorgt, dass endlich wieder über Kunst geredet wurde statt immer nur über Geld zu streiten. Das ermöglichte der Berliner Kulturszene einen neuen Höhenflug. Niemand weiß, wie es jetzt weitergeht - und was aus Tim Renner wird.
„Bitte verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen!“ Nicht viele Berliner Kultursenatoren waren in der Lage, dieser verständlichen Bitte nachzukommen. In endlosen Finanzdiskussionen haben sie sich seit der Wende aufgerieben, ihre Verwaltung musste zahllose Szenarien für mögliche Fusionen entwickeln. Und immer wieder gab es Bauernopfer, wurde Institutionen die Subvention komplett gestrichen. Und wie viel Zeit wurde mit Streitereien darüber vergeudet, ob sich die Hauptstadt wirklich drei Opernhäuser leisten könne.
Erst 2006, als sich Klaus Wowereit entschloss, zusätzlich zum Amt des Regierenden Bürgermeisters auch noch das des Kultursenators zu übernehmen, kam endlich Ruhe in die Szene, verebbten die Debatten, konnte wieder über Kunst geredet werden statt immer nur übers Geld. Wenn er am 11. Dezember beide Jobs aufgibt – aus kultureller Sicht an einem symbolischen Datum, dem Geburtstag von Carl Friedrich Zelter, der als Gründer der Sing-Akademie zu Berlin zugleich zum Urvater des bürgerlichen Kulturlebens der Stadt wurde – dann hinterlässt er eine blühende Kulturlandschaft.
Sein Klausoleum, das große Objekt, mit dem sich sein Name auf alle Zeit verbindet, wird er nun zwar nicht mehr realisieren können, jenes unglücklich „Zentral- und Landesbibliothek“ genannte Projekt, mit dem eigentlich ein Kommunikationszentrum gemeint ist für die Kopfarbeiter dieser Stadt, die hier in einem Neubau hochmoderne Arbeitsplätze mit Multimedia-Handapparat gefunden hätten. Und auch die Kunsthalle muss man unter „Geplatzte Träume“ ablegen. Im weniger spektakulären Bereich der Infrastrukturertüchtigung dagegen haben Wowereit und sein langjähriger Staatssekretär André Schmitz dafür gesorgt, dass viele hauptstädtische Institutionen beruhigt in die Zukunft schauen können.
Party-Bürgermeister Wowereit übernahm auch Schwarzbrotarbeit
„Mittelfristige Finanzplanung“ ist so ein Wort, das Wowereit stets leicht über die Lippen ging. Mag er in der Außenwahrnehmung als Party-Bürgermeister gewirkt haben – im Alltag hat er auch die Schwarzbrotarbeit übernommen und dafür gesorgt, dass bei der Verteilung der über mehrere Jahre gestreckten Investitionsausgaben auch die Kultur berücksichtigt wurde.
Am Montag konnte im Deutschen Theater Richtfest gefeiert werden. Für 12,5 Millionen Euro entsteht hier ein neues Probengebäude, entworfen vom Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, ausgestattet mit drei Sälen, die exakt den Bühnenmaßen entsprechen und somit ideale Arbeitsmöglichkeiten für die Künstler bieten. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt verlängert sich die sommerliche Schließzeit bis zum 10. Oktober, weil derzeit eine neues Musikerpodium eingebaut wird, das aus 34 einzeln steuerbaren Podest-Ebenen besteht und es ermöglicht, die 220 Quadratmeter große Fläche komplett auf Saalniveau zu fahren. Die 2,5 Millionen Euro, die das kostet, kommen je zur Hälfte vom europäischen EFRE-Topf und der senatseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH. Und auch an der Deutschen Oper dauert die Spielzeitpause diesmal länger, weil in einem letzten Bauabschnitt die auf drei Jahre angelegte Sanierung der Obermaschinerie abgeschlossen wird. 20 Millionen Euro wurden investiert, um die Beleuchtungs- und Szenenbildtechnik im Bühnenhaus zu erneuern. Bereits in der Intendanz von Kirsten Harms war schon die komplette Untermaschinerie an der Bismarckstraße modernisiert worden.
Tim Renners Rolle wird nach Wowereits Rücktritt wachsen
Natürlich könnte man jetzt hämisch auf die unendliche Geschichte der Staatsopernsanierung verwiesen. Aber das wäre ungerecht. Denn hier hat einerseits Senatsbaudirektorin Regula Lüscher den Helm auf und andererseits stammt der allergrößte Batzen des Geldes vom Bund. So verhält es sich auch beim Humboldtforum. Wowereit soll mit dem Gedanken gespielt haben, das Land Berlin könne sich aus dem Projekt zurückziehen, auf eine Dependance der Landesbibliothek hinter den Schlossfassaden verzichten und rund 80 Millionen Euro behalten. Aber jetzt, sagt Kulturstaatssekretär Tim Renner, gilt erst einmal Vertragstreue mit dem Bund. Renners Rolle wird nach Wowereits Entscheidung zum Rücktritt wachsen, auf ihn wird man achten – jedenfalls bis Dezember.
Der Bund ist finanziell an vielen Stellen in der Hauptstadt engagiert. Die Summen, mit denen in den letzten Jahren im Hebbel am Ufer oder in der Volksbühne die Arbeitsbedingungen verbessert werden konnten, aber hat Wowereit lockergemacht. So wie er überhaupt den gezausten Kulturetat hat wachsen lassen, gleich in seinem ersten Doppelhaushalt als Doppel-Amtsträger und dann auch in den folgenden Jahren.
Damit ermöglichte er der hauptstädtischen Kulturszene ein Arbeitsklima, das nicht mehr von Beklemmung geprägt war. Mit dem Ergebnis, dass Berlin beispielsweise im Bereich der klassischen Musik heute unbestritten Weltspitze ist. Nicht nur die Philharmoniker und Barenboims Staatskapelle, auch das Deutsche Symphonie-Orchester mit seinem jungen Chef Tugan Sokhiev, das Rundfunk-Sinfonieorchester mit Marek Janowski oder das Konzerthausorchester mit Ivan Fischer machen die abwechslungsreichsten Programme – und das zu absolut erschwinglichen Preisen.
Schmitz und Wowereit haben konventionelle Kulturpolitik gemacht. Was kommt nun?
Ständig drängen neue Veranstalter auf den hauptstädtischen Markt, weil offensichtlich alle Künstler hier auftreten wollen. Und das Publikum zieht mit, füllt die Säle. Die Opernhäuser melden Auslastungszahlen, von denen man noch vor kurzem nicht zu träumen wagte, das Konzerthaus konnte die Saison 2013/14 mit einem Rekordergebnis abschließen. 163 100 Gäste kamen zu insgesamt 334 Eigenveranstaltungen.
Die Stimmung ist gut, wenn die neue Spielzeit jetzt wieder startet, von null auf Hundert, wie man es gewohnt ist: Samstag spielen die Philharmoniker und Rattle, Sonntag gibt Anna Netrebko ein Benefizkonzert zugunsten der Staatsoper. Dienstag startet das „Musikfest Berlin“ mit Barenboim am Klavier und Gustavo Dudamel am Pult der Staatskapelle, zeitgleich feiert „Letzte Tage. Ein Vorband“, das jüngste Projekt von Christoph Marthaler, seine Berlin-Premiere im Schillertheater. Überhaupt: das Schillertheater! 1993 auf Senatsbeschluss geschlossen, 16 Jahre später grundsaniert, für 20 Millionen Euro, als Interimsspielstätte der Lindenoper. Wem stiegen bei der Wiedereröffnung des im alten Glanz strahlenden Hauses nicht die Tränen der Rührung in die Augen? Ein architektonisches Juwel des alten West-Berlin war wiedergewonnen.
Schmitz und Wowereit haben seit 2006 konventionelle Kulturpolitik gemacht, wertkonservative. Und was kommt nun? Wird der künftige Regierende die Kultur in seinem Amtsbereich behalten, zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode – oder gibt er sie ab, zur Bildung, zur Stadtentwicklung? Kann der immer noch recht frische Staatssekretär Tim Renner nach der nächsten Wahl Kultursenator werden? Würde der Quereinsteiger das überhaupt wollen? Oder kommt ein neuer Name ins Spiel, wobei man ja weiß, wie schwer es war, einen Nachfolger für Schmitz zu finden. Nicht nur Regierende Bürgermeister, auch hauptstadttaugliche Kulturpolitiker sind rar gesät.
Der Doppelhaushalt 2014/15 ist beschlossen, die Mittel, die Klaus Wowereit für die Kultur auf den Weg gebracht hat, also jene zwei Prozent des Landesetats, die sich auf 379 in diesem respektive 397 Millionen im kommenden Jahr belaufen, werden auch bei den Adressaten ankommen. Bis auf weiteres kann Tim Renner, wenn er denn eingearbeitet ist, die Honneurs machen und neue Ideen ausloten.