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Nadja Drygalla reiste wegen ihrer Beziehung zu einem mutmaßlichen Neonazi vorzeitig aus dem Olympischen Dorf in London ab.
© dpa (Bildmontage TSP)

Debatte um Nadja Drygalla: Kein Sex mit Nazis

Von Beischläfern zu Mitläufern: NS-Symbole und rechtsradikale Kontakte sind niemals harmlos. Der Fall Nadja Drygalla erinnert an frühere Auseinandersetzungen - von Martin Walsers "Auschwitz-Keule" bis hin zur Eröffnung der Flick-Sammlung in Berlin.

Nur weil …! Nur weil? Nur weil eine sportliche junge Frau mit einem Neonazi schläft, darf sie nicht mehr für Deutschland bei Olympischen Spielen rudern? Ist das nicht übertrieben? Geht das die Öffentlichkeit überhaupt etwas an? Nur weil ein Tenor ein Hakenkreuz sich mit sechzehn Jahren auf seine Sängerbrust tätowieren ließ, fliegt er von der Bayreuther Wagner-Bühne. Ist das angemessen? Bereut der junge Mann seine „Jugendtorheit“ nicht längst – sogar mehr, als der Wagner-Clan den Antisemitismus seiner Ahnen? Nur weil ein alternder Autor ein paar ungeschickte Zeilen über Israel verfasst hat, wird er mit Schimpf und Schmäh überschüttet. Will man ihm denn seinen Nobelpreis nachträglich symbolisch entziehen? Und muss, zwanzig Jahre nach den rechtsradikalen Übergriffen gegen Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen, denn unbedingt bundesweit an jeder Ecke demonstriert und erinnert werden?

Da legt sich eine für Olympia und Deutschland in die Riemen, da schmettert jemand meisterhaft seine Arien, schreibt ein anderer dicke, weltberühmte Romane – und kaum vernimmt man von ihr oder ihm ein falsches Zeichen, soll es aus sein mit Ruhm und Ehre, na, Moment mal! So lautet ein beliebter Einwurf, der alle Jahre wieder bei Vorfällen dieser Art zu hören ist. Jedes Mal schlagen die Wellen hoch, jedes Mal gibt es Gegenstimmen, die bei den Entsetzten reflexhafte Überempörung diagnostizieren, oder sogar pathologische Fixierung auf die Verstrickung in historische Schuld, ja unnachweisbare Kollektivschuld.

Wo immer ein Gran Relativierung des Nationalsozialismus öffentlich wird, entbrennt diese Debatte: 1953 bei Adenauers Berufung von Globke, 1985 bei Kohls Besuch auf dem Soldatenfriedhof Bitburg, 1986 beim Historikerstreit um die Thesen Ernst Noltes, 1988 bei der Rede von Bundestagspräsident Jenninger, 1998 angesichts der Rede Martin Walsers mit dem Begriff „Auschwitzkeule“, 2002 wegen der Dokumentation „Der Brand“ zu den Deutschen als Opfer alliierter Bombardierung, 2004 bei der Eröffnung der Flick-Sammlung im Berliner Museum Hamburger Bahnhof, und, und, und.

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Viele Deutsche seien bei dem Thema viel zu empfindlich, wird jetzt oft abgewiegelt. Im Fall der Sportlerin Nadja Drygalla mahnte sogar ein Kommentar der „Frankfurter Rundschau“ Maßhalten an: „Vielleicht sollten wir bei den nächsten Olympischen Spielen vorsorglich alle Athleten ausschließen, die Neonazis, Altkommunisten, Mörder, Taschendiebe oder Schwarzfahrer in ihrem Bekanntenkreis haben.“ Unbedacht vermengt die Autorin Schwarzfahrer und pechschwarze, ideologisch motivierte Kriminalität. Solche Cocktails zur Bagatellisierung sind schnell gemixt. Aber sie schmecken nicht, sie sind geschmacklos.

Denn es geht um mehr als wohlfeile Entrüstung über ein paar inakzeptable Worte oder Symbole. Mit „Gesinnungsschnüffelei“, einem Begriff, der so unappetitlich ist wie sein Einsatz, hat das Sichten und Gewichten von Kontakten zu Neonazis auch nichts zu tun. Es gibt Fakten. Seit 1990 haben Neonazis und Rassisten in Deutschland mindestens 180 Menschenleben auf dem Gewissen, ganz abgesehen von den Serienmördern des selbst ernannten „nationalsozialistischen Untergrunds“, der in den Medien schon „NSU“ abgekürzt wird, als handele es sich um eine Partei. Vor den Augen des Verfassungsschutzes konnten dessen Anhänger quer durch die Republik unbehelligt ihre Taten begehen. Ermutigt sahen sich die Mörder durch ein gesellschaftliches Mikroklima, in dem zur hinnehmbaren Normalität erhoben wird, dass neonazistische Zeichen, Symbole, Versammlungen, Aufmärsche oder minderheitenfeindliche Graffiti-Sprüche „nun mal“ existieren und man um sie kein dauerndes Aufhebens machen müsse.

Bilder: Die Opfer des NSU

Erst seit jüngerer Zeit verhandeln deutsche Gerichte sogenannte Hakenkreuzschmierereien nicht als Vandalismus, wie beim Tagging eines Pop-Sprayers, sondern als den rechtsradikalen Straftatbestand, den es darstellt. Die Themen der Diskussion sind nicht unwesentlicher geworden oder die Kritiker kleinlicher, sondern der Rechtsstaat ist heute etwas wacher und bewusster.

Wenn die Gesellschaft ihre Integrität verliert

Nadja Drygalla reiste wegen ihrer Beziehung zu einem mutmaßlichen Neonazi vorzeitig aus dem Olympischen Dorf in London ab.
Nadja Drygalla reiste wegen ihrer Beziehung zu einem mutmaßlichen Neonazi vorzeitig aus dem Olympischen Dorf in London ab.
© dpa

Alles andere als unerheblich ist es, ob eine Sportlerin, finanziert von Steuergeldern und bejubelt von ihren Landsleuten, einen Lebenspartner annehmbar findet, der offiziell in der rechtsradikalen Szene organisiert ist – das ist bei niemandem unerheblich. „Kein Sex mit Nazis“ lautet, eher als sarkastischer Jux gemeint, eine Aufschrift auf Buttons und Aufklebern von Antifa-Gruppen und Jusos. So sinnlos ist der Slogan allerdings gar nicht. Er signalisiert die politische Bereitschaft, statt Intimität und Nähe mit „allem, was zu rechts ist“, Distanz und Analyse zu suchen, in einer Haltung, die nicht nur für die öffentliche Fassade gilt.

Sie habe nur das Bett geteilt mit jenem Mann, nicht aber seine Meinungen, hat die betroffene Frau sinngemäß erklärt. In der U-Bahn habe ich einmal eine Studentin zu einer anderen sagen hören, ihr neuer Freund sei mitnichten Neonazi, er sei nur der Ansicht, es habe nie Konzentrationslager gegeben, das sei zwar irgendwie komisch, aber sonst sei der Mann prima. Mit Nur-weil-Argumenten ruderte sie gegen die schockierte Gesprächspartnerin an: „Nur weil der ein bisschen andre Ideen hat, muss ich doch nicht auf Sex mit dem verzichten“, die Freundin mache „einen auf moralisch“.

Genau solche Aussagen aber sind das interessanteste Symptom. Sie werfen Licht in die Tiefe eines Geschehens, bei dem Individuen wissentlich bereit sind, die verbrecherische Ideologie eines anderen abzuspalten von der „netten Person“, die dieser andere doch darstelle. Dabei leugnen sie mit Vorsatz den Inhalt der Überzeugungen, dabei werden sie gewissermaßen auch als Beischläfer zu Mitläufern. Sie offenbaren zugleich ein Bild vom Menschen, das sich gegen Artikel 1 der Verfassung sträubt. Von der unantastbaren Würde des Menschen hat jemand, der einen anderen in „irgendwie Nazi, aber prima Kumpel“ aufspaltet, sich keinen Begriff gebildet. Emotionale und ethische Hochstapler arbeiten hier mit dem Druck auf andere, die als überempfindlich abqualifiziert werden sollen, während sie selber die Toleranten, Lockeren darstellen.

Wo sich eine Gesellschaft mehrheitlich zu solcher Abspaltung bereit fände, würde sie mit solchen Akten des Leugnens und Abspaltens ihre Integrität verlieren. Integer zu sein bedeutet, wahrnehmungsfähig zu bleiben und so weit wie möglich keine psychischen Inhalte abzuspalten, sondern sie zu integrieren. Dass die Nazi-Debatten wieder und wieder aufkochen, ist Nachweis einer Gesellschaft, die den Versuch unternimmt, sich selbst im Blick zu haben, was, wie Niklas Luhmann betonte, mit das Schwierigste überhaupt ist. Dass dabei in seltenen Fällen übers Ziel hinausgeschossen wird, lässt sich eher verkraften, als dass das Ziel aus den Augen gerät.

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