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Unersetzlich. Karl Lagerfeld verdanken viele Topmodels ihre Karriere, Claudia Schiffer sagte: "Karl war mein Zauberpulver. Er verwandelte mich von einem schüchternen deutschen Mädchen in ein Supermodel."
© Imago

Zum Tod der Mode-Ikone: Karl Lagerfeld: Der letzte Kaiser

Karl Lagerfeld war seiner Zeit immer Stück voraus - und der Inbegriff des absolut perfekten Modedesigners.

Über seinen Lebensstil erzählte der Sohn des Hamburger „Glücksklee“-Kondensmilch-Fabrikanten Otto Lagerfeld dem Wochenmagazin „Paris Match“ im Jahr 2015, Einsamkeit sei der „Gipfel des Luxus“. Einsamkeit belaste, „wenn man nicht bei guter Gesundheit ist, wenn man kein Geld hat. Ich kämpfe darum, allein zu sein. Ich habe nie unter einem Dach mit jemandem gewohnt. Das ist wahre Freiheit.“

Er war immer noch reich in den vergangenen Monaten, aber gesund wohl nicht mehr. Im Herbst, nach der Präsentation einer neuen Chanel-Sommerkollektion im Grand Palais in Paris, blieb Karl Lagerfeld ungewöhnlich lange auf dem Laufsteg stehen, er wirkte wackelig. Bei einer Chanel-Show im Rahmen der Pariser Fashion Week am selben Ort im Januar war er gar nicht erst da. In einer Durchsage teilten die Veranstalter mit, Lagerfeld habe sich müde gefühlt. Nun, am Dienstag, ist er gestorben.

Vor 19 Jahren nahm er 40 Kilogramm ab

In der Mode glaubt man ja an Wunder, und ein solcher Wunderglaube war vielleicht, dass dieser Designer einfach immer weitermachen würde. Karl Lagerfeld war eine der wenigen verbliebenen Konstanten in der Modewelt, seit 1983 unangefochten an der Spitze von Chanel, für das italienische Modehaus Fendi entwarf er Kleider seit 1965. Wenn es so etwas überhaupt geben kann, war Karl Lagerfeld der Inbegriff des absolut perfekten Modedesigners, der es schaffte, bis zuletzt seiner Zeit immer ein wenig voraus zu sein, der der Welt da draußen vorspiegelte, dass ein Designer genau so reden muss wie er, genau so aussehen und sich benehmen. Und vor allem überraschen.

Dabei war er lange Zeit immer erkennbar geblieben: Sein Pferdeschwanz, sein Fächer und seine schwarze Sonnenbrille waren Markenzeichen, zu denen sich immer wieder neue gesellten. Handschuhe, Hemdkragen, Broschen. Vor 19 Jahren nahm Lagerfeld 40 Kilogramm ab, um in die schmalen Dior-Anzüge seines Kollegen Hedi Slimane zu passen. Er trank fortan Diätcola, seine Hände schmückte er mit dicken Silberringen und legte sich dann auch noch 2011 die Katze Choupette zu, die mit ihm zusammen in einer Opel-Corsa-Werbung auftrat.

Dabei gab sich Karl Lagerfeld seltsamerweise nie der Lächerlichkeit preis, wurde selten dafür verspottet. Er spottete lieber selber. Dem Tagesspiegel sagte er im Jahr 2011, gefragt nach seiner Meinung zu Wolfgang Joop: „Ach, das Wunderkind. Sein Drama ist, dass er nicht ich ist.“ Zwei Jahre zuvor sagte er in der „Johannes B. Kerner“-Show im ZDF über Heidi Klum: „Ich kenne sie nicht. Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.“

Bitterernst muss es ihm gewesen sein, als er im vergangenen Mai im Interview mit dem französischen Magazin „Le Point“ Angela Merkel wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingskrise angriff. Er machte die Bundeskanzlerin für das Erstarken der AfD verantwortlich: „Man muss sich an die Geschichte erinnern, die man in Deutschland hat“, sagte Lagerfeld. „Ich verabscheue Frau Merkel, dass sie das vergessen hat.“ Wenn der Rechtsradikalismus weiter wachse, werde er seine Staatsbürgerschaft aufgeben: „Ich will nicht Teil dieses Neonazi-Clubs sein.“

Bereits Ende 2017 hatte Lagerfeld Merkel in einem Fernsehinterview kritisiert und mit anti-muslimischen Aussagen für Empörung gesorgt. Bei seinem Auftritt beim Sender C8 kündigte er zunächst an, nun „etwas Schreckliches“ sagen zu wollen. Dann erklärte er: „Man kann nicht, selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, Millionen Juden töten, um danach Millionen ihrer schlimmsten Feinde zu holen.“ Frankreichs staatliche Rundfunkaufsicht erhielt daraufhin hunderte Beschwerden.

"Wer kann sagen, dass von 200.000 Zeichnungen meine die beste war?"

Aber Karl Lagerfeld blieb unangefochten. Um ihm herum mochten die Chefposten in den Luxushäusern in schöner Regelmäßigkeit mit neuen Designhoffnungsträgern neu besetzt werden. Lagerfeld blieb.

Karl Lagerfeld, der nach eigenen Angaben 1935 zur Welt kam – eine Geburtsanzeige in den „Hamburger Nachrichten“ deutet auf den 10. September 1933 hin – zieht 1953 mit seiner Mutter nach Paris, 1954 beginnt seine Karriere. Mit einem Wettbewerb des „Internationalen Wollsekretariats“. Lagerfeld reicht Zeichnungen eines Wollmantels ein. Und gewinnt. „Es ist doch unglaublich, dass ich mein professionelles Leben mit einem Wettbewerb mit 200.000 Mitbewerbern begonnen habe, bei dem ich den ersten Preis bekommen habe“, hat er später einmal gesagt. „Das ist doch Zufall: Denn wer kann sagen, dass von 200.000 Zeichnungen meine die beste war?“

Zufall oder nicht, Lagerfeld lernt den Modeschöpfer Pierre Balmain kennen, der Juror des Wettbewerbs ist. Balmain stellt den jungen Deutschen als Assistenten an, der Wollmantel geht in Produktion.

Bei Balmain macht Lagerfeld eine Schneiderlehre, nach drei Jahren verlässt er das Unternehmen und macht sich als Designer für verschiedene Modelabels wie Chloé oder Fendi einen Namen. 1983 wird er dann Kreativdirektor für Chanel – und erweckt das traditionsreiche aber wenig moderne Luxusmodehaus zu neuem Leben. Er erneuert das klassische Chanel-Kostüm, variiert Schnitte, Stoffe, Farben und Längen, experimentiert mit Bändern und Fransen. Seine Designs sind immer elegant und innovativ, aber auch umstritten. Chanel ist bald wieder angesagt, unter seiner kreativen Führung steigt das Unternehmen zu einem Modeimperium auf. Und Lagerfeld, der Deutsche, zum Weltstar.

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, würdigte Lagerfeld mit den Worten: „Er war Paris.“ Er war der Modelmacher, von allen Models bewundert. Claudia Schiffer, Nadja Auermann wurden durch in berühmt. Zuletzt Kendall Jenner, Lily-Rose Depp und Kaia Gerber. Die Models verehrten ihn. Auch Inès de la Fressange hat er berühmt gemacht.

Claudia Schiffer, die Lagerfeld wohl ähnlich viel zu verdanken hat wie er ihr, teilt am Dienstag über ihr Management mit: „Karl war mein Zauberpulver. Er verwandelte mich von einem schüchternen deutschen Mädchen in ein Supermodel. Er lehrte mich Mode, Stil und das Überleben im Fashionbusiness. Was Warhol für die Kunst war, war er für die Mode. Er ist unersetzlich. Er war der einzige Mensch, der Schwarzweiß bunt machen konnte. Ich bin ihm ewig dankbar.“

Chanel vielleicht ebenso. Lagerfeld, der einen Vertrag auf Lebenszeit hatte, erregte mit bombastischen Modenschauen Aufmerksamkeit, in denen er einmal eine Demo auf französischen Straßen mit Topmodels nachstellte, mal einen ganzen Supermarkt mit Regalen voller Chanel-Nudeln, Kaffee und was man sonst so zum Luxusleben braucht, aufbaute, oder gleich den Eiffelturm. Zuletzt hatte er die Karibik im Pariser Grand Palais nachgebaut, mit weißem Sand, Palmen und tiefblauem Meer.

Lagerfelds Vermögen wird auf 400 Millionen Euro geschätzt

Das Pariser Geschäft seiner eigenen Marke Karl Lagerfeld befindet sich auf dem Boulevard Saint-Germain. Dort ist alles in Schwarz gehalten, Regale, Tische und Fußböden. Sein Atelier gleich um die Ecke in einem alten Paris Stadtpalast ist luftiger mit mehr Weiß und Holz und vielen Spiegeln.

Die Karl-Lagerfeld-Group hat ihren Sitz in Amsterdam und kündigte 2016 an, bis 2019 den Umsatz auf 400 Millionen Euro verdreifachen zu wollen. Im Geschäftsjahr, das am 31. März 2018 endete, war die Marke bei 350 Millionen Euro angelangt, inklusive die Erträge der Lizenznehmer. Das seien 35 Prozent mehr als in Vorjahr, hieß es. Grund für den Zuwachs: Es wurden in den letzten Jahren weltweit immer mehr Läden eröffnet. Lagerfelds Vermögen wird auf 400 Millionen Euro geschätzt.

Für die Marke, die trotz aller Wachstumsambition immer ein wenig lieblos geführt wirkte, traf er Vorbereitungen. In einem Film verkündete er vor zwei Wochen auf Instagram, dass die ehemalige französische Chefredakteurin Carine Roitfeld sich jetzt mit um die kreative Leitung kümmern würde. Nicht so sehr die Botschaft, sondern vor allem der Zustand Karl Lagerfelds versetzte die Modewelt endgültig in Alarmbereitschaft: Mit so brüchiger Stimme hatte er noch nie gesprochen, sein Gesicht schien eingefallen. Erstaunlich, dass er sich überhaupt noch zeigte, einer, der oft verächtlich über menschliche Schwächen sprach.

An Rückzug war für ihn nicht zu denken. Er gab Bücher heraus, mal waren es seine Fotografien seiner Villa in Südfrankreich, mal zeichnete er, inszenierte Claudia Schiffer melodramatisch zusammen mit Brad Kroenig, seinem männlichen Lieblingsmodel, oder veröffentlichte seine Bonmots, die er für die „Die Welt“ geschrieben hatte.

Das Altwerden hat ihm nicht gefallen. Er sagte einmal, dass er sich wünscht, wie Coco Chanel bei der Arbeit zu sterben. Auch für Deutschland ist sein Tod tragisch, war Lagerfeld doch der Beweis, dass Deutsche zu echter Kreativität fähig sind, die sogar den Franzosen den Rang abläuft. Denn spätestens mit dem Tod von Yves Saint Laurent – der den Wollsekretariatswettbewerb Mitte der 50er Jahre mit einem Abendkleidentwurf ebenfalls gewonnen hatte – war er die letzte verbliebene Ikone der französischen Mode.

Lagerfeld und Saint Laurent waren befreundet, doch dann wurden sie Rivalen. Zerstritten haben sie sich auch deshalb, weil die vielleicht große Liebe Lagerfelds, der Dandy Jacques de Bascher, zum Liebhaber Saint Laurents wurde. Um Jacques de Bascher, der 1989 starb, hat Lagerfeld sein Leben lang getrauert. Er hatte wenige enge Freunde und Mitarbeiter. Seine rechte Hand war in den Chanel-Ateliers seit 1997 Virginie Viard, die ihn bei der letzten Chanel-Schau auf dem Laufsteg ersetzte und ihn nun auch bei Chanel ersetzen soll. Sie hatte das erste Mal mit ihm im Jahr 1987 zusammengearbeitet. Sie sagte über ihn: „Karl ist die Begegnung meines Lebens.“ Er über sie: „Sie ist mein rechter Arm und mein linker.“

Er besaß 300.000 Bücher, wirkte selbst wie ein wandelndes Lexikon

Paris war seine Wahlheimat, seit der Jugend war er der Stadt verbunden. Doch bis zum Ende blieb er Deutscher. Er bewegte sich in einem kleinen Umkreis. Er lebte sehr zurückgezogen mit Katze Choupette in der Rue de l’Université im Viertel Saint-Germain-des-Prés, wo sich auch die Ateliers seiner Marke Karl Lagerfeld befinden. Die Katze war ein Geschenk von einem seiner Lieblingsmodels, Baptiste Giabiconi. Sein Leben bewegte sich in diesen Arbeitskreisen, Mitarbeiter wurden zu engen Freunden. Er erzählte oft, dass er nur wenige Stunden schlafe und meist arbeite. Er bezeichnete sich selbst als „Maschine“. In seinem Palast war er von Büchern umgeben, rund 300.000 Bücher besaß er, wirkte selbst wie ein wandelndes Lexikon.

Zu seinem engen Kreis gehörte seit 30 Jahren auch Eric Pfrunder, der sich um das Markenimage von Chanel kümmert. Außerdem Caroline Le Bar, die seit mehr als 30 Jahren die Öffentlichkeitsarbeit der Marke Karl Lagerfeld leitete. Sie schwärmte über Lagerfeld als ihre „große Inspiration“, seiner „leichten und schlauen Konversation, seines Enthusiasmus’ und seiner Kreativität“ wegen. Sébastien Jondeau war sein Leibwächter und sein Mann für alles seit über 20 Jahren. Zu Lagerfelds engen Freunden gehörte seit Jahrzehnten auch Caroline von Monaco. Sein Patensohn Hudson Kroenig, Sohn des Models Brad Kroening, stand bei ihm oft auf dem Laufsteg.

Am Dienstag, kurz nach Bekanntwerden seines Todes, ist Lagerfelds Frankreichs beherrschendes Medienthema. „Le Figaro“ bezeichnet ihn als „eine Ikone“, „Le Monde“ als den „letzten Kaiser“. Und „Le Parisien“ schreibt über ihn als den „der großen Modeschöpfer von Chanel“.

In einem Interview der „New York Times“ wurde Lagerfeld 2015 gefragt, ob er glücklich sei. „In dem Moment, in dem du dir diese Frage stellst, bist du niemals glücklich“, antwortete er. „Also stelle ich mir die Frage nicht, was wohl bedeutet, dass ich glücklich sein muss. Ich hatte viel Glück, ich habe die Schule nicht beendet, nichts gelernt. Es ist alles Improvisation, trotzdem geht es mir nicht so schlecht. Glück ist nichts, das dir das Leben schuldet.“

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