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Mann und Maschine. Künstlerhauschef Christoph Tannert in der Geburtstagsschau „Das mechanische Corps“.
© Doris Spiekermann-Klaas

Das Künstlerhaus Bethanien wird 40: Jünger als die Revoluzzer

Kreuzberger Institution: Das Künstlerhaus Bethanien wird 40 und feiert mit einer Steampunk-Ausstellung. Ein Geburtstagsbesuch.

Seinen 40. Geburtstag feiert das Künstlerhaus Bethanien mit Volldampf. Im Wortsinn. In den Ausstellungsräumen des Künstlerhauses Bethanien rattert und wummert es in allen Ecken. Eine Galeere schiebt sich hoch über den Köpfen der Besucher an Drahtseilen nach vorne, eine verrostete Nähmaschine beginnt unvermittelt rasant loszuhämmern. An den Wänden hängen Zeichnungen von fantasievollen, kruden Flugobjekten. „Das mechanische Corps“ heißt die Schau, mit der die Kreuzberger Institution ihr Jubiläum feiert, ein großer Spaß auf den Spuren des Fantasten Jules Verne und des in den 1980er Jahren populär gewordenen schrulligen Steampunks, einer Subkultur-Bewegung zwischen Nostalgie und Science-Fiction, zwischen Zahnradmechanik und Hightech, die der Aufbruchstimmung des viktorianischen Zeitalters huldigt.

Neben Comiczeichnern wie dem Franzosen Moebius, der utopische Welten erschaffen hat, präsentieren sich Steampunk-Bastler wie Richard Doc Nagy, der einem funktionstüchtigen Laptop eine Art Deco-Optik gegeben hat, mit Lederbespannung und Löwenfüßchen. Dazu gesellen sich namhafte Künstler, Lieblinge der Berliner Kunstszene, die ebenfalls der Faszination alter Technik verfallen sind. Ralf Ziervogel lässt eine Kerze unterhalb einer Glühbirne abbrennen. Michael Sailstorfer hat eine Miniatur-Freiheitsstatue, einst Wunderwerk der Gusstechnik, auf einen Bohrer geschraubt und gräbt mit der rotierenden Spitze ein Loch in die Wand. Alicja Kwade hat eine alte, mechanische Bahnhofsuhr mit Spiegelfläche verkleidet, so dass nur noch das Ticken zu hören ist.

So schnell vergeht die Zeit, so schnell vergehen 40 Jahre Künstlerhaus Bethanien. Eine historische Ausstellung ist es aber nicht geworden. „Wo soll man da anfangen“, sagt Christoph Tannert, Künstlerischer Leiter des Hauses. Mehr als 1000 Künstler sind durch das Programm gelaufen. „Das wäre wie Perlen auf eine Schnur ziehen.“ Außerdem hat das Künstlerhaus vor fast genau vier Jahren seinen traditionsreichen Standort verlassen. Es ist von der ehemaligen Diakonissenanstalt Bethanien am Mariannenplatz in die Lichtfabrik an die Kottbusser Straße gezogen. Der Retro-Futurismus der Schau bezieht die Vergangenheit und die Zukunft ein. Kein schlechtes Thema für einen Geburtstag.

Als das Künstlerhaus Ende 1974 unter der Leitung von Michael Haerdter seine Arbeit aufnahm, füllte es eine Leerstelle in West-Berlin. Zwar gab es bereits das Austauschprogramm des DAAD, zehn Jahre früher von den Amerikanern, der Ford Foundation, gegründet. Die internationalen Gäste aus aller Welt bereicherten mit ihrem Aufenthalt die Stadt – was in diesen hochpolitisierten Zeiten fehlte, war ein Ort des Diskurses, des öffentlichen Verhandelns über Kunst. Draußen tobten Kreuzberger Klassenkämpfe, als die ersten Künstler ihre Studios bezogen, unter ihnen der amerikanische Konzeptkünstler Ed Kienholz. Klingende Namen sollten folgen. 1982 saß Marina Abramovic 22 Tage lang und sieben Stunden täglich im Künstlerhaus dem Performancekünstler Ulay gegenüber und starrte ihn an. Der belgische Maler und Choreograf Jan Fabre kam, Die Tödliche Doris, Olaf Metzel, Via Lewandowsky, Thomas Hirschhorn, Norbert Bisky, Tim Eitel. 1992 bewarb sich Sasha Waltz, damals in Deutschland kaum bekannt. Nach ihrem Stipendium blieb sie in der Stadt und prägt sie bis heute mit.

Zunächst war das Künstlerhaus auch eine zwingende Reaktion auf die Verwischung der künstlerischen Grenzen seit den siebziger Jahren. Nicht nur Maler und Bildhauer wurden eingeladen, auch Bühnenkünstler, Theater- und Tanzleute, Autoren: Susan Sontag hielt eine Lesung, Samuel Beckett, Patrice Chéreau, Luc Bondy, Heiner Müller oder Ariane Mnouchkine waren Gäste. Es gab Ausstellungen, Performances, Happenings und Konzerte. Die Kunst, die dort entstand, war raumgreifend, kein kleines, leicht verkäufliches Format. Das Künstlerhaus positionierte sich in einer Grauzone zwischen Museum und Kunsthalle, fernab des Kommerzes. Nach der Wiedervereinigung wehte Konkurrenz um die altehrwürdigen Mauern. In der Auguststraße in Mitte gründete Klaus Biesenbach Anfang der Neunziger in einer alten Margarinefabrik die Kunst-Werke, ebenfalls Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst. Es entstanden Orte wie die Sophiensäle.

Am Mariannenplatz musste das Profil geschärft werden, Unverwechselbarkeit musste her. Seit 2000 beherbergt das Atelierhaus deshalb nur noch bildende Künstler. Die Verschlankung hatte aber auch einen ökonomischen Effekt. Die Einrichtung wurde fit gemacht für die Verteilungskämpfe im Aufbruch-Berlin „Aus einem Supertanker wurde eine Barkasse“, sagt Tannert, der ab 1991 Projektleiter war und zur Jahrtausendwende vollends die Geschäfte übernommen hat. Heute steht das Künstlerhaus nach eigenen Angaben gut da. Das Land Berlin bezuschusst mit 700 000 Euro. Das reicht für die Grundsicherung des Apparats. Gelder für das Programm und die Stipendien müssen Tannert und seine Mitarbeiter über Drittmittelgeber und Sponsoren eintreiben. Bis 2016 ist das Haus mit seinen 25 Studios bereits ausgebucht.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe er damals den Mariannenplatz verlassen, sagt Tannert. „Das Gebäude hatte schon Flair.“ Aber anhaltende Querelen mit Besetzern, die den Südflügel des Hauses eingenommen hatten, ließen den Kurator um das Image seines Atelierprogramms fürchten. Den Namen Bethanien hat er mitgenommen, was häufig immer noch für Verwirrung sorgt. Inzwischen hat die Institution ein junges, internationales Publikum gewinnen können, das den alten Standort und die Geschichte des Hauses gar nicht mehr kennt. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen dafür, sich ständig neu zu erfinden, wie das Künstlerhaus weiß.

Selbstbewusst wirbt es auf seinen Jubiläumsplakaten mit den Slogans: „Das Künstlerhaus wird 40. Unsere Künstler sind jünger.“ Oder: „Immer noch jünger als die meisten anderen Kreuzberger Revoluzzer.“ In den Kiez hinein soll jenes Kunstwerk strahlen, das im Herbst dieses Jahres fertiggestellt sein wird. Der israelische Künstler Erez Israeli gestaltet die Brandmauer des Ausstellungstrakts mit den Namen der einstigen Erbauer der Lichtfabrik – des jüdischen Brüderpaars Leo und Felix Israel. In Erinnerung daran, dass die Nazis erst die Namen bekannter jüdischer Geschäfte von den Fassaden entfernten – und danach die Besitzer selbst verschwanden. Die Graffiti und linken Parolen, die jetzt schon drum herum prangen, bleiben.

Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, bis 3.8., Di-So 14-19 Uhr

Anna Pataczek

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