40 Jahre Kunsthaus Bethanien: Die Unzeitgemäßen
Vor 40 Jahren eröffnete die erste Ausstellung im Kunstraum Bethanien am Mariannenplatz in Kreuzberg. Immer wieder war er für einen Skandal gut – und spuken soll es auch.
Auf dem Weg zum Dienstältesten im Kunstquartier Bethanien geht es vorbei an einem kleinen Café, vor dem ein junger Mann sitzt und in eine Waffel mit zu Boden rieselndem Puderzucker beißt. Vorbei an einer müden Schulklasse, die von ihrer Stadtführerin zur Theodor-Fontane-Apotheke gelotst wird. Vorbei an einer Gruppe Schweizer Kunststudenten aus Genf, die ihre Arbeiten in einer kleinen Ausstellung präsentieren. Und vorbei an den Räumen der Musikschule, wo gerade eine Sopranistin singt und ihr Lehrer immer wieder hineinredet. Am Ende des Gangs steht der Dienstälteste, Stéphane Bauer. Seit 22 Jahren arbeitet er in dem ehemaligen Krankenhaus, seit zehn Jahren als Leiter des Kunstraums Kreuzberg, einer der Mieter des Hauses Bethanien am Mariannenplatz. Eigentlich könnte Bauer am heutigen Freitag feiern. Vor 40 Jahren eröffnete die erste Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, einer der kommunalen Galerien des Bezirks. Doch der Geburtstag wird nicht begangen. „So ein rückwärtsgewandtes Jubiläum wäre nicht zeitgemäß“, findet der Kurator.
Das Kunsthaus Bethanien ist nicht nur für seine Skandale bekannt
Lieber solle man sich das Haus anschauen, sehen, welch bunte Mischung von Menschen, Künsten und Institutionen heute unter einem Dach lebt. „Besuchen Sie unsere aktuelle Ausstellung“, sagt Bauer. Quasi als Beweis für die konstante Aktualität. „In Search of Europe“ heißt die Schau und beschäftigt sich mit der abnehmenden globalen Bedeutung des Alten Kontinents. Künstler aus Mosambik, Ägypten oder Bulgarien und Wissenschaftler des Zentrums Moderner Orient in Berlin haben das Projekt erarbeitet. Es ist eine sehr umfangreiche und komplexe Zusammenstellung von Videoarbeiten, Fotografien und Rauminstallationen geworden, typisch für den Kunstraum Kreuzberg, der Besucher immer auch herausfordern will. Immer wieder bewegt er sich dazu auch aus den altehrwürdigen Mauern heraus. 2007 deklarierte die kommunale Galerie das Spazierengehen zur Kunstform, jüngst versteckte die Schau „Open Monuments“ vergängliche Denkmale im Kiez. Immer wieder war die Institution auch für Skandale gut. Vor neun Jahren ereiferte sich die Berliner Boulevardpresse über die Ausstellung „When Love Turns to Poison“, vor allem eine gehäkelte halb nackte Wollpuppe von Françoise Cactus, der Sängerin von Stereo Total, erregte den Vorwurf der Pädophilie. Nur ein Jahr später hagelte es wieder Kritik: Das Street-Art-Festival „Backjumps“ erhalte Projektgelder für Graffitisprayer, obwohl der Berliner Senat und die Polizei mit viel Aufwand gegen sie vorgehen. Heute sind die Namen der Künstler zum Teil weltbekannt. Sogar Neuseeland berichtete, als 2011 unter mehreren Wandschichten plötzlich wieder ein Banksy-Bild im Bethanien zum Vorschein kam.
Viele prominente Künstler haben hier begonnen
Einen gesellschaftspolitischen Anspruch hat der Kunstraum von Beginn an, na ja, fast. Bauer kramt die Einladungskarte der ersten Ausstellung hervor. Gezeigt wurden Bilder des Surrealisten Paul Struck. Ein Jahr später, als Dieter Ruckhaberle, der spätere Direktor der Staatlichen Kunsthalle, die Leitung von Elise Tilse übernahm, wurden die Themen kritischer, die ersten Projekte mit Migranten aus der Nachbarschaft entstanden. Das Quartier wurde, was es heute noch ist: ein Zentrum für Kunst und Kultur. Lange war um die Nutzung des 1847 im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. erbauten Gebäudes gerungen worden. Die einen wollten das Krankenhaus nach seiner Schließung komplett abreißen. Wäre der Plan gelungen, stünden heute vier Hochhäuser auf dem Areal. Die anderen forderten eine Kinderklinik, wie etwa das sogenannte „Kampfkomitee Bethanien“, das mehrmals die erste Ausstellung störte.
Schon bald zogen weitere Mieter aus dem Kulturbereich ein, wie etwa die Druckwerkstatt des Künstlerverbandes bbk. Noch heute sitzt sie im ersten Stock des Hauptgebäudes. Der schwedische Künstler Emanuel Bernstone steht im Flur und klebt das feinmaschige Netz seines Siebdruckrahmens sorgfältig mit Paketband ab. Er hat sich für eine Woche hier eingemietet und schwärmt: „So eine großzügige Einrichtung ist wirklich einmalig auf der Welt!“ Auch aus dem Ausland kommen daher Künstler extra angereist, um hier ihre Drucke herzustellen. In den Sälen stehen die farbbespritzten Walzen. Scanner surren friedlich vor sich hin. Bernstone zeigt auf die vielen Plakate an den Wänden. Hier hängt die Geschichte des Hauses Bethanien, prominente Namen wie Albert Merz, Jörg Immendorff, Georg Baselitz. „Zurzeit arbeitet auch Daniel Richter hier“, verrät Bernstone, bevor er sich wieder über seine Arbeit beugt.
Das Bethanien entwickelt sich zu einem Berliner Kunstschwerpunkt
Auch das Künstlerhaus Bethanien, ebenfalls über Jahrzehnte Mieter, hat klangvolle Namen an den Mariannenplatz gebracht. Mehr als 900 Künstler haben in den Ateliers der Förderinstitution gearbeitet. Es gab Performances und Ausstellungen mit Marina Abramovic, Olaf Metzel, Jan Fabre, Norbert Bisky oder Tim Eitel. 2010 dann ist das Künstlerhaus aus dem Gebäude ausgezogen. Leiter Christoph Tannert sah sich dazu gezwungen, nachdem Besetzer fünf Jahre zuvor den Südflügel eingenommen hatten. „Wir wurden massiv bedrängt“, sagt Tannert, er fürchtete um das Image seines Atelierprogramms. „Wir sind damals mit einem lachenden und einem weinenden Auge gegangen, das Gebäude hatte schon Flair.“ Nicht nur, weil es angeblich spuken soll in dem weitläufigen Haus mit den langen Gängen und dem knarzenden Boden. Er selbst glaube da zwar nicht dran, sagt der Programmleiter, „aber es gibt Künstler, die das nicht nur aus Spaß erzählt haben“.
Den Namen „Künstlerhaus Bethanien“ nahm Tannert als Marke mit an den neuen Standort an der Kottbusser Straße, nur wenige Minuten entfernt vom Mariannenplatz. Stéphane Bauer findet das immer noch „bedauerlich“, denn bis heute führt das zu Verwirrung. Genauso wurmten ihn die Unkenrufe, die nach dem Auszug des Künstlerhauses den Abstieg des 15 000 Quadratmeter großen Kunstquartiers bevorstehen sahen. Das Gegenteil trat ein. Die Hausbesetzer haben inzwischen Mietverträge, das Restaurant „Drei Schwestern“ zieht mit seinem großzügigen Gewölbe viel Publikum an, vor Bauers Büro wurden Beete für ein Urban-Gardening-Projekt angelegt, um die sich türkische Nachbarn genauso wie deutsche Rentner kümmern, 17 Ateliers sind an Künstler vermietet, außerdem haben sich zahlreiche Gruppen und Dachverbände der Darstellenden Künste angesiedelt, darunter auch das erfolgreiche Performancekollektiv She She Pop. „Irgendwann werden wir die Geschichte des Hauses aufarbeiten“, sagt Stéphane Bauer. Aber im Moment ist er einfach froh, wie gut sich das Geburtstagskind entwickelt.
„In Search of Europe“, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, bis 12.1., tgl. 12–19 Uhr, www.kunstquartier-bethanien.de