Michael Hanekes „Happy End“: Jeder für sich
Niemand ist hier glücklich und wird es auch nicht: Michael Hanekes bitterböses bürgerliches Sittengemälde „Happy End“ mit Isabelle Huppert.
Einmal steht Ève, die Enkelin, in der Tür und der Großvater bittet sie herein. Ève ist unschlüssig, schließlich nähert sie sich doch. Der Großvater erzählt ihr, dass er seine Frau erstickt hat, nachdem sie lange schwer krank war. Es ist die Geschichte aus „Amour“, es ist derselbe Schauspieler, Jean-Louis Trintignant. Michael Haneke wollte noch einen Film mit ihm drehen, Trintignant ist jetzt 86. „Happy End“ lässt sich als Fortsetzung von „Amour“ sehen, fünf Jahre nach der Tragödie hat Haneke eine kühle Komödie gedreht. Nach dem Film über das Sterben und die Liebe einen Film über die Lieblosigkeit der Lebenden, in dem einem das Lachen vergeht.
Ève und der greise Firmenpatriarch, er heißt Georges Laurent, reden miteinander. Zögernd, leise spricht das Mädchen über die Tabletten, die es genommen hat, oder besser: Sie sagt nichts direkt über den Suizidversuch, nur darüber, wie sie einmal ein blödes Mädchen im Ferienlager zu vergiften versuchte. Auch das ist nur die halbe Wahrheit, aber immerhin. Nur der Zuschauer weiß, wie Èves depressive Mutter zu Tode kam.
Die Enkelin und der Großvater, es ist der einzige Moment der Nähe in „Happy End“, eine kurze Verständigung über die Einsamkeit, die mögliche Schuld, die Lebensmüdigkeit. Sonst bleibt in diesem Film jeder für sich, koste es, was es wolle.
Der Filmtitel ist der Hohn, typisch Haneke
Der Schauplatz: Calais, die Stadt am Ärmelkanal, wo die Flüchtlinge versuchen, durch den Tunnel nach England zu kommen und mit Zäunen davon abgehalten werden. Hier steht die Villa der Familie Laurent, eine bourgeoise Dynastie in der Krise. Das Bauunternehmen ist pleite, man verhandelt über Kredite mit einer Londoner Bank, diskret versteht sich. Drei Generationen leben unter einem Dach, Georges, seine tüchtige Tochter Anne, die die Firma jetzt leitet (Isabelle Huppert, die Tochter schon in „Amour“), sein Sohn Thomas (Mathieu Kassovitz) mit zweiter Ehefrau, Baby und nun auch der 13-jährigen Ève (Fantine Harduin), dem Kind aus erster Ehe. Das Dienstpersonal nicht zu vergessen, Rachid und Jamila (Hassam Ghancy, Nabiha Akkari), Migranten aus dem Maghreb. Sie gehören zum Inventar, wie der große, etwas unbändige Hund, und so werden sie auch behandelt.
Der Filmtitel „Happy End“ ist der Hohn, typisch Haneke. Hier ist niemand glücklich und wird es auch nicht. Huppert verkörpert einmal mehr die kalt berechnende Chefin, die einen bösen Baustellenunfall unter den Teppich zu kehren versucht und die ihrem Sohn und erklärten Nachfolger Pierre (Franz Rogowski) mit herrischer Autorität begegnet, ist er doch aufmüpfig, ein Trinker, das schwarze Schaf: der Einzige, der nicht in der Villa lebt. Praktischerweise verlobt sie sich mit eben jenem Briten, der in London den Kredit einfädelt. Thomas wiederum hat eine Geliebte, mit der er auch per Chat seine sexuellen Fantasien auslebt, er leidet an der eigenen Heuchelei.
Haneke ist der Moralist unter Europas Autorenfilmern
Ève durchschaut ihren Vater, sieht die Verlogenheit, leidet an der Bigotterie der Erwachsenen. Eine Alleingelassene, ein Opfer, das sich auf die Täterseite schlägt. Ihre Beobachtungen vertraut sie dem Smartphone an, filmt heimlich, schreibt Textnachrichten ohne Adressaten.
Und der alte Georges? Er will nicht mehr, nur misslingen all seine Selbstmordversuche. Er fährt das Auto an den Baum und sitzt dann im Rollstuhl, vergeblich die Bitte um Sterbehilfe an den Friseur, vergeblich die Zufallsbegegnung auf der Straße mit afrikanischen Flüchtlingen, die ihm eine Waffe besorgen sollen.
Der Österreicher Haneke, der in Frankreich dreht, zum wiederholten Mal auch mit deutschen Geldern (und mit der Berliner Firma X-Filme), ist der Moralist unter Europas Autorenfilmern. Seine Nüchternheit und Unbestechlichkeit schärfen seinen Blick seit jeher. „Happy End“ hat er ein Motto vorangestellt: „Rundherum die Welt und wir mittendrin, blind.“ Im „Zeit“-Interview sagte der 75-Jährige: „Wir haben die Welt dauernd vor Augen, aber sie geht uns nichts an.“ Er bleibt auf Distanz, filmt aus der Perspektive von Èves Handy und kadriert die Bilder mitunter auch so, verzichtet weitgehend auf Close-ups, erzählt elliptisch, konzentriert den Plot auf das Nötigste.
Hanekes Strenge ist sein Markenzeichen geworden, aber er frappiert einen immer wieder damit. Wie er den letzten Rest von Empathie in stoischen Gesichtern ausmacht. Wie er die Gleichgültigkeit hinter der zivilisierten Höflichkeit zutage fördert, die Mechanismen der Abschottung. Es sind nur Nuancen, in einer Stimme, einer Geste. Die freundliche Herablassung gegenüber den arabischen Dienstleuten. Die knappe Art, wie Huppert einen Anrufer wegdrückt. Èves Blick auf das Baby, die Furcht, die Haneke für eine Sekunde beim Zuschauer weckt, sie könnte auch dem Halbbruder aus Neid etwas antun. Die kurze Erinnerung des Großvaters an den Raubvogel, der im Garten einen kleinen Vogel zerfetzte. Was ist der Mensch gegen die Grausamkeit der Natur.
Die Flüchtlinge kommen beiläufig ins Bild
Familie Laurent, die Festung Europa? Es wäre eine plumpe Metapher, kämen die Flüchtlinge nicht so beiläufig ins Bild. Eine Warteschlange auf der anderen Straßenseite. Der Wortwechsel mit weggeblendetem Ton, wenn Georges sie wegen der Waffe anspricht: Auch stumm versteht man sofort, wofür er sie braucht.
Haneke thematisiert nicht zuletzt die eigene Ratlosigkeit, die eigene Bigotterie, wenn der Außenseiter Pierre zu Annes Verlobungsfeier ins Nobelrestaurant am Meer ein paar Afrikaner mitbringt, um die feine Gesellschaft aufzumischen. Auch Pierre bedient sich ihrer für den eigenen rebellischen Zweck. Worauf Anne die Flüchtlinge kurzerhand integriert und einen Tisch für sie eindecken lässt.
Eine bittere Farce. Auch das kennt man bereits von Hanekes Filmen. Aber vielleicht wehrt man mit diesem „Nichts Neues“-Reflex nur die Erkenntnis ab, wie verloren und herzenskalt schon eine 13-Jährige sein kann.
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