Interview mit Michael Haneke: "An Mozarts Werken kann man nur scheitern"
Die Liebe, die Musik und die Liebe zur Musik: Regisseur Michael Haneke über seine "Così"-Inszenierung in Madrid und seine Aussichten auf einen Oscar am Sonntag in Los Angeles.
Am Samstag feiert Michael Hanekes Inszenierung der Mozart-Oper „Così fan tutte“ im Teatro Real in Madrid Premiere, einen Tag später werden in Los Angeles die Oscar-Gewinner bekannt gegeben. Zu den nominierten Filmen gehört auch Hanekes Ehe- und Altersdrama "Liebe", der nicht nur als bester nichtenglischsprachiger Film ins Rennen geht, sondern auch in der Königsdisziplin Bester Film sowie für Regie, Drehbuch und mit Emmanuelle Riva auch in der Kategorie Beste Darstellerin. Fünf Nominierungen für einen ausländischen Film, das ist äußerst ungewöhnlich in der Geschichte der Oscars. Nun hat der 70-jährige österreichische Filmemacher ("Funny Games", "Das weiße Band") in Madrid in einer Presserunde Auskunft über seine Opernarbeit und seine Oscar-Aussichten gegeben.
Herr Haneke, wie fühlen sie sich vor der Oscar-Verleihung? Sie sind fünf Mal nominiert, welche Auszeichnung möchten sie am liebsten haben?
Jede. Ich bin aber viel nervöser, was die Opernpremiere anbelangt, weil dabei vieles schief gehen kann. Bei der Oscar-Verleihung haben die Herrschaften schon abgestimmt und ich kann nichts mehr dazu beitragen, egal ob sie für oder gegen mich gestimmt haben.
Sie inszenieren zum zweiten Mal eine Mozart-Oper, nach "Don Giovanni" 2006 in Paris. Was ist der Unterschied zwischen Opern- und Filmregie?
Ich glaube, dass Kino und Oper mehr miteinander zu tun haben als Kino und Theater, und zwar wegen des Rhythmus. Sie können ein gutes Drehbuch und gute Schauspieler haben und trotzdem einen schlechten Film machen, wenn sie kein Gefühl für den Rhythmus der Geschichte entwickeln. Das Musiktheater fordert das Gleiche. Ich glaube, dass der Film eine Zusammenfassung aller Kunstformen sein kann, nicht muss – meistens ist es das nicht. Beim Einbringen von Realität hat er der Oper sehr viel voraus. Aber der Film ist erst gut hundert Jahre alt, die Oper viele hundert Jahre. Man sollte sie vielleicht doch nicht miteinander vergleichen.
Arbeiten Sie mit Schauspielern und Sängern in der Oper anders als im Film?
Ich arbeite immer auf die gleiche Weise. Ich habe ja 20 Jahre lang Theater gemacht, bin also geübt darin, auf einer Bühne zu arbeiten. Manchmal vergesse ich hier in Madrid aber, dass ich mit Sängern arbeitete, und sage dann, die Schauspieler sollen auf der Bühne da oder dort hin gehen. Filme machen ist ein relativ komplexer Vorgang, weil man auch von Technik etwas verstehen muss. Ohne dieses Wissen können die Schauspieler zwar wunderbar spielen, aber es wird nicht funktionieren. Aber die größte Freude beim Film bleibt die Arbeit mit den Schauspielern. Was das Technische und Organisatorische betrifft, muss man eher zittern, dass es so funktioniert, wie man es haben möchte. Da wird man selten mit etwas beschenkt, was über das hinausgeht, was man sich vorstellt. Bei Schauspielern aber kann das geschehen, das sind dann die seltenen Momente, nach denen man dann abends glücklich nach Hause geht.
Operninszenierung: Mozart ja, Wagner nein.
Bei „Così fan tutte“ geht es um eheliche Treue, Eifersucht und Versuchungen – eine Oper zum Mitleiden?
Ich möchte nicht über meine Oper sprechen. Ich möchte ja auch nie über meine Filme sprechen, weil ich glaube, dass es nicht gut ist, wenn der Autor sich selber interpretier und Gebrauchsanweisungen gibt. Das ist kontraproduktiv, weil der Zuschauer das ja mit seinen Augen sehen soll, nicht durch meine Brille. Lassen Sie sich überraschen!
Was ist entscheidend, wenn man eine historische Oper wie „Così fan tutte“ inszeniert?
Ich glaube, dass es bei jeder Inszenierung eines historischen Werks eine Verpflichtung gibt, sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart mit einzubeziehen. Wie inszeniere ich heute eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert? Die rein historisierende Aufführung ist eine Illusion, weil wir nicht wissen, wie das Stück zu Mozarts Zeiten interpretiert wurde. Wir wissen bestenfalls, wie es in den letzten 80 Jahren interpretiert wurde. Die Menschen, die nach einer authentischen Aufführung rufen, orientieren sich meistens daran, was sie als Kinder gesehen haben. Wenn es einen Magier gäbe, der uns in eine Aufführung zu Mozarts Zeiten bringen könnte, würde uns das vermutlich nur irritieren. Wir sind jedes Mal neu verpflichtet, uns mit dem Werk auseinanderzusetzen, zu sehen, was es uns heute zu sagen hat, abgesehen von der vorgegeben, schönen ästhetischen Form.
Warum machen Sie überhaupt Opern-Inszenierungen?
Ich bin natürlich vorrangig Filmregisseur. Opernregisseur zu sein, ist in erster Linie ein Vergnügen. Ich inszeniere natürlich nur Stücke, von denen ich glaube, dass sie mir einigermaßen gelingen können. Ich glaube außerdem, dass man an großen Komponisten und großen Werken, wie Mozart sie geschrieben hat, nur scheitern kann. Man kann nicht erfüllen, was er uns vorgibt. Es stellt sich nur die Frage, auf welchem Niveau man scheitert. .
Würden Sie sich auch an eine Wagner-Oper wagen?
Ich verehre Wagner sehr, aber ich würde ihn nie inszenieren. Ich habe einen realistischen Inszenierungsstil, da liegt es für mich nahe, Mozart zu machen. Nach „Don Giovanni“ 2006 hatte ich mindestens 15 Angebote von diversen Opernhäusern. Ich habe sie alle abgelehnt, nicht weil ich die jeweiligen Werke nicht schätze, sondern weil ich der falsche Mann dafür bin.
Und werden Sie sich von Gerard Mortier, damals Intendant in Paris und jetzt in Madrid, ein drittes Mal zu einer Opernregie überreden lassen?
Ich habe gesagt, das ist meine letzte Oper. Ich muss mich erstmal wieder hinsetzen und ein Drehbuch schreiben. Das nimmt Zeit in Anspruch. Danach wird man dann sehen.
Es gibt bei Ihrem Film „Amour" ("Liebe") starke Reaktionen und Betroffenheit auch beim jungen Publikum, obwohl es um alte Menschen, Krankheit und Sterben geht. Wie erklären Sie sich das?
Man will ja die Leute berühren, will die Menschen erreichen. Ich denke, bei "Liebe" hat es auch damit zu tun, dass es sehr persönlich ist und jeder das Thema in seiner eigenen Familie finden kann. Wenn man jung ist, sind es die Großeltern, bei den Älteren sind es die Eltern und irgendwann hat man das Thema selber am Hals.
Sie machen Musiktheater, aber welche Rolle spielt die Musik in Ihren Filmen?
Ich hasse die so genannte Filmmusik, die alles zusuppt und dazu da ist, die Mängel der Spannung, der Inszenierung und des Drehbuchs zu kaschieren. Ich bin da sehr zwiespältig: Natürlich kann Musik ein wunderbarer Bestandteil eines Films sein. Vor allem, wenn man bereits vorhandene Musik nimmt und diese dann als Zitat erscheint, welches die Bilder assoziativ anreichert. Zum Beispiel hört Jean-Louis Trintignant in einer Szene von „Liebe“ einen Choral von Bach, mit dem Text: „Ich rufe dich, Herr Jesus Christ, aus tiefer Not“. Wer das versteht, für den hat es einen Mehrwert, wer es nicht versteht, hört eben Musik. Man kann Musik im Film kontrapunktisch verwenden.
Geht es auch bei Mozarts „Così“ um den so genannten „Bürgerkrieg“?
Wenn man zwischenmenschliche Beziehungen beschreibt, und das macht „Così“, dann ist man mitten im Bürgerkrieg, wie ich ihn verstehe. Bürgerkrieg bedeutet für mich nicht der Kampf von Klassen gegen Klassen oder das Austragen sozialer Konflikten. Mit Bürgerkrieg meine ich den täglichen Kleinkrieg zwischen dir und mir, mir und dir. Die Verletzungen, die wir uns dabei zufügen, sind die Wunden, die dazu beitragen, dass es zu großen Kriegen kommt.
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