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Stell dich ein: Anja Harteros (Feldmarschallin) und Magdalena Kozená (Octavian).
© dpa

Philharmoniker eröffnen Osterfestspiele: Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker spielen Strauss’ „Rosenkavalier“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden, Brigitte Fassbaender führt Regie.

Es hätte ein Dreamteam werden können. Einerseits Brigitte Fassbaender als Regisseurin, die den „Rosenkavalier“ wie kaum ein anderer kennt, die die Oper bereits viermal inszeniert und den Octavian unzählige Male gesungen hat. Andererseits die Berliner Philharmoniker, die Richard Strauss’ „Komödie für Musik“ zum allerersten Mal erarbeiten und sich somit ganz unbelastet die hochdifferenzierte Partitur aneignen.

Leider schlagen aus dieser spannungsreichen Konstellation aber zu wenig Funken. Der Abend, der die dritten Baden-Badener Osterfestspiele eröffnet, ist keine Offenbarung. Es gibt zwar starke szenische Momente, und Richard Strauss’ Musik wird im Orchestergraben unter der Leitung von Sir Simon Rattle frisch aufpoliert. Aber eine wirkliche musikalisch-szenische Durchdringung des Stoffs findet kaum statt. Es ist mehr ein Neben- als ein Miteinander, zumal die klangliche Balance immer wieder gefährdet ist.

Dabei beginnt dieser „Rosenkavalier“ in der Orchestereinleitung spektakulär: Simon Rattle, der die Oper bereits mit Anfang zwanzig beim Glyndebourne Festival dirigiert hat, entdeckt bei Strauss viel Testosteron. Die Hornschlenker klingen so lüstern wie Brunftschreie. Eine unerhörte Vitalität liegt in diesem Vorspiel, die vom Superlegato der Streicher weich gebettet wird. Man hört alles – jedes kleinste Detail. Rattle zoomt die Partitur heran. Die feinen Verästelungen erscheinen wie unter dem Mikroskop. Dennoch ist die aus dem Orchestergraben strömende Opulenz nicht unproblematisch, weil sie auch das Beiläufige wichtig nimmt und deshalb den speziellen Konversationston dieser Musik zu stark emotionalisiert. Dann wird jeder Kaffeeklatsch gleich zur Debatte. Und die Leichtigkeit ist dahin.

Warum sich trotz der dynamisch sehr flexibel agierenden Berliner Philharmoniker der Gesang vor allem im ersten Akt in den Weiten des Festspielhauses verliert, liegt vielleicht auch am Bühnenbild von Erich Wonder, das den Klang nicht reflektieren kann. Jedenfalls ist im rechten Parkett Magdalena Kozenás Interpretation des Octavian mehr zu erahnen als zu erleben, zumal die Mezzosopranistin mit der Rolle des jungen Liebhabers zumindest anfangs fremdelt. Es knistert nicht zwischen der wunderbar vielschichtigen Marschallin von Anja Harteros und ihrem Quinquin. Sie ist verloren auf ihrem überlangen Sofa, in dessen Hintergrund eine nächtliche Großstadt aus luftiger Höhe zu sehen ist.

Erich Wonders Bilder auf den Schleierwänden sind mehr Assoziationen als konkrete Verortungen. Ein Theaterraum wird im zweiten Akt zur leeren Fabrikhalle, die wiederum zum Schlafsaal mutiert. Überblendungen sorgen für weitere Abstraktion. Was die transparenten Bilder miteinander verbindet, sind Stimmungen wie Einsamkeit oder Vergänglichkeit. Brigitte Fassbaender spielt damit, wenn sie den Sänger beim Lever (mit schönstem Belcanto: Lawrence Brownlee) vor das Scheinwerferlicht des Theaterbildes stellt oder die Industriearchitektur im zweiten Akt mit Nähmaschinen samt Näherinnen auf der Bühne kombiniert, die die Grundlage von Faninals Reichtum zeigen (sonor und schön schmierig: Clemens Unterreiner). Es ermöglicht ihr auch, die Auftritte der Personen im Hintergrund bereits anzukündigen und neben dem Haupterzählstrang kleinere Geschichten anzureißen. Aber es fehlt an Fokussierung. Und letztlich auch an einer Idee, die das Disparate zusammenhält.

Dabei gelingen durchaus starke Momente. Die von Strauss musikalisch entrückte Überreichung der Rose im zweiten Akt wird von Fassbaender wie auch das Lever als Rokoko-Zitat inszeniert (Kostüme: Dietrich von Grebmer). Von den Berliner Philharmonikern in ein helles, fast unwirkliches Licht getaucht, entwickelt sich die Szene zu einer psychologisch präzisen Studie der Annäherung zwischen Sophie (mit kristallinem, gelegentlich eine Spur zu hoch intonierendem Sopran: Anna Prohaska) und Octavian, die von der resoluten Marianne Leitmetzerin (wuchtig: Irmgard Vilsmaier) genau beäugt wird. Im dritten Akt beim Stelldichein mit Mariandel zeigt die Regisseurin Baron Ochs, dem Peter Rose viel Bassfundament und Spielwitz verleiht, als nicht mehr ganz so liebenswerten Proleten mit cholerischem Potenzial.

Beim großen finalen Tohuwabohu (Philharmonia Chor Wien/Einstudierung: Walter Zeh), das die Berliner Philharmoniker zu einem grandiosen Walzeralbtraum aufpeitschen, weist schließlich Anja Harteros mit ihrem üppig strömenden, farbenreichen Sopran ihren polternden Verwandten in die Schranken. Ehe sie im seligen Terzett mit Magdalena Kozená und Anna Prohaska zu betörenden Philharmoniker-Klängen vor der eindrucksvollen Kulisse einer eisigen Gebirgslandschaft die Zeit stehen lässt. „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“, besingen Sophie und Octavian für einen Moment ihr Glück. Dann räumt der Chor entschlossen die Bühne ab und klatscht dem jungen Paar Beifall.
Weitere Vorstellungen am 2. und 6.4., www.osterfestspiele.de

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