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Wild entschlossen: Simon Rattle.
© AFP/ Christophe Simon
Update

Simon Rattle geht zum London Symphony Orchestra: Rückkehr des verlorenen Sohns

Simon Rattle wird im September 2017 Musikdirektor beim London Symphony Orchestra. Dass der britische Dirigent zum Ende seiner Zeit bei den Berliner Philharmonikern doch wieder einen Chefposten übernimmt, kursierte schon länger als Gerücht.

Natürlich gingen Gerüchte um, Simon Rattle könne nach dem Ende seiner Berliner Zeit im Sommer 2018 zurück in seine Heimat gehen. Es wäre ja auch verrückt, wenn sich die britischen Orchester nicht um den berühmtesten Dirigenten der Insel reißen würden. Aber vorstellen konnte man sich das Szenario kaum: Nicht aus dem lokalpatriotischen Dünkel heraus, dass nach einem Job bei „unseren“ Philharmonikern jeder andere Chefposten einen Abstieg bedeuten würde. Sondern im Wissen darum, wie spärlich die Kultursubventionen seit Margaret Thatchers Zeiten in Great Britain fließen, wie hart also das Künstlerleben ist, zumal in einer Hochpreismetropole wie London.

Würde sich Simon Rattle, dann bald 64, diesem Stress aussetzen wollen, bei dem vor der künstlerischen Arbeit stets der Kampf um die Finanzierung der Projekte steht? Mal abgesehen davon, dass in London auch die Probenzeiten viel knapper bemessen sind als in Berlin. Oft hat Simon Rattle die Bedingungen kritisiert, unter denen dort Musik gemacht wird.

Das Orchester residiert im Barbican Centre in London, einem Beton-Monsterkomplex aus den 80er Jahren

Er hat es dennoch getan: Am gestrigen Dienstag gab er auf einer Pressekonferenz im Barbican Centre bekannt, dass er im September 2017 den Posten des music director beim London Symphony Orchestra übernehmen werde, als Nachfolger von Valery Gergiev, der zu den Münchner Philharmonikern wechselt. Rattle will es sich in London zur Aufgabe machen, Musik einem breiteren Publikum zu vermitteln. „Wir müssen Evangelisten sein und nicht nur Hohepriester.“ Über seine Zeit in Berlin sagte er: „Es gab nicht einen einzigen Tag, an dem ich nicht zehn neue Dinge gelernt habe.“ Es sei faszinierend gewesen, in einer anderen Kultur zu arbeiten. Die Philharmoniker hätten seine Entscheidung „sehr großzügig“ angenommen. Sie wählen am 11. Mai einen neuen Chefdirigenten.

Das Barbican in London ist die Heimstatt des LSO, ein Monsterkomplex aus den Achtzigern, ein Multifunktions-Center, in dessen Fluren die Klassikfans abends picknicken, weil es sich nicht lohnt, zwischen Job und Konzert in die Vororte raus und wieder ins Zentrum zu fahren. Die Concert Hall des Barbican hat 1500 Plätze – also rund 900 weniger als Scharouns Philharmonie – und eine legendär schlechte Akustik. Rattle selber beschrieb die dortige Art der Klangentwicklung einmal mit den Worten: „Die Barbican Hall ist wie ein Klavierdeckel. Ich bin sicher, dass das nicht geplant war, denn so etwas tut man nicht mit Absicht.“ Erst vor drei Wochen konnte sich Sir Simon erneut von den Unzulänglichkeiten des Barbican überzeugen, als er im Rahmen seiner Europatournee mit den Berliner Philharmonikern alle Sibelius-Sinfonien in London aufführte.

Warum dennoch die Entscheidung fürs London Symphony Orchestra? Hat er den Aufenthalt in der britischen Hauptstadt womöglich dazu genutzt, mit George Osborne, dem Schatzkanzler der Regierung von David Cameron, konkrete Eckpunkte für den Bau eines dritten Londoner Konzertsaals auszumachen? Cameron hatte jüngst erklärt, er sei davon überzeugt, ein solcher Neubau würde nicht nur der Stadt großen künstlerischen, bildungspolitischen und ökonomischen Nutzen bringen, sondern sogar dem ganzen Land. Eine Machbarkeitsstudie ist in Arbeit.

Es sähe Rattle ähnlich, wenn er gegenüber der Politik die patriotische Karte ausspielt und sein LSO-Engagement von dem Bauprojekt abhängig machen würde: Der verlorene Sohn kehrt heim – und bekommt vom dankbaren Staat einen Saal geschenkt.

Mit dem Orchester verbindet Rattle allerdings auch eine lange Liaison: Zum ersten Mal stand er als 22-Jähriger vor den Musikern, das war 1977. Bei den Olympischen Spielen 2012 traten Rattle und das LSO mit Rowan Atkinson auf, zuletzt erarbeitete er im Januar mit ihnen ein typisches, stilistisch enorm weit ausgreifendes Rattle-Programm, das den Bogen von Schumann über Strawinsky, Webern und Berg bis zu Ligeti spannte.

Dass er mit den Philharmonikern keine „Bis dass der Tod euch scheide“-Verbindung eingehen wolle, hat Rattle übrigens schon bei seiner Berufung erklärt. Weil ein lebendiges Musizieren voraussetzt, dass man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt. Der Wechsel nach London kommt zur rechten Zeit. Immerhin: Die Familie Rattle will in Berlin wohnen bleiben. „Ich kann mir gegenwärtig nicht vorstellen, nicht in Berlin zu wohnen“, sagte er. Rattle ist mit der tschechischen Mezzosopranistin Magdalena Kozená verheiratet, das Paar hat drei Kinder. Aus seiner ersten Ehe hat Rattle zwei Kinder.

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