"Don Carlo" bei den Salzburger Festspielen: Im Himmel sehen wir uns wieder
Peter Stein hat Verdis „Don Carlo“ bei den Salzburger Festspielen inszeniert. Es war die gefragteste Aufführung dieses Jahres. Seit Monaten war sie sechsmal ausverkauft. Trotzdem gelingen Stein nur in den Liebesszenen überzeugende Bilder, nicht im politischen Teil der Oper.
Es ist die Geschichte einer tiefen unmöglichen Liebe, die Peter Stein in den Mittelpunkt seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ stellt. „Addio, mia madre!“ und „Addio, mio figlio!“. So nehmen zwei Königskinder Abschied voneinander als Mutter und Sohn. Sie halten sich umschlungen, während sie vom Wiedersehen in besseren Welten singen. Und waren doch in Fontainebleau ein jugendliches Paar, verlobt und verliebt, bevor Elisabetta di Valois durch ihre Heirat mit dem alternden König Spaniens für dessen Sohn zur Stiefmutter wurde. Carlo, Kronprinz des spanischen Weltreichs, bleibt Gefangener seiner unglücklichen Liebe zu der jungen Königin.
Dieses letzte Lebewohl begreift und zeigt der Regisseur als verzweifelten Versuch, die Liebe in den Himmel zu verlagern. Dass diese große Szene bezwingend klingt, verdankt sich Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Die variable, nur gelegentlich flackernde Stimme der Sopranistin mit ihren leuchtenden Höhen und der Tenor Kaufmanns, der eher vom Schubert- und Wagnerton geprägt ist, verbinden sich in diesem Stück ideal. Längst werden die beiden Gesangsstars ein Traumpaar genannt.
Die ganz unhistorische Tragödie des Infanten von Spanien fügt sich als Familiengeschichte in ein politisches Staatsdrama ein. Und hier gibt es leider von der Szene, die Steins Stammbühnenbildner Ferdinand Wögerbauer mit viel Symmetrie und Annamaria Heinreich mit kleidsamen Renaissance-Kostümen ausgestattet haben, weniger Erhellendes zu berichten.
Peter Stein ist bekanntlich ein Regisseur, der Streichungen verachtet
Im Großen Festspielhaus gelingt es nicht, die gefragteste Aufführung der Salzburger Festspiele im Verdi-Jahr – sechsmal seit Monaten ausverkauft – zu einem wirklich bedeutenden Theaterabend zu machen. Das gilt auch musikalisch. Zwar betören die Wiener Philharmoniker mit Details wie den Hörnern in der „Morgendämmerung“, der dumpfen malerischen Tongebung der Streicherbässe mit tiefen Bläsern in der Szene des Großinquisitors, überhaupt Einzelstimmen der Klarinette, des Englisch-Horns, der Cellomelodie im Monolog des Königs „Sie hat mich nie geliebt“. Auch verleiht die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor dem in der Ferne altertümlich psalmodierenden Mönchschor feines Kolorit. Aber Maestro Antonio Pappano, der das Werk seit vielen Jahren (zuerst 1996 in Paris) dirigiert, wirkt unentschlossen in seinen Tempovorstellungen und seltsam eigenschaftslos im dramaturgischen Verlauf.
Von Verdis reichster Oper, ursprünglich bestellt für die Pariser Weltausstellung 1867, sind nicht weniger als sieben Fassungen vorhanden, in französischer und italienischer Sprache. Peter Stein ist bekanntlich ein Regisseur, der den Rotstift verachtet und keine Ausführlichkeit scheut. Das heißt in diesem Fall, auch noch in der „Probenfassung“ zu gründeln. Und siehe da: Die Choreinleitung mit den Holzfällern und ihren Frauen, die unter Krieg und Winterkälte leiden, ist ein starker Opernauftakt. Er macht begreiflich, warum Elisabetta ihr privates Glück dem Wohlergehen ihres französischen Volkes opfert. Aus den mehrfach verwobenen Schicksalen, die daraus folgen, entsteht jedoch in Salzburg keine Lebensunmittelbarkeit.
Zentrale Gestalt des Schiller’schen Dramas ist der Marquis Posa, der wie Carlo den unter Spaniens Herrschaft stehenden Niederlanden die Freiheit schenken will. Und in der Oper das triumphierende Freundschaftslied, das in Momenten der äußeren Niederlage leitmotivisch leise anklingt. Dieser Posa sollte als aufgeklärter Idealist erscheinen, Revolutionär, zugleich Pylades neben Orest-Carlo in mediterraner Männerfreundschaft und doch führender Bariton. Von alledem kann der heutige Thomas Hampson kaum etwas aufbieten, routiniert singend arbeitet er sich durch die Rolle. So repräsentiert auch Ekaterina Semenchuks Prinzessin Eboli kein rechtes Leidenschaftsgeschöpf aus unerwiderter Liebe, Rache und Reue, ihre Gestaltung begnügt sich in wohltönendem Mezzo ohne Aufreger.
Schön sieht das alles aus. Aber es tut nicht weh.
Bleiben von den sechs Protagonisten die beiden Bässe: Der Großinquisitor in Gestalt von Eric Halfvarson, eher fallsüchtig als starr und maskenhaft, wie es der Allmacht des Greises gemäß wäre, disputiert relativ spannend mit dem König des Matti Salminen. Der hat gesagt, dass er die – hier ebenfalls erweiterte – Rolle des Filippo nun zum letzten Mal singen werde. Und die rührende Lebenswahrheit dieses betagten Herrschers lässt spüren, welche Persönlichkeit und menschliche Darstellungskunst sich mit ihm zurückzieht.
Die Hofdamen bilden vor mattgrünem Grund mit Planschbecken ein anmutiges Kollektiv. Manches Bild erinnert an alte Gemälde. Viel Staffage, auch hübsche operettige Lampions gehören dazu. Die vom „Heiligen Offizium“ verurteilten Ketzer, die immerhin auf den Scheiterhaufen getrieben werden, benehmen sich putzig wie aus dem Bilderbuch. Werktreu stellt sich Peter Stein den verstorbenen Kaiser Carlo V. als Märchenfigur vor, der seinen Enkel vor der Folter der Inquisition bewahrt und zu sich in den Tod entrückt. An dieser Stelle wird auch sichtbar, dass die Autorität des Großinquisitors in der Oper besiegt ist.
Bis dahin jedoch erstreckt sich der Abend über fünf Stunden. Dekorativ rennen die Volksmengen auf die Bühne, um sogleich Choraufstellung anzunehmen und das Rampensingen zu beginnen. Dazu Aufmärsche wie aus holdem Vorgestern. Das „Fest“ der Ketzerverbrennung wird zum Breitwand-Tableau. Harmloser, ungefährlicher lässt sich die Szene einer Hinrichtung durch die kirchlich unterwanderte Staatsmacht nicht vorstellen als in den schönen bunten Bildern von Peter Stein. Vom Premierenpublikum wird er herzlich gefeiert, mehr noch die Musiker und das Ensemble.
Nichts tut weh. Es sei denn, mit Achtung gesagt: dieses „Addio!“ von Mutter und Sohn.
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