Eine Begegnung mit Sven Marquardt: Isolation Berlin
"Stageless": Ein Treffen mit dem Fotografen und Berghain-Türsteher Sven Marquardt im Friedrichstadt-Palast, wo es eine Schau seiner Arbeiten gibt.
Schon merkwürdig, Sven Marquardt an einem Ort wie dem Friedrichstadt-Palast zu treffen. Glamour gibt es hier zwar haufenweise, zumindest so lange der Laden bis zum Lockdown Mitte März lief, einen betont grellen Glamour, weit weg von jeglicher Düster- und Subkultur.
Aber selbst wenn an dieser Stätte an der Friedrichstraße auch Nick Cave oder PJ Harvey Konzerte gespielt und ein ihrer Musik und ihrem Outfit entsprechendes Publikum angezogen haben: Marquardt sticht noch einmal besonders hervor aus dem Mittagsgewusel des Friedrichstadt-Palastes und seiner Umgebung, erst recht tagsüber, an einem strahlenden Spätsommertag.
Nicht nur seines vielfältigen Kopfschmuckes wegen, die grauen Haare hinten zu einem Zopf gebunden. Es reichen die Klamotten, die er trägt: grünes Bomberjäckchen, weißes Hemd, schwarze Hose, weiße Socken und schwere Doc-Martens-Halbschuhe mit roten Schnürsenkeln.
Von heute an gibt es bis Ende November im Erdgeschoss des Friedrichstadt-Palastes eine Ausstellung mit Arbeiten von Marquardt, der zwar als Türsteher des Berghains bekannt und zusammen mit dem Club weltberühmt geworden ist, seit vielen Jahren aber hauptberuflich als Fotokünstler sein Leben bestreitet.
Marquardt hat die Tänzerinnen und Tänzer der „Vivid Grand Show“ porträtiert, fast dreißig Mitglieder dieses internationalen Ensembles, und das lange vor der Corona-Krise, im Oktober des vergangenen Jahres.
Nun steht er an diesem Mittwochmittag zunächst draußen vor einem Seiteneingang des Palastes an der Johannisstraße, an einer Stahlgitter-Installation neben dem Gebäude. Die ganze Zeit neben ihm, auch beim Gespräch, warum auch immer: sein Assistent, der seinerseits in einer Ben-Sherman-und Adidas-Kluft steckt.
Und Marquardt erzählt, wie es zu der ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit dem Musical-und Revue-Theater kam – nicht ohne vorab darauf hinzuweisen, dass er von manchen Medien nicht so viel hält: „So ist das mit der Presse, jeder kann seinen Senf dazu geben.“
„Mich reizte die Gegensätzlichkeit“
Der Friedrichstadt-Palast hatte die Idee. Ein junger Mitarbeiter, der Marquardts Fotoarbeiten kannte und mochte, schlug ihm vor, das „Vivid“-Ensemble zu porträtieren. „Ich musste nicht lange überlegen", sagt Marquardt, so nah ihm der Palast als geborener Ostberliner einerseits ist, mit seinen Kindern- und Jugend-Revues, „die man zu Ostzeiten mit der Schulklasse besucht hat“, so fern andererseits, was seine kulturelle Sozialisation betrifft. „Mich reizte die Gegensätzlichkeit – und so weit sind die Welten dann nicht entfernt: ein Publikum, eine Inszenierung braucht jede Kunstform“.
Zumal er ein Jahr zuvor erst für das Spielzeit-Heft der Staatsoper Hannover ein Tanzensemble fotografiert hatte. Der Verwendungszweck dieses Mal war jedoch vage, unklar. Zum Beispiel wurde überlegt, ein Coffee-Table-Buch mit den Porträts zu machen; oder Marquardt dachte daran, die Bilder auf dem Weg in die Friedrichstraße in U-Bahnhöfen oder am S-Bahnhof Oranienburger Tor zu präsentieren.
Nachdem er die Show ein paar Mal gesehen hatte, wusste er, dass der ganze Glamour sowieso nichts für ihn war, Licht, Kostüme und Choreografie nicht zu toppen waren, es um was anderes gehen musste: „Wir bauen ein ganz eigenes Set und versuchen die Metamorphose von dem Bühnen-Ich der Tänzer zu ihrer eigenen Person darzustellen.“
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Die Aufnahmen mit den Mitgliedern des Ensembles machte er tagsüber, vor und nach dem Training für die Shows, und zwar in einem Lastenfahrstuhl des Palastgebäudes, einem improvisierten Studio mit naturgemäß abgeschabt-heruntergekommenen Dielenböden und alten weiß-leuchtenden Neonröhren an der Decke. Ein ideal-typisches Marquardt-Setting, könnte man sagen.
Bereits auf den ersten, oberflächlichen Blick erkennt man die Handschrift des Berghain-Granden: Die meisten der Close-ups und Porträts sind schwarz-weiß, manche wegen der Lichtverhältnisse betont unscharf gehalten. Die Tänzer und Tänzerinnen sind von ihrem Bühnenglitzer befreit, wirken wie dunkle Nachtgestalten. Ob das mit der angestrebten Ich-Verwandlung so geklappt hat, lässt sich allerdings nur schwer feststellen.
Man hat bei all dem Inszenierungseifer, den fordernden Blicken, den Posen weiterhin den Eindruck, als führe das Bühnen-Ich weiterhin unbeirrt Regie.
Als der Auftrag von Marquardt erledigt worden war, man von Seiten des Friedrichstadt-Palastes schon erste Verlage für einen Fotoband kontaktiert hatte, kam die Corona-Krise. Das Haus musste schließen, auch in naher Zukunft gibt es dort keine Aufführungen. Für Sven Marquardt als freischaffender Künstler war der Einschnitt ein totaler, existentieller.
„Vollbremsung“, nennt er das: „Das halbe Jahr war heftig. Isolation.“ Er sagt das in einer ruhigen Tonlage, wie fast alles, und doch wandert er auf einmal vor dem Stahlgitter hin und her, von einer gewissen motorischen Unruhe getrieben.
Melancholie ist eins der Leitmotive von Marquardt
Auf die Frage, was für ihn alles weggebrochen sei, meint er, etwas weiter ausholen zu müssen. Da erklärt er zunächst unvermittelt, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr vorwiegend an der Tür des Berghains gestanden habe. Und ergänzt, wie zu Beginn unseres Gesprächs dezent warnend: „Es entstehen ja immer Berghain-Überschriften. Ich bin dort viel weniger vor Ort als man denkt.“
Ein oder zweimal im Monat noch habe er vor dem Lockdown an der Berghain-Tür den Einlass kontrolliert. „Wenn ich eben in der Stadt war, das aber sehr gern. Der Job hat was Bodenständiges, gerade wenn man aus dem Kunstbetrieb kommt. Die Jugendkultur ist etwas Inspirierendes für meine Arbeit, eine ideale Schnittstelle".
Marquardt hat sich daran gewöhnt, dass er in der Regel zuerst der Mann vom Berghain ist und danach erst der Fotograf. Daran habe er sich gewöhnt, manchmal nerve es ihn, wenn in Redaktionen, „in denen sie ja auch arbeiten!“, der Name des Berghains und sein Türsteherjob „mehr Clicks, mehr Leser“ verspricht. Doch er weiß natürlich, dass er von diesem Ruf profitiert.
Ja, und auch das: „Stolz“ sei er auf die 25 Jahre in der Clubkultur, „auf das Haus, die Bekanntheit des Ladens“, die aktuelle Daseinsform als „Museum of modern art“: „Allein der Eröffnunsgabend! Das war auch schon wieder ein melancholischer Moment.“
Melancholie ist eins der Leitmotive von Marquardt, in seinen Fotos von den Heldinnen und Helden der Subkultur, aber wohl nicht zuletzt für ihn selbst. Nachdem in den vergangenen Monaten eine Gastdozentur an einer Modeschule in Florenz nicht möglich war, seine Bilder in einer Gruppenausstellung in Rotterdam nicht gezeigt werden konnten, drehte er zumindest einen kleinen Film, einen „melancholischen“, sagt er. Dessen Titel: „Isolation“.
Das Setting der Ausstellung besteht aus Baugerüsten
Man sieht Marquardt darin auf leeren Berliner Straßen herumgehen oder zuhause in seinen Fotoalben blättern, dazu ertönen einzelne elegische Klaviertöne und der Fotograf spricht aus dem Off darüber, wie es ihm gerade zumute ist. Ob die Corona-Krise mit ihren Begleiterscheinungen vielleicht eine andere, neue Kreativität bei ihm freigesetzt hat? „Ja, vielleicht. Aber die Betrachtungsweise des Ganzen ist mit Anfang, Mitte zwanzig doch anders als mit Ende fünfzig“.
Er lacht bei diesen Worten, leicht meckernd. Und fügt an, weiterhin lachend: „Ich habe mit Ihnen gerade das Gefühl, dass das hier so eine Rückschau der letzten sechs Monate ist, nicht eine Werkschau der Tänzer und Tänzerinnen des Friedrichstadt-Palastes. Wollen wir rein?"
Doch, Sven Marquardt ist durchaus auskunftsbereit, aber auch reserviert. Es sprudelt nicht gerade aus ihm heraus, auch drinnen im Friedrichstadt-Palast nicht. Hier stehen Baugerüste, an denen seine Porträtfotos aufgehängt sind. Die Ausstellung, sinnigerweise „Stageless“ betitelt, erinnert bei gedimmt-schummerigem Licht an einen Parcours durch einen improvisierten Club-Keller der neunziger Jahre, alter Underground eben.
Mitten im Foyer hängt hoch und zentral ein riesiges Porträt, das von Beatrice, die herausfordernd-arrogant, sprichwörtlich von oben herab den Fotografen anblickt. Rechts und links an den Treppenaufgängen gibt es zwei Leinwände, auf denen die Fotos noch einmal per Video zu sehen sind.
Die Atmosphäre ist stimmig, sie passt zu den Fotos. Die haben bei näherer Betrachtung gleichermaßen Spontanität und Dynamik, so als hätten die Tänzerinnen und Tänzer allein qua Profession dem melancholischen Fotografen den Blick gelenkt, ihm Form und Bewegung vorgegeben. Marquardt erzählt noch, wie gut die Zusammenarbeit mit C/O Berlin vonstatten gegangen sei, mit dem Kurator Felix Hoffmann, und dass sich das Ausstellungssetting mit den Baugerüsten förmlich anbot, da der Palast die Arbeiten an einer neuen Lüftungsanlage wegen der erzwungenen Schließung vorgezogen habe. Nach dem Rundgang, wieder draußen, kurz vor der Verabschiedung, wird Sven Marquardt von einem Passanten erkannt und gefragt: „Gibt es eine Vernissage morgen?“ Und er antwortet: „Ja, aber stark personenbegrenzt. Nur mit Anmeldung. Eher ein soft-opening“.
Gerrit Bartels