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Die einfachen Dinge des Lebens. Vincent van Goghs „Stillleben mit einem Teller Zwiebeln“ (1889).
© Kröller-Müller Museum, Otterlo,

Van Gogh im Museum Barberini: In Schwingung versetzt

Psychogramme eines Malers: Das Potsdamer Barberini-Museum zeigt van Goghs atemlose Entwicklung anhand seiner Stillleben.

Ganz glauben kann man es nicht. Da finden Jahr um Jahr zahllose Ausstellungen des wohl populärsten Künstlers der Moderne statt. Doch ausgerechnet das Stillleben, das ein Fünftel seines über 800 Arbeiten umfassenden Œuvres ausmacht, soll bisher unberücksichtigt geblieben sein?

Erst Anfang der Woche wurde im Frankfurter Städel die „Making van Gogh“-Schau eröffnet, die sich mit seiner Bedeutung für die deutsche Avantgarde beschäftigt. Die Londoner Tate Gallery beleuchtete das Verhältnis zu Großbritannien, das Noordbrabants Museum in ’s-Hertogenbosch das familiäre Umfeld und die Freunde.

Es gibt wohl kein Thema – vom Porträt bis zu den Landschaften und der Farbe –, zu dem nicht mindestens eine Ausstellung gemacht worden wäre. Außer zum Stillleben.

Der Kunsthistoriker Michael Philipp, damals noch beim Hamburger Bucerius Kunstforum, entdeckte vor neun Jahren diese Lücke und plant seitdem die Erfüllung seines Kuratorentraums, eine Van- Gogh-Ausstellung neuer Lesart. Das dauert, denn nichts ist schwieriger, als Leihgaben zu bekommen. Von Publikumsmagneten trennt sich kein Museum gern.

Mit der Berufung der Bucerius-Direktorin Ortrud Westheider ans Barberini-Museum wechselte auch Philipp nach Potsdam, seine Idee weiterhin im Gepäck.

Nur 27 Bilder im Barberini?

Das Konzept des Tandems Westheider-Philipp, sich die durch eine Ausstellung noch nicht gewürdigten Aspekte eines Künstlerstars vorzuknöpfen, geht nach Beckmanns Welttheater, Richters Abstraktion und Picassos Spätwerk nun zum vierten Mal auf.

Die Aussicht, nicht nur für die reine Feier einer gesicherten Größe, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis einen Beitrag leisten zu können, bewegt die Besitzer, ihre Werke herzugeben. Auch an ein Haus, das keine Gegengaben zu bieten hat.

27 Bilder insgesamt konnte Philipp akquirieren. Allein das Kröller-Müller-Museum im holländischen Otterlo, das nach dem ebenfalls als Leihgeber vertretenen Amsterdamer Van-Gogh-Museum weltweit die größte Kollektion des Künstlers besitzt, gab ein Dutzend Gemälde.

Sie täte das gerne, erklärte Direktorin Lisette Pelsers mit einem strahlenden Lächeln bei der Eröffnung – wenn die Umstände stimmen, sprich: Versicherung, Klima, Transport. In Potsdam aber passt’s. Das Barberini hat sich seit seiner Eröffnung im Januar 2017 einen guten Ruf erarbeitet, das Publikum dürfte ihm wieder sicher sein.

Generös verweist es auch auf die parallele Frankfurter Ausstellung: Mit insgesamt 70 Gemälden in beiden Häusern sind so viele van Goghs in Deutschland zu sehen wie seit der wegweisenden Retrospektive 1914 in der Berliner Galerie Cassirer nicht mehr.

Die Stillleben spiegeln van Goghs rasante Entwicklung

Nur 27 Bilder im Barberini? So könnte man ungnädig fragen. Doch dahinter verbirgt sich eine ganze Welt, das gesamte Schaffen des Künstlers. Entlang dieses von den Kuratoren bisher so vernachlässigten Genres – obwohl die Sonnenblumen als die „Mona Lisa“ der Moderne gelten – lässt sich die rasante Entwicklung der nur ein Jahrzehnt währenden Künstlerkarriere nachverfolgen.

Sie beginnt mit den brauntonigen Gemälden der ersten Jahre und führt zu den Pariser Blumenstillleben, mit denen sich der Künstler zur freieren Farbgebung, dem pastosen Auftrag vorantastete. Am Stillleben probiert sich van Gogh aus, wagt er die nächsten Schritte.

Hier gelingt ihm der Durchbruch, entwickelt er seine eigene Handschrift mit dem signifikanten Strichelstrich, der das auf einem Tisch platzierte Obst umkreist, als wären es Eisenfeilspäne, die es zum Magneten zieht. In diese kosmische Bewegung wird van Gogh später die Felder, den Himmel und die Sterne einbeziehen.

Vor allem in den letzten drei Sälen folgt man dieser Entwicklung atemlos und erlebt als Finale – an der abschließenden Wand, als einziges Werk im Raum – das Fest der Farbe in Gestalt eines blühenden Kastanienzweigs, dessen weiße Blüten zu explodieren scheinen.

Farbe als Mittel gegen die Depression

Hinter diesem übersprühenden Versprechen des Frühlings, einem jubelnden Neubeginn aber verbirgt sich ein verzweifeltes Aufbäumen gegen die Depression. Schon in Auvers, kann auch der berühmte Dr. Gachet nicht verhindern, dass sich van Gogh zwei Monate später das Leben nimmt.

Man steht vor diesem größten Stillleben, studiert den temperamentvollen Strich, der in den Kastanienblüten so ungestüm ist, als hätte der Künstler die Farbe direkt aus der Tube gedrückt und mit dem Pinselstiel wieder weggekratzt, und bekommt eine Ahnung von den Kräften, die an ihm zerrten.

Allein für dieses Bild aus der Zürcher Sammlung Bührle lohnt es sich, nach Potsdam zu reisen.

Und nicht eine einzige Sonnenblume? Nein, denn von den insgesamt sechs noch existierenden Versionen, mit denen van Gogh zur Monochromie vorstieß, geht keines mehr auf Reisen. Um dieses Verdikt wissend hat Philipp trotzdem in München, London, Philadelphia, Tokio und Amsterdam nachgefragt und sich überall Absagen geholt.

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Zitronen statt Sonnenblumen

Dafür bekam er zwei sonnengelbe Zitronen-Stillleben, die ebenso strahlen. An ihnen lässt sich vielleicht noch besser nachvollziehen, wie van Gogh mit den Pigmenten arbeitete. Die Flechten des rötlichen Korbs, die einzelnen Früchte im Zitronen-Stillleben mit Flasche umgeben zarte blaue Linien und versetzen das Bild in Schwingung.

Aus seinen Briefen weiß man, dass van Gogh ahnte, wie wenig Zeit ihm blieb, wie er sich für die Kunst verbrannte. In der Potsdamer Ausstellung ist dieses Feuer zu spüren. Gewiss, der Anfang 1881 mit den derben Kartoffelknollen und typisch holländischen Klompen wirkt betulich.

Aber auch rührend wie bei den Vogelnestern, die für den Ruhelosen etwas Anheimelndes symbolisieren. Der Autodidakt, der sich von seinem angeheirateten Cousin Anton Mauve unterrichten lässt, beginnt konservativ, nimmt sich die „stilleven“ des 17. Jahrhunderts zum Vorbild, in denen alles eine besondere Bedeutung besitzt.

Ein Tisch mit Obst und Kerze als Selbstporträt

Davon zeugt auch noch das Arrangement mit einem Teller Zwiebeln. Es entstand im Januar 1889 kurz nach seinem Klinikaufenthalt in Arles, der auf den Streit mit Gauguin und das Abschneiden seines linken Ohrs folgte.

Auch hier versucht sich van Gogh über die Malerei aufzubauen. Die grünen Triebe der Zwiebel repräsentieren den kreativen Schub, das danebenliegende medizinische Jahrbuch die Hoffnung auf Genesung, der Brief verweist auf die innige Verbindung zum Bruder Theo, dem er jeden zweiten Tag schrieb und der ihn zeitlebens unterstützte.

[Museum Barberini, Potsdam, Alter Markt, bis 2. 2.; Mi–Mo 10–19 Uhr. Katalog (Prestel) 29,95 €.]

Aus anderen Bildern weiß man, dass die brennende Kerze Gauguin repräsentiert, die Pfeife den Künstler selbst. Sie stehen einander an den Kanten gegenüber. Van Gogh hat hier die Koordinaten seines Lebens als konkrete Objekte auf den Tisch gelegt, wie ein Psychogramm. Banal und doch im Bild überhöht.

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