Maler Julian Schnabel im Interview: "Van Gogh ist nicht anders als jemand, der Hamburger macht"
Julian Schnabel hat van Goghs Leben verfilmt. Dafür brachte er Hauptdarsteller Willem Dafoe das Malen bei. Ein Gespräch mit ihm und seiner Ko-Autorin.
Am Anfang des Films, noch vor dem ersten Bild, sagt van Gogh aus dem Off: „I want to be one of them.“ Ich wäre gern einer von ihnen. Warum steht das am Anfang?
JULIAN SCHNABEL: Van Gogh wünscht sich, dass die Dorfleute in Arles ihn fragen: Möchten Sie etwas Tabak? Vielleicht ein Stück Schinken? Wie geht es Ihnen heute? Das ist ein ganz normaler menschlicher Wunsch. Als wir am Drehbuch arbeiteten, lautete eine Zeile: Wir können über alles reden, nur nicht über Kunst. Aber wenn wir das so im Film aussprechen würden, klingt das Wort „Kunst“ sofort selbstherrlich. Lässt man „Kunst“ weg, dann ist es eben: „Wir können über alles reden.“ Und gleich fühlt man sich näher mit van Gogh verbunden.
Van Gogh ist ein Mythos, einer der bekanntesten Künstler der Welt. Jeder kennt seine Sonnenblumen und die Geschichte mit dem abgeschnittenen Ohr. Warum wollten Sie einen Film über ihn machen?
LOUISE KUGELBERG: Wir wollten die Geschichte anders erzählen: aus der Perspektive des Künstlers. Wir wollten zeigen, was es bedeutet, ein Maler zu sein.
Sie haben sich auf seine beiden letzten Lebensjahre beschränkt. Und auch nicht sonderlich auf die Genauigkeit der biografischen Details geachtet.
KUGELBERG: Es ist kein Biopic. Wenn Menschen sagen, er wurde so nicht umgebracht, ist das eigentlich nicht relevant. Die Erfahrung mit all der Stille und den dunklen Momenten macht den Film aus.
SCHNABEL: Dass jeder denkt, er kenne van Gogh, ließ den Film unmöglich erscheinen. Noch ein Film über van Gogh? Braucht niemand. Aber in einem Film über einen Künstler sollte es auch Kunst geben. Das hat es bisher in keinem Van-Gogh-Film gegeben.
Gutes Stichwort. Van Goghs Bilder wurden von Ihnen und Willem Dafoe gemalt, der die Hauptrolle spielt. Wie einfach ist es für Sie, einen van Gogh zu kopieren?
SCHNABEL: Die Bilder sehen nicht wirklich aus wie van Goghs. Sie sehen aus, als hätte ich sie gemalt! In das Selbstporträt von van Gogh mit Pfeife habe ich Willem Dafoe hineingemalt.
Und wie war das Malen für Dafoe?
SCHNABEL: Er musste so gut malen lernen, dass es im Film echt aussieht. Er hat sich große Sorgen gemacht, dass es nicht glaubhaft rüberkommt. Er musste üben und Routine bekommen.
Sie waren sein Lehrer. Wie haben Sie das gemacht in der Kürze der Zeit?
SCHNABEL: Wenn man jemandem das Malen beibringen will, muss man ihm das Sehen beibringen. Zum Beispiel: Wenn ich Sie betrachte, sehe ich einen rötlichen Fleck auf Ihrer Nase. Außerdem sind da zwei weiße Punkte, einer hier und einer hier. Wenn Willem Dafoe jetzt hier säße, würde ich sagen, mal’ diesen Fleck. Dann mal’ die beiden weißen Punkte. Dann die beiden Schatten unterhalb der Nase. Nachdem er all diese Dinge eine Weile gemalt hätte, entstünde ein Gesicht.
Es gibt bereits viele Filme über van Gogh. Der bekannteste ist wohl „Ein Leben in Leidenschaft“ von 1956 mit Kirk Douglas.
SCHNABEL: Ich glaube, sie waren damals sehr zufrieden mit dem Film. Sie dachten, sie haben es geschafft. Im Nachhinein siehst du die Fehler und kannst sagen, den Fehler möchte ich nicht machen. Ich habe sehr viel Respekt vor Kirk Douglas. Ich bin sicher, er hat das mit viel Leidenschaft gemacht und so gut, wie er konnte. Aber der Regisseur hat die Verantwortung, den Schauspieler nicht durch den Rost fallen zu lassen. Wenn Dafoe zu sentimental wurde, haben wir das rausgeschnitten.
Sie wollten einen Film machen, in dem die quälenden Wahnvorstellungen des Malers zwar Thema sind, er aber trotzdem als normaler Mensch rüberkommt.
SCHNABEL: In einer Szene steht van Gogh auf einem Feld und malt. Eine Lehrerin kommt mit einer Schulklasse vorbei. Die Kinder sollten rufen „Ein Maler, ein Maler!“ und auf van Gogh zurennen. Aber die Castingleute brachten ihnen bei, es manieriert zu sagen: „Un peintre, un peintre.“ Das passiert, wenn die Leute einen Film über Kunst machen. Dann kommt Ehrfurcht ins Spiel. Dabei geht es einfach nur um einen Typen, der Bilder malt. Und er ist nicht anders als einer, der Hamburger macht.
Man sieht wunderbare Naturszenen, Gras, Bäume und Sonnenstrahlen spielen eine wichtige Rolle. Wie haben Sie mit der Natur gearbeitet?
KUGELBERG: Wir drehten am Originalschauplatz, wir gingen die Wege, die van Gogh gegangen sein muss. Wir filmten auch in der psychiatrischen Klinik, in der er war. Es gibt sie noch.
SCHNABEL: Wir hatten eine kleine, flexible Crew, mit der wir die Naturszenen drehten, und agierten relativ spontan. Die Landschaft und das Wetter in Arles waren uns sehr wichtig. Glauben Sie mir, es war nicht gemütlich dort, es war kalt und van Gogh war allein. Aber der Film handelt auch davon, was es bedeutet, lebendig zu sein und etwas mit den Händen zu machen. Jeder, der je etwas mit den Händen gemacht hat, wird den Film verstehen.
Wie haben Sie recherchiert, wie van Gogh sich beim Malen gefühlt hat? Haben Sie auf Ihre eigene Erfahrung als Maler zurückgegriffen?
SCHNABEL: Wir haben Vermutungen angestellt, wissen tun wir nichts. Ich kann nicht genau sagen warum, aber die Leute sehen anders aus, wenn sie aus dem Kino kommen. Wenn Sie ein gutes Bild betrachten, ist das ähnlich. Die Menschen sind allerdings nicht mehr gewohnt, sich Bilder wirklich anzusehen. Sie schauen nur, wer hat es gemalt und gehen dann weiter oder hören die Guided Tour auf Kopfhörern. Aber wenn Sie sich die Zeit nehmen und ein Meisterwerk ansehen, sind Sie nachher nicht mehr derselbe Mensch. Das ändert Ihr Leben. Van Gogh hatte diese Kraft auch. Wir schulden es ihm, ihn nicht wie ein Klischee aussehen zu lassen.
Van Gogh sagte, das Einzige, was er könne, sei malen. Bei Ihnen ist das anders. Sie malen und Sie machen Filme. Beeinträchtigt das Ihre Anerkennung als Maler?
SCHNABEL: Ja. Die Leute denken: „Oh, die Kunstwelt ist nicht groß genug für ihn.“ Manche fragen mich: „Malen Sie noch?“ Die haben keine Ahnung von der Malerei! Die Menschen schätzen es nicht besonders, wenn man viele Dinge gleichzeitig macht. In meinem Film über Jean-Michel Basquiat heißt es: „Wenn du nicht willst, dass die Leute sauer werden, musst du dasselbe Gemälde immer und immer wieder malen.“ Und so ist es.
Sie lieben Lou Reeds Album „Berlin“. Haben Sie eine besondere Beziehung zu der Stadt?
SCHNABEL: Ja, aber zuerst: Das Album heißt zwar „Berlin“, aber Lou Reed war nie hier, als er es aufnahm. Es ist in New York entstanden. Das war Lou Reeds Genie. Man glaubt, Berlin zu spüren. Ich habe einen Film zu Lou Reeds Album gemacht, und ich hatte einige Ausstellungen hier, zum Beispiel die Gruppenschau „Zeitgeist“ im Gropius Bau. Ich stellte dort neben Joseph Beuys aus, mit Georg Baselitz und Markus Lüpertz. Außerdem haben Louise und ich eine spezielle Beziehung zu diesem Hotel hier. Hier haben wir entschieden, dass wir unser Leben zusammen verbringen wollen.
KUGELBERG: In diesem Raum!
Das Gespräch führte Birgit Rieger.
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