Die Berlin-Biennale breitet sich aus: In der Geisterbahn
Die Berlin-Biennale 2016 läuft. Sie präsentiert offensiv junge Künstler. Im Bunker der Feuerle Collection aber hat die Gegenwart keine Chance.
Vielleicht wird man später einmal sagen, im Frühjahr 2016, da hat sich etwas spürbar verändert in Berlin. Sammler zog es nochmals neu in die Stadt, um sich in showrooms niederzulassen – ein wichtiges Signal für den Handel und Auftrieb für die Künstler. Auch für die Berlin-Biennale wurde ein neues Zeitalter eingeläutet, die Post-Gegenwart, wie es die New Yorker Macher Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso, David Toro nennen. „Die Zukunft fühlt sich wie die Vergangenheit an: vertraut, vorhersagbar, unveränderlich – und die Gegenwart steht mit den Unwägbarkeiten der Zukunft allein da“, lautet ihre Analyse.
Die Skepsis ist angebracht. Zur Bestätigung seiner These hat das vierköpfige Kuratorenteam vor allem junge Künstler und Künstlergruppen, knapp fünfzig an der Zahl, aus Großbritannien, Schweden, dem Iran, Thailand, Italien, Kanada, den USA, Kolumbien, Rumänien und Deutschland eingeladen. Eine nächste Generation artikuliert sich hier, komplett sozialisiert mit den neuen Medien, geübt in den Methoden des Samplings, zugleich abgeklärt und hypernervös. Wer wissen will, was in der Kunst an Allerneuestem passiert, der muss die Berlin-Biennale besuchen. Sie ist ein Stimmungsdetektor erster Güte, mögen die Werke selbst auch ein baldiges Verfallsdatum besitzen, dürften auch viele ihrer Produzenten schon bald wieder verschwunden sein.
In der Akademie der Künste sollte man sich beeilen, diesen Zipfel noch zu erhaschen, hier schwirrt und irrt es nur so herum, Bildgeflacker, trashiges Mobiliar, hippe Getränke, Mode für Cross-Gender. In den Kunst-Werken setzt sich diese Selbstsuche fort. In der Sammlung Feuerle allerdings beginnt eine Verfestigung, wie in dieser Umgebung kaum anders zu erwarten. Der Beton des Nazibunkers, die Kühle, die Dunkelheit lasten auf der Kunst, mag noch so heiter eine Miniatureisenbahn an den Werken vorüberfahren, auf deren Waggons sich der Besucher setzen kann, um aus dieser Perspektive einmal die Ausstellung zu begutachten.
Der hübsche Einfall kommt von Josephine Pryde. Die in Berlin lebende Fotografin wurde gerade für den Londoner Turner-Preis nominiert. Gleichwohl will ihre Idee hier nicht zünden. Disneyland versus Weltkriegsvergangenheit? Das führt in die falsche Richtung. Von Josephine Pryde stammen außerdem Makroaufnahmen weiblicher Hände mit pastellfarben lackierten Nägeln, die mal nach dem Mobiltelefon, dem Tablet, dem eigenen Hals greifen, als wollte die Künstlerin sich einer Unmittelbarkeit vergewissern, wo ansonsten alles Spiel, Flüchtigkeit ist. Die Werbeästhetik ihrer Bilder führt diesen Wunsch allerdings schon wieder ad absurdum.
Sie wollen die Leute erschrecken
Die Hin- und Hergerissenheit zwischen Realität und schönem Schein spricht auch aus den Materialassemblagen der chinesischen Bildhauerin Guan Xian. Sie kombiniert Autofelgen, edle Kordeln, künstliche Blumen und übermalte Bronzen, als könnte sie sich zwischen klassischer Skulptur und Alltagsobjekten nicht entscheiden. Yngve Holen nimmt eine ähnliche Fährte auf, indem er das pupillenähnliche Nazar-Motiv, einen gläsernen Talisman, den es auf der ganzen Welt zum Schutz vor dem „bösen Blick“ gibt, so weit vergrößert, dass er sich als Fenster einer Boeing 787 eignet. Als Reihe wie im Flugzeug an die Bunkerwand gehängt, lässt dies schaudern. Was wird hier eigentlich abgewehrt, die Flugangst, Terroristengefahr, der Weltuntergang? Das harmlose Amulett, ein Touristensouvenir, gerät zum Symbol für globale Panik. Wären da noch Korpys/Löffler: Das Duo hat das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main als Ort der Macht gefilmt, an dem selbst gewalttätige Demonstrationen abperlen, keine Chance zu intervenieren.
Dafür hat das Gebäude, in dem diese Filminstallation zu sehen ist, eine der radikalsten Transformationen erfahren: vom Nazi-Bunker zum Sammlermuseum. Die Berlin-Biennale gibt der Bestimmung nochmals eine andere Richtung: ein privater Ort wird zumindest temporär zum öffentlichen Terrain. Die Irritation über eine solche Vermischung, bislang bespielte die Biennale vornehmlich öffentliche Räume, ist durchaus beabsichtigt. Das Kuratorenquartett geht hier in die Offensive: „Statt Vorträge über Angst abzuhalten, lasst uns die Leute erschrecken. Statt Symposien über die Privatsphäre zu veranstalten, lasst sie uns aufs Spiel setzen. Lasst uns die Probleme der Gegenwart dort materialisieren, wo sie geschehen, und sie zu einer Sache des Handelns – nicht des Zuschauens – machen.“
Ausgerechnet in der Sammlung Feuerle geht diese Aufforderung zur kreativen Anarchie nicht auf. Die sinistre Kulisse lastet tonnenschwer auf der Kunst, hier wären die Springteufel der Akademie der Künste besser am Platz. Das improvisierte Spiel einer Flötistin zwischen den Skulpturen, die lustige Miniatureisenbahn wirken nur noch trauriger. Die Vergangenheit des Ortes hat die Gegenwart eingeholt. Von Zukunft gar keine Rede.
The Feuerle Collection, Hallesches Ufer 70, bis 18. 9.; Mi bis Mo 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr. Mehr Infos: www.berlinbiennale.de