Ai Weiwei in Berlin: "In China herrscht weiter Willkür"
Ai Weiwei ist in Berlin. Wir haben ihn zum Interview getroffen. Chinas berühmtester Künstler über Menschenrechte in seinem Land und Gehirnwäsche in den Schulen.
Ai Weiwei, Chinas bekanntester Gegenwartskünstler und Menschenrechtsaktivist, setzt keine großen Hoffnungen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in seinem Land. Zwar gebe es auf den ersten Blick eine Entwicklung in diese Richtung. "Aber in Wahrheit kann nicht davon die Rede sein", sagte er im Tagesspiegel-Gespräch in seinem Atelier am Pfefferberg. "Nach wie vor herrscht Willkür, man weiß nie, womit man rechnen kann."
Der 57-Jährige war am Mittwoch aus München nach Berlin gekommen, gemeinsam mit seinem sechsjährigen Sohn Ai Lao und seiner Lebensgefährtin Wang Fen. Sein Sohn geht in Berlin zur Schule. Bei der chinesischen Bildung sieht der Konzeptkünstler "schwarz". Die Fähigkeit, humanitäres Wissen zu vermitteln, sei vollkommen verloren gegangen. "Statt junge Menschen eigenes Urteilsvermögen zu lehren, findet Gehirnwäsche statt. Das chinesische Bildungssystem opfert so viele junge Köpfe, ihre Leidenschaft, ihre Vorstellungskraft, ihren Mut." Ai Weiwei nennt dies ein ebenso schlimmes Desaster wie eine humanitäre Katastrophe, "mit Folgen für mehrere Generationen".
Zu seiner Einladung als Gastprofessor an der Universität der Künste sagte er, dass es nächste Woche ein Gespräch gebe. Konkrete Pläne habe er nicht, ihm gehe es vor allem um "Ausdruck und Kommunikation". An den Kunsthochschulen werde das oft vernachlässigt. Dort gehe es zu sehr um Kunst als Produkt und nicht als Kampf.
Ai Weiwei konnte vergangene Woche nach Deutschland reisen, weil die chinesischen Behörden dem Künstler am 22. Juli nach über vier Jahren seinen Pass wieder ausgehändigt hatten. Kurz zuvor waren mehr als 200 Menschenrechtsanwälte und -aktivisten festgenommen worden. Auf die Frage, was der Westen für sie tun könne, betonte Ai Weiwei, wie sehr Europa auf dem Humanismus basiere, einer Tradition, die in der globalisierten Welt an Bedeutung gewonnen habe. Diese mache seine Identität aus. In Bezug auf die hiesige Flüchtlingspolitik sagte er: "Wer seine Identität aufgibt oder sie vernachlässigt, steuert auf eine humanitäre Katastrophe zu." Europa werde niemals alleine überleben können.
Der Künstler, der Mitte September eine Ausstellung in London eröffnet, zeigte sich amüsiert, dass ausgerechnet Großbritannien ihm zunächst ein Halbjahresvisum verweigert hatte. "Da sah ich nach diesem langen dunklen Tunnel endlich Licht, und auf der anderen Seite der Welt knipsen sie es gleich wieder aus." Die Entschuldigung der Briten habe er akzeptiert. Er höre nicht auf, an die Macht der Kommunikation zu glauben. Dem Internet verdanke er viel: "Das Netz ist meine Nation." Es sei ihm aber wichtig, jederzeit nach China zurückkehren zu können. "Wenn China Probleme hat, bin ich Teil des Problems und will es mit lösen." Aufgeben, das wäre zu einfach.
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Christiane Peitz