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Trauer um Liu Xiaobo: eine Szene vom Donnerstag in Hongkong, dort ist die Zensur lockerer als in Festland-China.
© Reuters/Bobby Yip
Update

Zum Tod von Liu Xiaobo: Im Zeichen der Freiheit

Der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo starb in Unfreiheit. Der Schwerkranke durfte vom Gefängnis in die Klinik, aber ausreisen durfte er nicht. "Das war politischer Mord", sagen andere Dissidenten.

Er wollte die Demokratie in China. Er hat sich ein Leben lang dafür eingesetzt und es hat ihn das Leben gekostet. Liu Xiaobo, Schriftsteller, Philosoph, Freiheitskämpfer, Friedensnobelpreisträger und Chinas prominentester politischer Gefangener ist am Donnerstag in einem Krankenhaus in Shenyang im Nordosten Chinas an seiner Leberkrebserkrankung gestorben. Zuletzt hatten die Organe versagt und die Atmung. Künstlich beatmet werden wollte er nicht.

Ende Juni hatte das Regime dem Schwerstkranken erlaubt, aus seiner elfjährigen Haftstrafe, die er 2009 wegen angeblicher „Untergrabung der Staatsgewalt“ antreten musste, in eine Klinik zu wechseln. Von Freilassung konnte allerdings nicht die Rede sein. Alle Welt machte sich seitdem dafür stark, dass der Dissident gemeinsam mit seiner Frau Liu Xia, die ihrerseits an den Folgen jahrelangen Hausarrests leidet, ausreisen darf, zwecks besserer medizinischer Versorgung. Aber es nutzte nichts.

Es nutzte nichts, dass der 61-Jährige sich bis zuletzt wünschte, wenigstens in einem freien Land sterben zu dürfen. Es nutzte nichts, dass die US-Regierung und die EU an China appellierten, dass Kanzlerin Merkel sich ein Zeichen der Humanität wünschte, dass Deutschland und auch Taiwan Behandlungsangebote unterbreiteten, dass der Heidelberger Spezialist Markus W. Büchler und sein amerikanischer Kollege Joseph M. Herman doch noch vorgelassen wurden und ihm bei angemessener Betreuung Transportfähigkeit bescheinigten, dass Amnesty protestierte, 154 Nobelpreisträger an Präsident Xi Jinping schrieben und viele weitere Schriftsteller. Liu Xiaobo durfte nicht raus. Noch im Sterben wurde er streng überwacht.

Bei den Studentenprotesten 1989 setzte er sich für Gewaltfreiheit ein

Dabei hat er nie mehr getan als das Menschenrecht auf Freiheit zu verteidigen, für einen friedlichen Wandel seines Landes zu werben und zivilen Widerstand zu leisten, in jungen Jahren stur und temperamentvoll, wie Freunde erzählen, später besonnen, mit Versöhnung im Sinn. Aber immer unbeugsam: "Wenn er schweigt, ist sein Leben wertlos", sagte seine Frau. Dafür saß der am 28. Dezember 1955 in Changchun geborene Sohn eines Professors und einer Arbeiterin, die wie Millionen andere in der Kulturrevolution zwangsverschickt wurden (in die Innere Mongolei), mehrfach im Gefängnis. Als junger Journalist und Literaturdozent hatte er die westlichen Philosophen verschlungen, Kant, Nietzsche und Camus gelesen und machte von sich reden, weil er jene auch unter Chinas Intellektuellen verbreitete, auf Konfuzius basierende Haltung anzweifelte, die das Kollektiv über die Individualität stellt, das Dienen über die kritische Reflexion. Vielleicht hatte sein Widerstandsgeist mit dem strengen Vater zu tun; als Junge wurde Liu Xiaobo viel geschlagen. Bei den Studentenprotesten 1989 auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens setzte er sich für Gewaltfreiheit ein. Gleichwohl saß er nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung selbst zwei Jahre in Haft, 1996 wurde er erneut mit Gefängnis und Zwangsarbeit bestraft, diesmal für drei Jahre.

Das Demokratie-Manifest "Charta 08" brachte ihm elf Jahr Haft ein

2008 begann er dann, mit Gleichgesinnten an jenem Demokratiemanifest zu arbeiten, das ihn zum Staatsfeind Nummer Eins machen sollte, zum "Kriminellen". Die „Charta 08“, inspiriert von Vaclav Havels Bürgerrechts-„Charta 77“, entstand in Zeiten der leisen Hoffnung auf Öffnung und Liberalisierung des Landes kurz vor den Olympischen Spielen. Die Charta prangerte Korruption und Willkür der Kommunistischen Partei an, forderte universelle Menschen- und Freiheitsrechte für China, echte Wahlen, Gewaltenteilung, vor allem ein Rechtssystem, in dem die Partei dem Gesetz unterworfen ist. 303 prominente Unterschriften trug das Manifest zunächst, später wurden es über 10 000. Zwei Tage vor der Veröffentlichung wurde Liu Xiaobo erneut festgenommen, mit einem Haftbefehl, auf dem die Zeile für die Begründung nicht einmal ausgefüllt war.

Stumme Demonstration. Hongkong-Chinesen mit dem Foto des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, der am Donnerstag starb.
Stumme Demonstration. Hongkong-Chinesen mit dem Foto des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, der am Donnerstag starb.
© REUTERS/Bobby Yip

Als der Inhaftierte 2010 für seinen Mut und seine Unerschütterlichkeit mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, blieb sein Stuhl in Oslo leer, auch seine Familie und Freunde durften nicht aus China anreisen. Seine Essays, Artikel und Gedichte erschienen in Deutschland unter dem Titel „Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass“ (S. Fischer), Liu Xiaobo wirbt darin fast altmodisch für die Werte des Guten und Wahren, für eine Politik im Zeichen von Idealen – was auch an die Adresse der westlichen Leser geht.

Denn es ist ja nicht so, dass Xiaobo nur von Chinas Staatsmedien totgeschwiegen wurde und wird, dass sein Name dort aus dem Internet gefiltert und zum blinden Fleck wegzensiert wird, dass vor dem Nobelpreis selbst die chinesische PEN-Präsidentin sagte, sie habe noch nie von diesem Mann gehört. Es ist ja leider so, dass hier im freien Westen keineswegs täglich und tatkräftig für Menschen wie Liu Xiaobo gestritten und gekämpft wird, für all die Dissidenten, Menschenrechtler, Journalisten, Blogger, Anwälte und Künstler, die in China, der Türkei, Saudi-Arabien, dem Iran und vielen anderen Ländern weggesperrt werden. Nicht einmal für die, die namentlich bekannt sind, für den iranischen Filmemacher Keywan Karimi, der erst kürzlich wieder freikam, für seinen ukrainischen Kollegen Oleg Sentsov, den ein russisches Militärgericht zu 20 Jahren verurteilt hat, für den saudi-arabischen Blogger Raif Badawi oder für Deniz Yücel, der seit 151 Tagen in Istanbul einsitzt, wegen abstrusen Anschuldigungen.

Beim G 20-Gipfel waren die Panda-Bären Thema, nicht aber Liu Xiaobo

Nein, es wurde nicht alles getan, was vielleicht doch genutzt hätte: Beim G 20-Gipfel war Liu Xiaobo plötzlich nur sehr am Rande Thema. Soweit bekannt, sprach Merkel mit Xi Jinping über die Panda-Bären, nicht über den sterbenden Autor. China ist als Handelspartner begehrt, genießt als Wirtschaftsmacht Autorität.

Der chinesische Künstler und Regime-Kritiker Ai Weiwei - hier in seinem Atelier in Berlin - kritisierte die Bundesregierung, dass sie sich nicht genügend für Liu Xiaobo einsetzt.
Der chinesische Künstler und Regime-Kritiker Ai Weiwei - hier in seinem Atelier in Berlin - kritisierte die Bundesregierung, dass sie sich nicht genügend für Liu Xiaobo einsetzt.
© Reuters/Fabrizio Bensch

„Deutschland hat viel getan, aber längst nicht genug“, sagte der Künstler Ai Weiwei, der anders als Liu Xiaobo nach jahrelangen Repressalien, Haft, Haus- und und Stadtarrest ausreisen durfte. Er fügte sarkastisch hinzu, die Bundesregierung werde den Menschenrechtler hoffentlich so gut behandeln, wie sie die Pandas im Berliner Zoo liebe. Menschenrechts-Diplomatie geht nur äußerst diskret? Wenn einer wie Ai Weiwei sagt, Lius Ausreise hänge vom internationalen Druck ab (der unweigerlich indiskret ist), straft er solche Abwiegelei Lügen. Er hat es ja selbst anders erlebt.

„Liu Xiaobo lebte immer im Zickzack von kollektivem Freiheitsdrang und akutem Alleinsein. Ein langer Mut und eine lange Angst sitzen in seinem Kopf zusammen“, schrieb Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller im Jahr 2011. Sie erinnerte daran, wie er in den neunziger Jahren im Umerziehungslager Bohnen nach Farben sortieren musste. Liu Xiaobo sei der Beweis, wie leise und stur die Moral funktioniert und dass „sie lange vor dem öffentlichen Auftritt beginnt und lange danach nicht aufhört“.

Nun kondoliert alle Welt. Kanzlerin Merkel twittert ihre Trauer, Außenminister Sigmar Gabriel fordert Aufklärung und ebenso wie sein amerikanischer Kollege Rex Tillerson eine Ausreise-Erlaubnis für die Witwe. Das norwegische Friedensnobelpreis-Komitee macht die Regierung in Peking für den Tod Liu Xiaobos mitverantwortlich. Die deutlichsten Worte finden jedoch nicht westliche Staatenlenker, sondern einer der ehemaligen Studentenführer vom Tienanmen. "Das war ein politischer Mord", schreibt Wang Dan auf Facebook. Er hoffe, dass die Welt sich "für immer erinnern wird, wie die Kommunistische Partei Chinas, diese neue Nazi-Bande, Liu Xiaobo brutal zu Tode gefoltert hat“.
Liu Xiaobo ist nicht der erste Friedensnobelpreisträger, der die Haft nicht überlebt hat. 1938 starb der deutsche Nobelpreisträger Carl von Ossietzky, in Nazi-Gefangenschaft. (mit dpa/AFP/epd)

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