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Beton trifft Backstein. Die Architekten Martin Bez und Thorsten Kock haben eine entwidmete katholische Kirche in das neue Bochumer Musikforum integriert.
© Thorsten Schnorbusch

Bochumer Symphoniker: Im Bauch der Geige

Die Bochumer Symphoniker feiern ihr 100-jähriges Gründungsjubiläum. Zuletzt haben sie für einen neuen Konzertsaal gekämpft - es hat sich gelohnt.

In diesem Saal fühlt man sich wie im Inneren eines Streichinstruments. Da sind die Wandverkleidungen aus rötlichem Kirschholz, da ist die klassische architektonische Form des „Schuhkartons“, jedoch mit leicht abgerundeten Ecken. Vor allem aber ist da dieser intensive, sehr präsente Klang, der das Ich-bin-im-Bauch-einer-Geige-Feeling auslöst. In den ersten Reihen ist er fast ein wenig knallig, als würde man sich im imaginären Instrument direkt dort befinden, wo der Bogen gerade über die Saiten gleitet. Je weiter hinten man aber sitzt, desto mehr rundet sich der Klangeindruck, im Hochparkett tönen die Bochumer Symphoniker wirklich prächtig.

Lange, sehr lange haben die Musikerinnen und Musiker des 1919 gegründeten Ensembles darauf warten müssen, in so einem Ambiente arbeiten zu dürfen. Bis zur Bombardierung der Stadt 1944 war das Orchester vor allem für Opernaufführungen im Stadttheater zuständig, nach dem Krieg aber wurde das Musiktheater abgeschafft und es entstand nur das später unter Claus Peymanns Intendanz so berühmte Bochumer Schauspielhaus. Jahrzehntelang sind die „BoSys“, wie sie vor Ort liebevoll genannt werden, also in der Ruhrstadt von Location zu Location getingelt, haben im Audimax der Universität gespielt, im Schauspielhaus, in der gigantischen Jahrhunderthalle. Für klassische Musik aber war keine der Spielstätten ausgelegt, viel Energie ging dafür drauf, dort überhaupt einen vernünftigen Sound hinzubekommen.

Dass 1994 Steven Sloane Chef der Symphoniker wurde, war ein Glücksfall. Nicht nur in künstlerischer Hinsicht, sondern auch, was den Traum vom eigenen Konzertsaal betraf. Der 1958 in Los Angeles geborene Amerikaner bezeichnet sich selber als „hartnäckigen Charakter“, und ein langer Atem war tatsächlich nötig, um den Stadtvätern ein Ja zum „Musikforum Ruhr“ abzuringen. Unermüdlich hat Sloane die Idee vorangetrieben, sich nicht von Rückschlägen entmutigen lassen, nicht einmal von einem Bürgerbegehren gegen den Bau.

Grönemeyer hat für das Konzerthaus 650.000 Euro per Benefiz-Konzert eingesammelt

2010, als das Ruhrgebiet Europas Kulturhauptstadt war, saß die frisch gewählte Landesmutter Hannelore Kraft im Stadion von Schalke 04, als Sloane dort 60 000 Laiensänger dirigierte. Nach dem Konzert ließ sich die SPD-Politikerin vom Enthusiasmus des US-Maestros anstecken, besorgte Fördergelder von der EU sowie aus ihrem Landesbudget. Letztlich musste das chronisch klamme Bochum gerade mal ein Zehntel der Baukosten von rund 40 Millionen Euro aufbringen. Denn nicht nur aus Düsseldorf kam Unterstützung, auch 24 000 Bochumer Bürger spendeten insgesamt 14,3 Millionen Euro. Neben Herbert Grönemeyer, der durch einen Benefiz-Auftritt 650 000 Euro einsammelte, kamen die größten Brocken vom Lottokönig Norman Faber sowie von der Stiftung der einstigen WAZ-Verlegerin Anneliese Brost, deren Namen nun an der Fassade des Musikforums steht.

Am 27. Oktober 2016 fand das Eröffnungskonzert im 920-Plätze-Saal mit den luxuriösen 14 000 Kubikmeter Raumvolumen statt. Seitdem wird das Orchester hörbar von Monat zu Monat besser, klingen die Interpretationen homogener, leidenschaftlicher, motivierter. Das hundertjährige Gründungsjubiläum kann also die ganze Saison 2018/19 lang in Bestform gefeiert werden.

Das neue Foyer in einer ehemaligen Kirche: Bei der Eröffnung des Musikforums 2016.
Das neue Foyer in einer ehemaligen Kirche: Bei der Eröffnung des Musikforums 2016.
© Lutz Leitmann

Größter Hingucker im Musikforum ist die Pausenhalle. Die befindet sich nämlich in einer echten Kirche. Vor 17 Jahren war das 1872 geweihte katholische Gotteshaus in der Innenstadt aus Spargründen aufgegeben worden. Seitdem rottete die profanierte Landmarke mit dem 70 Meter hohen Turm vor sich hin. Kein schöner Anblick war auch die als Parkplatz genutzte Schotterfläche nebenan. Die Stuttgarter Architekten Martin Bez und Thorsten Kock kamen auf die Idee, die Kirche zum Mittelpunkt des Kulturkomplexes zu machen – und gewannen damit den Realisierungswettbewerb.

Über die Apsis gelangen die Besucher jetzt ins Musikforum. Dort, wo früher der Altar stand, befindet sich die Abendkasse. Unter der Orgelempore kann man die Garderobe abgeben, hoch oben an der Decke hängt eine der ursprünglich vier Turmglocken, die zum Pausen-Gong umfunktioniert wurde. Sie ist natürlich auf den Ton „b“, wie Bochum, gestimmt.

Chefdirigent Steven Sloane: Bochum ist anders als Essen oder Dortmund

Topmodisch erscheinen die abstrakten Buntglasfenster aus den siebziger Jahren im Altarraum, durch eine geschickte Lichtregie geht von den weiß getünchten Wänden ein fast überirdisches Strahlen aus. Frisch gesäubert, leuchten auch die dunkelroten Backsteine der Kirchenfassade. Rechter und linker Hand wird sie von den Neubauten für den großen und den kleinen Saal flankiert, die mit ihrem deutlich helleren, terrakottafarbenen Ziegelfurnier neben dem neogotischen Sakralbau südländisch-leicht wirken.

„Unser Projekt ist ganz anders geartet als in Essen oder Dortmund, wo in den vergangenen 17 Jahren ebenfalls neue Konzerthäuser gebaut wurden“, erklärt Steven Sloane, der Chefdirigent der Bochumer Symphoniker. „Während die Säle in unseren Nachbarstädten vor allem für Gastspiele international bekannter Solisten und Ensembles genutzt werden, betreiben wir unser Haus alleine, mit regionalen Partnern sowie der Bochumer Musikschule, die mit über 10 000 Schülern ja eine der größten im Land ist.“ Im kleinen Saal, der als Multifunktionshalle angelegt ist und nach Bedarf mehrfach unterteilt werden kann, tummelt sich tatsächlich täglich der Nachwuchs. Im großen Saal aber findet außer den Konzerten des BoSys derzeit noch kaum etwas statt. Dabei böte er doch auch einen tollen Rahmen für Oratorienaufführungen ambitionierter Laienchöre, für Jugendorchester und, warum nicht, auch für traditionsbewusste Bergmannskapellen.

Geschäftsführer Kipp hat sechs Jahre für die Berliner Orchester- und Chöre-GmbH gearbeitet

Das Problem ist nur, dass es für ein Vermietungsgeschäft eigentlich keine Personalkapazitäten gibt. Weil das Team der Bochumer Symphoniker das Haus im Wesentlichen mit derselben Kopfstärke betreiben muss, mit dem man zuvor die reinen Konzertserien an wechselnden Gastorten organisiert hat. Und weil bei der technischen Einrichtung der Bühne gespart wurde, werden musste: Denn der umstrittene Bau durfte auf keinen Fall das avisierte Budget reißen. Wer abends genau hinschaut, dem fällt auf, dass es keine Hubpodien gibt, die je nach den Anforderungen der Stücke so hochgefahren werden können, dass alle Musiker den Dirigenten gut sehen. Stattdessen behilft man sich mit simplen Holzpodesten. Die aber müssen jedes Mal per Hand auf- und abgebaut werden, von Fremdfirmen. Die kosten aber extra, was es dann für viele Laien-Ensembles zu teuer macht, sich im Musikforum einzumieten.

Zusammen mit Steven Sloane, der noch bis zum Sommer 2021 Chefdirigent bleiben wird, kümmert sich seit Februar Thomas Kipp als neuer Geschäftsführender Betriebsdirektor um die Zukunft der BoSys. In Berlin hat er sechs Jahre lang erfolgreich die Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) gemanagt, bevor er sich entschloss, aus familiären Gründen den Job aufzugeben und ins Ruhrgebiet zu ziehen.

Wie man die Interessen vieler Partner unter einen Hut bekommt, weiß er von der ROC, die ja nicht nur aus zwei Orchestern und zwei Profichören besteht, sondern auch noch vier verschiedene Geldgeber hat. Dass mit Dietmar Dieckmann seit ein paar Wochen ein neuer Kulturdezernent im Rathaus sitzt, ist vielleicht nicht die schlechteste Voraussetzung dafür, dass mittelfristig das Musikforum Ruhr zum kulturellen Mittelpunkt Bochums werden kann.

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