Musikforum Ruhr: Das ist die Höhe
Nokia weg, Opel dicht, Zechen zu: Bochum ist eine Stadt am Abgrund. Gerade darum wird dort jetzt ein außergewöhnliches Musikforum gebaut.
„Das Kirchturmdenken ist die Wurzel allen Übels“, hört man oft im Ruhrgebiet, wenn es um die Frage geht, warum die 5,1-Millionen-Einwohner-Region heute so schlecht dasteht. Obwohl alle Städte hier massive Finanzprobleme haben, seit es mit Schwerindustrie und Bergbau zu Ende geht, denkt jede Gemeinde nur an sich, so der Vorwurf. Wo Synergien entstehen könnten zwischen den längst weitgehend zusammengewachsenen Kommunen, herrscht absurder lokalpatriotischer Konkurrenzkampf. Der beispielsweise dazu führt, dass der Nahverkehrsnutzer nur schwer vorankommt, – weil er ständig Fahrplangrenzen überwinden muss.
Im Kulturbereich hat die Platzhirsch-Mentalität zwar zum dichtesten Netz aus Theatern, Opern und Orchestern in der gesamten Bundesrepublik geführt – doch die einzelnen Institutionen können, siehe oben, von ihren lokalen Geldgebern jeweils nur mit Mühe am Leben erhalten werden. Von den Bühnen, die bereits in der Nachkriegszeit überall wieder aufgebaut wurden, ist das Bochumer Schauspielhaus seit Claus Peymanns Intendanten-Zeiten das legendärste, die 2002 gegründete Ruhrtriennale bespielt jeweils im Spätsommer so manche Industrie-Ruine mit Kunstavantgarde. In den vergangenen 15 Jahren wurden zudem drei neue Konzertsäle eröffnet: Dortmund machte den Anfang, Essen und Duisburg zogen nach. Und nun wird auch für die vor 98 Jahren gegründeten Bochumer Symphoniker endlich der Traum vom Eigenheim wahr.
Wobei die Stadtväter das klassische Prestigeprojekt hier auf die Spitze treiben: Eine Kirche nämlich wird künftig als Eingangshalle für den Zwei-Säle-Komplex dienen. Vor 15 Jahren schon wurde das 1872 entstandene katholische Gotteshaus in der Innenstadt aus Spargründen aufgegeben. Seitdem rottete die profanierte Landmarke mit dem 70 Meter hohen Turm vor sich hin. Kein schöner Anblick war auch die als Parkplatz genutzte Schotterfläche nebenan, auf der eigentlich mal ein Cineplex geplant war.
Eine neogotische Kirche wird zum Pausenfoyer
Jetzt aber erstrahlen die dunkelroten Backsteine der renovierten Marienkirche in frischem Glanz, rechter- und linkerhand flankiert von den Neubauten, die mit ihren deutlich helleren, terrakottafarbenen Ziegelfurnier-Fassaden geradezu leicht wirken neben dem neogotischen Sakralbau. „Unser Projekt ist ganz anders geartet als in Essen oder Dortmund“, erklärt Steven Sloane, der Chefdirigent der Bochumer Symphoniker. „Während die Säle in unseren Nachbarstädten vor allem als Gastspielstätten genutzt werden, betreiben wir unser Haus alleine, mit regionalen Partnern sowie der Bochumer Musikschule, die mit über 10 000 Schülern ja eine der größten im Land ist.“
Gerade in einer traditionellen Malocherstadt wie Bochum ist es konsequent, einen Fokus auf Education und Nachwuchsarbeit zu legen. Denn der bürgerliche Bodensatz ist hier überschaubar, die immerhin 50 000 Studierenden und Lehrenden der Ruhr-Uni schwer zu erreichen, da von ihnen kaum einer am Wochenende vor Ort bleibt. So müssen die Symphoniker hart darum kämpfen, ihr Publikum auch aus eher kulturfernen Schichten zu rekrutieren.
Jemanden wie Steven Sloane als Chef zu haben, ist da ein Glücksfall. Der 57-jährige Amerikaner bezeichnet sich selber als „hartnäckigen Charakter“. Und ein langer Atem war tatsächlich nötig, um den Stadtvätern ein Ja zum „Musikforum Ruhr“ abzuringen. Seit seinem Amtsantritt 1994 hat Sloane die Idee unermüdlich vorangetrieben, sich nicht von diversen Rückschlägen entmutigen lassen, inklusive eines gescheiterten Bürgerbegehrens gegen den Bau.
Im Kulturhauptstadtjahr 2010 kam dann endlich der entscheidende, glückliche Moment: Beim spektakulären Gesangsevent im Stadion von Schalke 04, bei dem Sloane 60 000 Laien-Choristen dirigierte, war auch die frisch gewählte Landesmutter Hannelore Kraft dabei. Nach dem Konzert ließ sich die SPD-Politikerin vom Enthusiasmus des US-Maestro anstecken, besorgte Fördergelder von der EU sowie aus ihrem Landesbudget.
Letztlich musste das chronisch klamme Bochum gerade mal ein Zehntel der Baukosten von rund 40 Millionen Euro aufbringen. Denn nicht nur aus Düsseldorf kam Unterstützung, auch 24 000 Bochumer Bürger spendeten insgesamt 14,3 Millionen Euro. Neben Herbert Grönemeyer, der durch einen Benefiz-Auftritt 650 000 Euro einsammelte, kamen die größten Brocken vom Tippgemeinschafts-Lottokönig Norman Faber sowie von der Stiftung der einstigen WAZ-Verlegerin Anneliese Brost, deren Namen dann zum Dank an der Fassade des Musikforums auftauchen werden.
Bald spielen die Bochumer Symphoniker unter idealen Akustikbedingungen
Ein „edles Wohnzimmer“ soll der 920-Plätze-Saal nach Steven Sloanes Worten werden. Mit amerikanischem Kirschholz in warmer, rötlicher Färbung sind die Ränge bereits verkleidet. Im Übrigen aber braucht man derzeit noch einige Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass hier ab dem 27. Oktober tatsächlich Klassik erklingen kann. Die Bestuhlung fehlt, der Backstage-Bereich ist weitgehend noch im Rohbauzustand, Handwerker verlegen gerade das Parkett im kleinen Saal, der als Multifunktionshalle konzipiert ist, die sich dreifach teilen lässt, damit hier die Ensembles der Musikschule parallel proben können.
Hingucker des Komplexes aber wird fraglos das Kirchen-Foyer. Die Stuttgarter Architekten Martin Bez und Thorsten Kock konnten den Realisierungswettbewerb für sich entscheiden, weil sie als Einzige vorgeschlagen hatten, den historischen Bau in seiner ganzen Höhe als Foyer zu nutzen. Über die Apsis gelangen künftig die Besucher ins Musikforum, dort, wo früher der Altar stand, wird es ein Kassenhäuschen geben. Unter der Orgelempore entstehen die Garderobe, hoch oben an der Decke hängt eine der ursprünglich vier Turmglocken, die zum Pausen-Gong umfunktioniert wurde. Sie ist natürlich auf den Ton „b“, wie Bochum, gestimmt.
Topmodisch erscheinen die abstrakten Buntglasfenster aus den 70er Jahren im Altarraum, weiß getünchte Wände mit dezenten Schmuckelementen in Beige und Gold schaffen ein Ambiente, das edel, aber nicht protzig wirkt. Für die Musiker am wichtigsten aber sind die luxuriösen 14 000 Kubikmeter Raumvolumen des großen Saales: Nach den Jahrzehnten in suboptimalen Spielstätten wie dem Bochumer Schauspielhaus oder dem Audimax der Uni werden sie erstmals unter Bedingungen arbeiten können, bei denen sich ihr Klang voll entfalten kann. Wenn weiter alles glatt läuft im engen Zeit- und Kostenrahmen, wird Steven Sloane Ende Juni den Taktstock zur ersten Akustikprobe heben können.