ROC Berlin: Klassik für alle
Klassik-Holding mit bundesweiter Strahlkraft: Thomas Kipp übergibt die Leitung der Berliner Rundfunkorchester und -chöre GmbH an Anselm Rose.
Sie war eine Notgeburt der Nachwendezeit – und hat sich zu einem bedeutenden Player in der hauptstädtischen Kulturlandschaft entwickelt: die Berliner Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC). 1994 wurden vier Ensembles in der Klassik-Holding zusammengefasst, die zuvor unter der Obhut zweier Radioanstalten standen, des RIAS sowie des Rundfunks der DDR nämlich, die beide nach dem Fall der Mauer aufgelöst wurden. Um die Berliner Rundfunkorchester sowie die Profichöre aus Ost und West zu retten, schuf man die ROC, die seitdem von einem Geldgeberquartett finanziert wird: der Bund zahlt 35 Prozent, Deutschlandradio 40 Prozent, Berlin 20 Prozent und der RBB fünf Prozent. Weil aber der größte Teil der Konzerte vom Deutschen Symphonie-Orchester, dem RIAS Kammerchor, dem Rundfunkchor und dem Rundfunk-Sinfonieorchester in Berlin stattfinden, wurde das Modell immer wieder kritisiert, vor allem weil Kulturförderung Ländersache ist.
Thomas Kipp, der nach sechs Jahren als ROC-Geschäftsführer den Job aus familiären Gründen zum 1. April an Anselm Rose abgegeben hat, erläuterte jetzt im Gespräch, warum selbst die vehementesten Föderalismus-Verteidiger die ungewöhnliche Konstruktion befürworten können. Weil die vier Ensembles nämlich eben nicht nur jährlich rund 150 000 Menschen mit ihren Auftritten in der Hauptstadt erreichen, sondern auch 1,8 Millionen Radiohörer. Und zwar bundesweit. Schließlich machen sowohl der Deutschlandfunk mit seinen beiden Programmen wie auch das RBB Kulturradio ausgiebig von dem Recht Gebrauch, Konzerte der ROC live zu übertragen oder für eine zeitversetzte Ausstrahlung aufzuzeichnen. Und dabei hat Thomas Kipp für seine 1,8-Millionen-Nutzer-Rechnung sogar nur die Erstsendungen eingerechnet und nicht auch die zahllosen Wiederholungen im Tages-, vor allem aber auch im Nachtprogramm.
Mehr als 60 Mitschnitte für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur
So betrachtet ist die ROC also keine Luxus-Institution für die kulturell ohnehin schon prächtig ausgestattete Hauptstadt, sondern Teil der bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge. „Jeder, der über seinen Rundfunkbeitrag an der Finanzierung der ROC beteiligt ist, bekommt dafür auch ein umfangreiches Angebot“, argumentiert der studierte Jurist Kipp. Durch vier neue Chefdirigenten sind die Ensembles gerade besonders attraktiv: Was Vladimir Jurowski beim RSB macht, was Robin Ticciati mit dem DSO entwickelt sowie Justin Doyle mit dem RIAS Kammerchor und Gijs Leenaars mit dem Rundfunkchor, begeistert auch die Programmacher der Radiostationen. „Der Anteil der gesendeten Aktivitäten des ROC steigt kontinuierlich“, sagt Thomas Kipp. Allein für 2018 sind mehr als 60 Mitschnitte für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur geplant.
Auch für den Bund sieht er einen Mehrwert. Zum Beispiel, wenn innovative Projekte, die bei der ROC entwickelt werden, anschließend landesweit Nachahmer finden. Der „Symphonic mob“ des Deutschen Symphonie-Orchesters ist so ein Exportschlager. 2014 fand das Event erstmals in Berlin statt, bei dem Laienmusiker eingeladen werden, unter der Leitung eines Profidirigenten zu proben und in der Mall of Berlin aufzuführen, Mittlerweile wurde das Format in Bremen, Halle, Frankfurt/Oder, Göttingen, Hamburg, Ludwigshafen, Schwerin, Köln und Rostock übernommen, jeweils mit Hilfe des DSO.
Rose muss die Finanzierung des Holdings über 2020 hinaus sichern
Künstlerisch agieren die Ensembles der ROC autonom, haben jeweils nicht nur einen künstlerischen Leiter, sondern auch noch einen Orchester- respektive Chordirektor fürs Management. Der Job des Geschäftsführers besteht vor allem darin, die Kontakte nach außen zu pflegen, zu den Gesellschaftern wie zur Politik. Das weiß auch Thomas Kipps Nachfolger Anselm Rose. Er muss sich jetzt darum kümmern, dass die Finanzierung der Holding auch über 2020 hinaus gesichert wird. Dann beginnt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine neue Förderperiode, an der sich jeweils auch die ROC orientiert.
Was die interne Kommunikation betrifft, hat der 1969 geborene Rose, der Verwaltungswissenschaften studiert und unter anderem die Dresdner Philharmonie geleitet hat, eine schöne Formulierung parat: Er wolle als „Transmissionsriemen zu den Ensembles“ wirken, erklärte er bei seiner Ernennung.