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1968 wollten wir die Welt verändern. Heute sei sie gelassener geworden, sagt von Trotta.
© Kai-Uwe Heinrich

Die Filmemacherin Margarethe von Trotta: „Ich war immer rebellisch“

Margarethe von Trotta erhält den Ehrenpreis bei der Lola-Gala. Ein Gespräch über Europa und den rebellischen Geist, Gudrun Ensslin und den Regisseursblick.

Am Freitag wird die Filmemacherin Margarethe von Trotta bei der Lola- Gala im Berliner Palais am Funkturm mit dem Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises ausgezeichnet. Trotta, 1942 in Berlin geboren, drehte zahlreiche Filme über Frauen, widersprüchliche Heldinnen. Auch historische Persönlichkeiten, zu ihren wichtigsten Werken zählen "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (mit Volker Schlöndorff), "Die bleierne Zeit", "Rosa Luxemburg", "Rosenstraße" und "Hannah Arendt". Die Gala, bei der Andreas Dresens "Gundermann" mit zehn Nominierungen als Favorit für die Lola in Gold ins Rennen geht, wird vom ZDF zeitversetzt ab 22.55 Uhr übertragen.

Frau von Trotta, Sie erhalten gerade viele Preise, 2018 etwa den Theodor-Adorno-Preis und jetzt den Ehrenpreis beim Deutschen Filmpreis. Denken Sie, oh, die anderen finden mich allmählich alt?

Nein, ich denke, es soll jetzt wohl überall eine Frau sein. Den Adorno-Preis bekam vorher erst eine einzige Frau, die Philosophin Judith Butler. Bei den Regiepreisen, die ich in letzter Zeit erhielt, war ich fast immer die erste. Die Suche hat begonnen: Wo ist die Frau, die wir ehren können? Im Zuge der MeToo-Bewegung ist da ein Defizit deutlich geworden.

Es gab bisher auch erst einen Oscar und nur eine Goldene Palme für eine Frau. Beim Filmfest Venedig sind Sie mit dem Löwen für „Die bleierne Zeit“ 1981 bis heute eine der ganz wenigen Gewinnerinnen.

Ich erinnere mich gut, ich kam von der Bühne mit meinem Preis, ganz stolz, und Isotta Rossellini, die Zwillingsschwester von Isabella, hielt mir sogleich ein Mikro entgegen, sie arbeitete damals für die RAI: Wie fühlen Sie sich als erste Preisträgerin nach Leni Riefenstahl? Ich als scharfe Linke damals war geschockt!

Machen Sie sich Sorgen um Europa heute?
Ja, vor der Europawahl habe ich Angst. Ich fürchte einen Rückfall in die „finsteren Zeiten“, wie Hannah Arendt es nennt. Ich war sehr erleichtert über die Idee, dass Europa zusammengehört, dass wir uns auf gemeinsame Wurzeln besinnen wollten. Jetzt betonen viele wieder nur die eigene Nation, die eigene Kultur, als gäbe es ein Zurück in eine Art Schutzzone. Das führt dazu, dass viele diejenigen verteufeln, die sich als „Europäer“ verstehen. Wobei es auch um Aufmerksamkeit geht, viele Menschen fühlen sich abgehängt. Das kann man gerade bei den Gelbwesten gut beobachten, die sich erst nur an Tankstellen und Rond-Points versammelten. Jetzt marschieren sie samstags durch Paris, sogar nachdem Notre-Dame brannte. Sie wollen aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit. Aber es ist anders als ’68. Wir wollten ja wirklich die Welt verändern.

Angefangen haben Sie als Schauspielerin, in „Baal“. Wenn Sie heute auf diese Sophie neben Rainer Werner Fassbinder zurückblicken, wen sehen Sie da?
Seltsamerweise habe ich immer unterwürfige Frauen gespielt. Frauen, die den Männern nachliefen oder von ihnen geschlagen wurden, die Opfer. Dabei war ich selber das Gegenteil. Ich war immer rebellisch und bestand darauf, dass ich wahrgenommen werde.

Woher kommt der rebellische Geist?
Den habe ich meiner Mutter zu verdanken. Als uneheliches Kind bin ich ohne Hierarchien aufgewachsen. Erst der Vater, dann die Mutter, dann die Kinder: Die Rangordnung gab es bei uns nicht. Meine Mutter hat mir nie Vorschriften gemacht.

Aber der Schule gab es in den 50er Jahren strenge Hierarchien.
Und viele Alt-Nazis. Unsere Deutschlehrerin kam in die Klasse und schrie: Haltung, und wir mussten stramm stehen. Ich war auch ein Jahr in einem Internat, mit Begabten-Unterstützung, da wurde große Dankbarkeit von mir erwartet. Auch da sollte ich immer nur meinen Mund halten, was ich nicht tat. Meine Mutter wurde deswegen oft in die Schule zitiert. Sie sagte dann, ich rede mit ihr, kam nach Hause und meinte: Bleib, wie du bist.

Es gab tatsächlich nie Streit?
Ich habe sie ein einziges Mal autoritär erlebt. Als ich mit 18 von meiner Au-Pair-Zeit aus Paris zurückkam, wo ich meine erste Liebe und eine ganz neue Freiheit erlebt hatte, wollte ich so schnell wie möglich zurück. Vor allem auch wegen meines Freundes. Meine Mutter verbot es mir, ich konnte sie nicht erweichen. Erst später begriff ich, warum. Sie hatte offenbar Angst, dass mir dasselbe widerfährt wie ihr. Meine Mutter wurde schwanger von ihrem Verlobten, aber der ließ sie sitzen. Ihm wurde gedroht, dass er enterbt wird, wenn er diese verarmte baltische Adelige heiratet. Sie hat meine Halbschwester dann zur Adoption freigeben müssen. Ich erfuhr erst viel später von ihrer Existenz.

In Paris sahen Sie Ingmar Bergmans Mittelalter-Drama „Das siebente Siegel“ und wollten auf der Stelle Regisseurin werden. Wie kam das?
Ich hatte Studenten kennengelernt, die für die Nouvelle Vague schwärmten. Um mir zu beweisen, wie großartig Kino sein kann, schleppten sie mich mit. Ich kannte aus Deutschland nur Opas Nachkriegs-Kino. Bergman war eine Erleuchtung, ich war überwältigt. Auch weil er die Frage nach Gott thematisierte. Ich kam ja aus einer Diakonissenschule und war noch voller Zweifel. Und natürlich wegen der Schönheit der Schwarz-Weiß-Bilder. Ich las sehr viel Freud in der Zeit und interessierte mich für die Psyche, für die Schwierigkeit, Mensch zu sein. Es war ja auch die Zeit des Existentialismus. Kafkas Erzählungen, „Der Landarzt“ zum Beispiel, das war ein ähnlicher Schock.

Und dann haben Sie sich über die Schauspielerei zur Regie vorgearbeitet?
Nein, das war nicht strategisch. Regieführen, das war unvorstellbar, ich sprach den Wunsch nicht mal aus. Agnès Varda drehte zwar schon Filme, aber man nahm sie nur als Mitglied der Nouvelle Vague wahr. Diese Studentenclique, mit der ich auch Bresson, Hitchcock, Orson Welles und natürlich die Nouvelle-Vague-Filme sah, drehte auch selber Filme, sogar auf 35 Millimeter. Nur die beiden Kameramänner waren Profis, wir anderen waren begeisterte Kinogänger, die sich etwas zutrauten. Mein Freund sagte: Im nächsten Film spielst du die Hauptrolle. Dazu kam es dann zwar nicht, aber ich nahm in Deutschland Schauspielunterricht, für alle Fälle. Mein wirklicher Wunsch blieb aber immer die Regie. Andere Schauspielerinnen und Regisseurinnen wie Maria Schrader oder Nicolette Krebitz machen ja beides. Seitdem ich Regisseurin bin, habe ich nie wieder gespielt. Ich war dort angelangt, wo ich hinwollte.

Was lieben Sie bis heute am Filmemachen?
Es ist ein Vorgang von Aufnehmen und Zurückgeben. Ich lasse die Dinge von außen in mich hinein, werde zum Gefäß, für Träume, für die Wirklichkeit von anderen. Und dann veräußere ich mich wieder, kehre mein Innerstes nach außen, gebe es ans Publikum weiter. Und ich bin gerne mit Menschen zusammen. Mit anderen dasselbe Ziel anzustreben ist fantastisch. Schon als Kind ist es ja unbefriedigend, alleine im Sandkasten zu sitzen.

Zu Ihrem Dokumentarfilm über Ingmar Bergman sagten Sie letztes Jahr, zum Kreativsein gehöre die Einsamkeit.

Nicht bei der Arbeit, aber im Leben. Als Person habe ich mich oft sehr ausgesetzt gefühlt. Als Einzelkind war ich allein, und ich war ja lange staatenlos, das spielt eine Rolle. Als Mädchen hatte ich zwar viele Freundinnen, aber nie diese eine Herzensfreundin. Ich wollte das nicht. Tief in mir war eine unglaubliche Einsamkeit.

Haben Ihre Filmheldinnen das mit Ihnen gemeinsam?
Ich denke schon. Sowohl bei Rosa Luxemburg als auch bei Hannah Arendt findet man Passagen, in denen sie sich als verletzliche, depressive Menschen äußern. Arendt wachte jeden Morgen traurig auf. In solchen Momenten fühle ich mich ihr sehr nahe. Rosa Luxemburg sitzt am Tisch mit ihrer Katze und sagt: Eigentlich, Mimi, möchte ich nur noch mit dir sein. Sie hat ihrer Katze Tischmanieren beigebracht! Was für ein Bild von Einsamkeit. Ich könnte keinen Film drehen über eine Person, bei der es diese Seite nicht gibt.

Alice Schwarzer, mit der Sie feministische Aktionen starteten; Christa Wolf, mit der Sie befreundet waren; andere deutsche Filmemacherinnen Ihrer Generation: Gibt es wirklich keine Weggefährtinnen?
Es gab deutsche Filmemacherinnen, mit denen ich mich solidarisch gefühlt habe. Aber gelernt habe ich zu Beginn nur von Männern, Bergman oder auch Hitchcock. Ich liebe „Vertigo“. Eine einzige Frau hat mir Mut gemacht, Barbara Loden. Ihren Film „Wanda“ hatte ich 1974 in New York gesehen. Sie war Schauspielerin, mit einem Regisseur verheiratet. „Wanda“ war ihr erster Film, ich habe mich wohl mit ihr identifiziert. Dann kam mein Eigenes hinzu. In Deutschland musste ich mir oft anhören, meine Filme seien zu emotional. Ettore Scola oder die Tavianis in Italien fanden sie dagegen zu deutsch, zu kalt.

Welche Zäsur war 1968 für Sie?
Ich war ja verheiratet, hatte ein Kind. Bei mir war es weniger eine Rebellion gegen die Eltern und das Schweigen der Elterngeneration als gegen die Ehe, gegen das Eingesperrt-Sein.

Gegen den Dackelblick.

(lacht). Der Mann guckt in die Welt, die Frau guckt auf den Mann, das habe ich oft erzählt. Ich schaue lieber auf die Anderen. Wie jetzt bei diesem Gespräch, ich schaue Sie an. Ich will sehen, wie die Menschen reagieren, wie sich ein Gefühl im Gesicht zeigt oder in den Gesten. Das ist der Regisseursblick. Ich besitze eine Porträtfotografie von meinem Vater, der ja Maler war, da schaut er seitlich auf den Betrachter, als ob er ein Modell anschaut. Das habe ich wohl mit ihm gemeinsam.

In den Siebzigern zählten Sie zu den sogenannten Sympathisanten der RAF, mit Volker Schlöndorff und anderen. Ihr Sohn Felix Moeller hat einen Dokumentarfilm darüber gedreht. Darin sagen Sie, Sie hätten vielleicht zu wenig mit dem eigenen Kopf gedacht. In welchem Sinne?

Ich bin vielleicht zu sehr einer Ideologie gefolgt, anstatt zu überlegen, ob ich es selber alles für richtig halte. Heute denke ich, ich habe mich mitreißen lassen, obwohl ich immer noch nicht alles ablehne, was wir damals geglaubt haben.

Über den Deutschen Herbst drehten Sie dann „Die bleierne Zeit“, nach der Geschichte der Ensslin-Schwestern. Warum diesen einen aktuellen deutschen Gegenwartsstoff – und danach nie wieder?
Weil ich nicht von Themen ausgehe. Ich sage mir nicht, ich muss politisch werden und jetzt einen Film über Flüchtlinge drehen. Ich brauche einen Anlass, das sind immer Menschen. Ich traf Christiane Ensslin bei der Beerdigung. Ihre Schwester Gudrun wollte immer, dass ich sie im Gefängnis besuche. Ich war mir sicher, dass sie mich zum bewaffneten Kampf agitieren will und wusste, das mache ich nicht. Gleichzeitig wollte ich sie nicht enttäuschen, sie saß ja im Gefängnis. Im Nachhinein wäre ich ihr gerne persönlich begegnet. Ich hatte sie schonmal gespielt, in „Brandstifter“ von Klaus Lemke. Christiane erzählte zwei Tage von ihrer Schwester. Ich begriff, es ist eine sehr persönliche und eine sehr deutsche Geschichte.

Hat sich das Filmemachen seitdem für Sie verändert?
Ich habe weniger das Bedürfnis, etwas über meine Zeit auszusagen. Fassbinder, Volker, wir alle wollten damals etwas sagen über unser Land, unsere Eltern, unsere Vergangenheit. Es war auch eine Bürde. Diese Dringlichkeit ist mir abhandengekommen. Ich bin gelassener geworden, im guten Sinne.

Ihr eigener Lieblingsfilm, Ihr persönlichster Film, ist das „Die bleierne Zeit“?
Nein, das ist „Schwestern oder Die Balance des Glücks“. Darin nahm ich unbewusst vorweg was ich gar nicht wissen konnte: dass ich eine Schwester habe. Es ist mir öfter passiert, dass ich Dinge abrufe, die ich eigentlich gar nicht weiß.

Am kommenden Freitag erhält sie bei der Lola- Gala im Palais am Funkturm den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises. Favorit in der Kategorie „Bester Spielfilm“ ist Andreas Dresens "Gundermann" mit zehn Nominierungen. Das ZDF zeigt die Gala um 22.55 Uhr.

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