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Judith Butler als Rednerin an der Freien Universität Berlin.
© Alexander von Humboldt-Stiftung/David Ausserhofer
Update

Judith Butler an der Freien Universität Berlin: "Wir sind alle potenzielle Scholars at Risk"

Hunderte exilierte Forschende treffen sich zum Kongress von Scholars at Risk in Berlin. Die Philosophin Judith Butler forderte "weltweite Solidarität" für deren Rechte ein.

„Universitäten müssen Zufluchtsorte sein“, sagte die US-amerikanische Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Judith Butler am Dienstag an der Freien Universität Berlin (FU). Sie dürften sich nicht der Einflussnahme des Staates beugen. Gelinge es Universitäten nicht, „Attacken von außen zu widerstehen“, würden sie ihre Integrität verlieren. Als Beispiele nannte Butler indische Wissenschaftler, die ihr Einsatz für die Dalit ins Gefängnis bringt, und Studierende in Brasilien, die für ihr Interesse an den Gender Studies verfolgt werden.

Butler, Professorin für Rhetorik und Komparatistik in Berkeley, sprach im Henry-Ford-Bau der FU zur Eröffnung der Internationalen Konferenz der Organisation Scholars at Risk (SAR). Bis zum Donnerstag diskutieren dort rund 600 Forschende und Hochschulangehörige aus 72 Ländern über „Universitäten und die Zukunft der Demokratie“.

Was für autoritäre Regime "Terrorismus" ist

In Demokratien müsse der Staat auch abweichende politische Meinungen zulassen, selbst wenn diese die Legitimität des Staates in Frage stellen, betonte Butler. Doch autoritäre Regime interpretierten Friedensappelle zu „Terrorismus“ um, sie dämonisierten politische Positionen Andersdenkender. Butler erinnerte auch an die Schicksale zehntausender Studierender und tausender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Türkei. Sie riefen zu diplomatischen Verhandlungen zwischen der Erdogan-Regierung und Vertretern der Kurden auf – und wurden dafür von ihren Universitäten entlassen und in vielen Fällen inhaftiert.

„Es kann eine Fakultät sein oder der Staat, die eine akademische Laufbahnen beenden“, sagte Butler. Zensur, schwarze Listen, Anhörungen und Verhöre, Drohungen, Entlassung oder Vertreibung aus der Heimat: All das bedrohe Forschende existenziell. Wer ins Exil gehen muss, „verliert seine Sprache und über viele Jahre aufgebaute Arbeitszusammenhänge“. Gegen die Einschränkung der akademischen Freiheit und der politischen Meinungsäußerung forderte Butler eine weltweite Solidarität der Universitäten. „Wir alle sind potenzielle Scholars at risk“, sagte Butler.

Sichere Zufluchtsorte - ohne Garantie

Auch die türkische Soziologin Nil Mutluer rief die scientific community zu zivilgesellschaftlicher Wachsamkeit auf. „Wer garantiert, dass die heutigen Zufluchtsorte sicher bleiben“, fragte Mutluer, die seit 2016 an der Humboldt-Universität lehrt. Robert Quinn, Geschäftsführer des Scholars at Risk Network, betonte die Verantwortung der Universitäten „die Demokratie zu entwickeln, zu erklären und zu verteidigen“.

Der Global Congress des Scholars at Risk-Netzwerks findet alle zwei Jahre an Partneruniversitäten statt, die es Forschenden aus Krisengebieten oder repressiven Staaten ermöglichen, ihre Arbeit im Ausland fortzusetzen. An SAR beteiligen sich 500 Hochschulen weltweit, in Deutschland sind es rund 40. Die FU ist seit 2011 das erste deutsche Mitglied des Netzwerks.

„Fast elf Forschende“ hat die FU seitdem beherbergt, sagte Vizepräsident Klaus Hoffmann-Holland. Fast elf? Die zuletzt aufgenommene Forscherin sitzt in der Türkei fest, nachdem ihr der Pass entzogen wurde.

Die Ernst-Reuter-Gesellschaft sammelt für weitere Gäste

Um künftig zusätzliche bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Freien Universität aufnehmen zu können, haben die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der FU (ERG) und Scholars at Risk am Mittwoch eine Fundraising-Kampagne gestartet. Bis 2019 sollen rund 300.000 Euro gesammelt werden, teilt die ERG mit. Organisiert wird die Kampagne ab 2. Mai über die Crowdfunding-Plattform Startnext (https://www.startnext.com/erg-sar-kampagne) und ab sofort über die Homepage der ERG.

Mitveranstaltet wird die Tagung von der Alexander von Humboldt-Stiftung. Sie finanziert seit 2016 mit der Philipp Schwartz-Initiative 24-monatige Vollstipendien für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Geld kommt vom Auswärtigen Amt und acht Stiftungen. Bislang wurden und werden 124 Personen gefördert - davon 70 aus der Türkei, 38 aus Syrien und fünf aus dem Irak.

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