Von Klimawandel bis AfD: „Ich erkenne meinen Vater nicht wieder!“
Der Vater unseres Autors wählt die AfD und leugnet den Klimawandel. Sein Sohn dringt nicht zu ihm durch. Das Protokoll einer fortschreitenden Entfremdung.
Ein kalter Tag im April. Ich sitze mit meinem Vater in der Küche. Aussprechen wollen wir uns. Jede Seite soll ihre Argumente vortragen können. Die Stimmung ist eigenartig. Meinen Vater habe ich schon seit einigen Monaten nicht mehr gesehen. Eigentlich ist alles wie immer, aber irgendwie auch nicht.
Es gab viel Streit in letzter Zeit. Erst vor kurzem bin ich aus einem längeren Südamerika-Aufenthalt zurück gekehrt. Auf einer Wanderung durch die Anden erklärte mir mein Tourguide, dass er Woche für Woche beobachten könne er, wie der Gletscher des Salkantay weiter zurückgeht. „Say 'Hello' to climate change!“, hatte er gesagt.
In Deutschland machte die #FridaysForFuture-Bewegung gerade erstmalig von sich hören und schaffte es innerhalb kürzester Zeit, Umweltschutz als Thema Nummer Eins auf die Agenda zu setzen.
Ich war überrascht – schon als Kind hatte ich mich regelmäßig gefragt, wann die Zerstörung unserer Erde durch den Menschen ins kollektive Bewusstsein vordringen würde. Die Schülerinnen und Schüler hatten es geschafft. Und ich war in Südamerika. Soweit ich wieder zu Hause bin, sagte ich mir, würde ich mich mehr engagieren, wenn es um Umweltfragen ging. Bei meinem Vater konnte ich direkt anfangen.
„Papa,“ sage ich. „Es gibt in der Wissenschaft einen Konsens zur Existenz des menschengemachten Klimawandels.“ - „Das sehe ich anders“, entgegnet mein Vater. „Und nicht nur ich. Es gibt genug Wissenschaftler, die das anzweifeln.“ - „Laut Weltklimarat müssen wir bis 2050 alle Emissionen heruntergefahren haben, wenn wir das Zwei-Grad Ziel erreichen wollen. Wahrscheinlich aber noch früher.“ - „Ich glaube nicht daran, dass der Mensch für die Temperaturveränderungen verantwortlich ist.“ Er bleibt beharrlich. „Das Klima hat sich schließlich schon immer verändert.“
In den Kommentarspalten wurde ich als verblendeter Idiot beschimpft
Vor zwei Jahren erzählte mir mein Vater, dass er die AfD gewählt hatte. Seine Sorge vor einer Islamisierung und der allgemeinen politischen Entwicklung habe ihn zu dieser Schritt getrieben, sagte er. Meine Verzweiflung über diesen Wandel verarbeitete ich in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Unter einem Pseudonym, so wie auch diesen Text.
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Schon nach wenigen Minuten zoffte man sich in den Kommentarspalten darüber, ob die Grünen denn nun alle pädophil wären und was ich doch für ein verblendeter Idiot sei. Einige der Kommentare aber waren hilfreich. „Das ist Familie“, schrieb jemand. „Man kommt mit Leuten zusammen, die wenig miteinander zu tun haben und sich selten sehen. Familie ist ein wunderbarer Ort, um andere Meinungen akzeptieren zu lernen. Freunde kannst du dir aussuchen. Familie nicht.“
In vielen Haushalten gilt die Regel: Über Politik redet man nicht. Erst recht nicht, wenn die Familie zusammenkommt. Zu groß ist die Gefahr, dass zu gegensätzliche und teilweise unvereinbare Meinungen aufeinanderprallen. Und wie schützt man sich am besten davor, Menschen, die einem wichtig sind, nicht zu verprellen? Man spart die Themen aus, wo man weiß, dass sie Probleme machen.
Unser Versuch einer Aussprache hat nicht viel genützt. Alleine schon deshalb, weil weder ich noch mein Vater Physik, Mathematik oder Biologie studiert haben und mir, trotz guter Vorbereitung, die Argumente ausgingen. Letztens sagt er am Telefon zu mir, die Jusos wollen Schwangerschaftsabbrüche bis zum neunten Monat legalisieren lassen.
Sogenannte Journalisten behaupten, "Wahrheit" zu verkünden
Eine fünfsekündige Google-Recherche bringt mich zu einem Artikel von „Correctiv“. Die Plattform geht Themen nach, die aktuell in rechtskonservativen Blogs trenden und ordnet sie kritisch ein. Das Ergebnis: Die Jusos hatten gefordert, die starre Drei-Monatsregelung aufzuheben, allerdings nicht konkretisiert, bis wann sie den Zeitraum festlegen wollen.
Diese Ungenauigkeit wurde von rechten Fake-News-Portalen mit Freude aufgenommen und schon war die Lüge im Netz. Eine Korrektur findet in diesen Medien nicht statt und so nisten sich solche Behauptungen in den Köpfen der Leser unwiderruflich ein. Unter anderem auch in dem meines Vaters.
Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie er sich inzwischen politisch zu informieren scheint – weitab der gängigen Medienformate haben sich zahlreiche alternative Blogger und sogenannte Journalisten hervorgetan, die von sich behaupten, „Wahrheit“ zu verkünden. Ich selber hatte von dieser Nachricht nichts mitbekommen, bis mich mein Vater darauf hinwies. Die viel zitierte Filterblase, die uns alle umgibt – hier konnte ich sie am eigenen Leib erfahren.
Thilo Sarrazin war seine Einstiegsdroge
Hilflos muss ich zuschauen, wie mein Vater weiter abdriftet. Er ist süchtig geworden. Süchtig nach extremer Wahrheit und Radikalität. Dabei hat er seine Dosis immer weiter erhöht. Die Einstiegsdroge war Thilo Sarrazin. Später kam die Berichtserstattung über den Krieg in der Ukraine hinzu, die seine Zweifel an den Leitmedien erhärtet haben. Nun ist er bei der Leugnung des Klimawandels angekommen.
Dass er den Islam nicht als Religion anerkennt und sich fremdenfeindlich äußert, nehme ich inzwischen fast gleichgültig hin – immerhin bin ich nicht muslimischen Glaubens und somit nicht selbst betroffen. Inwieweit ist eine Diskussion noch sinnvoll, wenn sich unvereinbare Standpunkte gegenüber stehen? Wie soll man miteinander reden, wenn die größte Bedrohung für die Menschheit nicht als solche anerkannt und sogar verleugnet wird? Und wäre es nicht verlogen, sich nett an den Kaffeetisch zu setzen, wenn man die Ideologie des anderen nicht nur für falsch, sondern für hochgefährlich hält?
Die Frage, was denn passiert ist, dass sich mein Vater zu solchen Theorien hingezogen fühlt, treibt mich um. Ich schlafe schlecht. Ich denke viel nach. Das Schlimmste aber ist: Ich beginne an meiner Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. „Wenn er nun Recht hat?“, denke ich, wenn die Augen nicht zufallen wollen. „Wenn sich alle Wissenschaftler, Ich und der Rest der Menschheit, geirrt haben?“ „Wenn alles eine Lüge ist?“ Es ist schließlich mein Vater.
Das Problem liegt im Ideologischen
Ich stehe auf, setze mich an den Schreibtisch und gebe das Wort „Klimawandel“ bei Google ein. Der dritte Vorschlag, den mir die Suchmaschine anbietet, ist „Lüge“. Die Ideologie ist auf dem Vormarsch – das wundert einen nicht, wenn man bedenkt, das ein bekennender Klimawandel-Leugner inzwischen Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden ist. In Deutschland ist es die AfD, die solche Theorien in den Umlauf bringt.
Ich lese mir, nicht zum ersten Mal, den Wikipedia-Artikel über den Klimawandel durch. Die Wissensquelle für die westliche Welt kann doch eigentlich nicht irren, denke ich. Für mich und viele andere ist es das Standardnachschlagewerk geworden – für meinen Vater wohl ein Propagandainstrument. Bin ich hier der Idiot ? Oder ist es mein Vater?
Ich finde einen Artikel über Klimawandel-Leugner. Ich lese, dass Fakten in solchen Debatten meistens wenig hilfreich sind. Man vermutet instinktiv ein Wissensdefizit und überflutet die Gegenseite mit Material – das führt aber selten zum Erfolg. Das Problem liegt im Ideologischen. Es gibt Menschen, die von einhelligen Meinungen Abstand nehmen und sich lieber an den Rand bewegen. Es geht darum, sich nicht abgebildet zu sehen und dadurch nicht mehr dazugehören zu wollen.
Hat die Erfahrung aus der DDR mit seiner Einstellung zu tun?
Vielleicht ist das bei meinem Vater so. Wenn der Konsens zu groß wird, zieht er ihn komplett in Zweifel. Aufgewachsen ist er in der DDR. Misstrauen und Zweifel waren Alltag. Dem Staat und seinen Bediensteten konnte man nicht trauen, genauso wenig seinen Mitbürgern, die einen jederzeit an die Staatssicherheit verraten konnten.
So hat er es mir früher häufig erzählt. Hat diese Erfahrung etwas mit seiner jetzigen Einstellung zu tun? Dabei ist mein Vater ein gebildeter und kultivierter Mann. Er hat Brecht, Kästner und Goethe gelesen. Sein Wissensschatz ist groß und breit gefächert. Dafür habe ich ihn immer bewundert. Offensichtlich schützt aber auch dieses Wissen nicht davor, in die falsche Richtung abzubiegen. Und einzugestehen, sich verlaufen zu haben.
Mein Vater meint, ich sei radikal. Er hat recht. Ich bin in diesem Punkt radikal und intolerant gegenüber einer anderen Meinung. In meiner alten Klasse hatten wir mal eine Diskussion: Wie verhalte ich mich gegenüber Menschen, die den Holocaust leugnen? Die Ergebnis war simpel: gar nicht. Es geht in so einer Debatte nicht um Fakten, sondern um eine Weltanschauung. Man sollte sie also gar nicht erst führen.
Der Klimawandel kommt. Die vergangenen vier Jahre waren die heißesten der Wetteraufzeichnung. Unsere Lebensgrundlage wird zerstört, die weltweite Ungerechtigkeit zementiert und der Planet auf unabsehbare Zeit unbewohnbar gemacht. Jahrzehntelang wurden wir gewarnt - wir haben die Warnungen ignoriert. Eine Leugnung des Klimawandels ist vor allem eines: ignorant.
Meine Generation fühlt sich alleingelassen
Ich und meine Generation werden mit ihren berechtigten Sorgen vor der Zukunft alleingelassen. Und nicht nur das – man nimmt uns nicht einmal ernst. Ja, ich habe Angst. Angst davor, mir später vorwerfen zu müssen, nicht genug getan zu haben, um diese Ideologie aufzuhalten. Sonst bin ich womöglich schon die letzte Generation gewesen, die die Natur einigermaßen intakt vorgefunden hat.
Genau an so einem Punkt endet Politik. Es geht um ein Menschenbild, um ein Grundverständnis von Solidarität, das hier untergraben wird. Es ist paradox: Auf der einen Seite fordere ich Respekt und Verständnis für mich und andere ein und halte dies für die wichtigste demokratische Tugend. Auf der anderen spreche ich eben diese Toleranz für eine Leugnung von Fakten ab.
Bin ich nun totalitär, wenn ich Meinungen, die sich feindlich und ignorant gegenüber anderen verhalten, nicht akzeptiere? Wäre ich als Jugendlicher in die rechte Szene abgerutscht – mein Vater hätte sich zurecht Sorgen gemacht und versucht, mich dort wieder rauszuholen. Dieselbe Verantwortung gilt auch umgekehrt. Meinen Vater sehe ich zurzeit nicht mehr. Ich erkenne ihn einfach nicht wieder.
Leopold Löffler