Gedenkstätten-Direktor Helge Heidemeyer: DDR-Aufarbeitung ist noch längst nicht fertig
Die Stasiopfer-Gedenkstätte in Hohenschönhausen hat nach der Abberufung von Hubertus Knabe einen neuen Leiter. Der Historiker hat viel vor.
Der neue Direktor der zentralen Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin will die Aufarbeitung auf eine neue Stufe stellen. Neben Führungen mit früheren Häftlingen durch das einstige Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit werde nun verstärkt das Umfeld mit einbezogen, sagte Helge Heidemeyer. Es gebe deutlich mehr Touren durch das einstige Sperrgebiet um die Stasi-Haftanstalt oder Rundgänge im einstigen Haftkrankenhaus. Zudem werden Zellen im früheren Gefängnis mit elektronischen Medien ausgestattet.
„Wir stellen uns den Herausforderungen der Zukunft“, betonte der Historiker. Er freue sich über jeden Besucher, der sich für die DDR-Vergangenheit interessiere, doch „was wir quantitativ leisten, liegt an der Obergrenze“. Jetzt gehe es um noch mehr Qualität der Führungen. In diesem Jahr kamen bis Ende August bereits 245.000 Interessierte, davon waren etwa die Hälfte Schulklassen.
„Hohenschönhausen ist der Ort, der wie kein anderer das SED-Unrechtsregime veranschaulicht. Die Gedenkstätte hat großen Wert für unseren Umgang mit Geschichte“, so Heidemeyer.
Denjenigen, die nie Repressionen erleben mussten, sollte auch in Zukunft verdeutlicht werden, wie schnell man aus einem ganz normalen Leben herausfallen und im Gefängnis landen konnte. In original erhaltenen Zellen und Verhörräumen wird an politische Willkür und Unrecht erinnert.
Der Politikwissenschaftler und Historiker, der zuletzt Chef der Abteilung Bildung und Forschung in der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen war, leitet die Gedenkstätte seit Anfang September.
„Ich habe ein freundliches, kompetentes und engagiertes Team vorgefunden“
Der langjährige Direktor Hubertus Knabe war abberufen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, nicht konsequent gegen sexuelle Belästigungen von Frauen in der Gedenkstätte vorgegangen zu sein. Der juristische Streit um seinen Rauswurf wurde mit einem Vergleich beendet. Der frühere Stellvertreter von Knabe klagt noch gegen seine Kündigung.
Vor mehr als einem Jahr hatten Mitarbeiterinnen, Praktikantinnen und Volontärinnen der Einrichtung in einem Brief an Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) übergriffiges Verhalten von Vorgesetzten beklagt und damit einen Stein ins Rollen gebracht.
„Ich habe ein freundliches, kompetentes und engagiertes Team vorgefunden, das darauf brennt, die Aufgaben der Zukunft zu lösen“, sagte Heidemeyer. Er wolle mit den Mitarbeitern zu einem wertschätzenden Klima sowie offenen Diskussionen kommen. Es sei schwierig, wie an einem früheren Ort der Repression Machtpositionen ausgenutzt worden seien, bemerkte der 56-Jährige.
Derzeit führen rund 110 Referenten Besucher durch den einstigen Gefängniskomplex. Rund ein Drittel von ihnen sind noch frühere Häftlinge, ihre Zahl sei derzeit stabil, nehme langfristig aber ab. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen sollen künftig auch in Zellen des Gefängnisses über Tablets eingespielt werden.
Denkmalgeschützter Gefängnistrakt wird konserviert
„Wir wollen neue Formen der Auseinandersetzung mit Geschichte bieten“, so Heidemeyer. Zudem sei die Forschung noch nicht abgeschlossen. Wie der Tag eines Häftlings genau ablief, solle noch mehr herausgearbeitet werden.
Bis Ende 2020 wird der denkmalgeschützte Gefängnistrakt für rund neun Millionen Euro konserviert und mit einem Fahrstuhl ausgestattet. Auch Seminarräume werden laut Heidemeyer eingerichtet. Besucher haben bis dahin nur eingeschränkt Zutritt.
Anliegen des neuen Direktors ist es auch, mit anderen Einrichtungen der DDR-Aufarbeitung zu kooperieren. „Ich engagiere mich dafür, Hohenschönhausen hier stärker einzubinden.“ Erst in der Gesamtschau werde der repressive Charakter der DDR klar, erst so werde der ganze Apparat deutlich.
Die Gedenkstätte in Hohenschönhausen ging aus dem zentralen Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit hervor, die dort von 1951 bis 1989 mehr als 11.000 Menschen einsperrte. Darunter waren Oppositionelle wie Bärbel Bohley oder Jürgen Fuchs. Im Vorjahr kamen laut Kulturverwaltung etwa 470.000 Interessierte. (dpa)
Jutta Schütz