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Freund des Understatements. Der 1965 im schwäbischen Heiningen geborene Schriftsteller Bov Bjerg.
© Milena Schlösser

Bov Bjerg im Porträt: Ich bin mein eigener Leuchtturm

Normalo unter Rampensäuen: Eine Begegnung mit dem Berliner Kabarettisten und „Auerhaus“-Autor Bov Bjerg.

Rund ist er, rot und dick. Nicht sonderlich hoch, aber dafür romantisch an einer Steilküste über dem Meer gelegen. Bovbjerg Fyr steht ganz allein auf weiter Flur. Ganz anders als der Mann, der auf einer Silvestertour mit ein paar Kumpels nach Dänemark auf den in seinem Fall eher zungenbrecherischen als größenwahnsinnigen Einfall kam, sich nach dem Leuchtturm an der Westküste Jütlands zu benennen.

Bald 30 Jahre nach dieser Tour drängelt sich Bov Bjerg mit vier weiteren sehr berlinischen Berühmtheiten auf einer Bühne – beim Kabarettistischen Jahresrückblick, der stets im Dezember im Mehringhoftheater beginnt und im Januar ins Theater am Kurfürstendamm umzieht. Satte zwanzig Jahre alt ist die Show zum Jahreswechsel nun schon. Begonnen haben Horst Evers, Christoph Jungmann, Hannes Heersch, Manfred Maurenbrecher und Bjerg 1997 in Kreuzberg mit fünf Vorstellungen und einer eher unklaren Idee davon, was den paar versprengten Zuschauern überhaupt geboten werden soll. Daraus ist mittlerweile ein Jahresendritual mit 50 Vorstellungen und Tausenden von Zuschauern geworden – samt Gastspielen in Hamburg und Kiel.

In der pickepackevollen Vorstellung an diesem Freitagabend hocken nicht wenige, offensichtlich von den Eltern mitgebrachte Teenager im aufgepulverten Publikum. Der Charme der kurzweiligen Veranstaltung ist wunderlich und wundersam zugleich: Maurenbrecher traktiert sein Piano, Heesch und Jungmann parodieren Politiker, Evers lacht sich beim Vorlesen eigener Werke selber tot, Bjerg trägt ernsten Blick zum dunklen Anzug und liest seine böse Satire „Mit Nazis reden“ stoisch von Zetteln ab.

Es ist ein komisches Männerkränzchen, das Fellini gecastet haben muss. Alle haben einen an der Hacke bis auf Bov Bjerg. Der ist der Normalo unter den Rampensäuen. Ein Bühnenkünstler, der sich dort nicht wirklich zu Hause zu fühlen scheint und doch mit seiner ungerührten Art das wüsteste Gegacker erntet. Mit einem Gaga-Text über erotische Rachenlaute im Spanischen und Schwyzerdütschen, den er an eine nicht minder ulkige Verballhornung des Streits um das Eugen-Gomringer-Gedicht „Avenidas“ an der Fassade einer Hellersdorfer Hochschule anschließt.

200 000 Exemplare wurden von "Auerhaus" verkauft

Kurios ist auch das Schlussbild, als der schlaksige Bjerg im sängerischen Überschwang der Zugabe plötzlich ins Hüpfen gerät. Das ist ja viel zu viel Ekstase für einen Skeptiker wie Bjerg. Horst Evers, der neben ihm am Mikro steht, mustert ihn irritiert. Wohl wild geworden, der Herr Schriftsteller, scheint sein Blick zu sagen. Und wenn einer so gucken darf, dann ist das der Horst, der den Bov schon seit den seligen Achtzigern kennt, als sich die beiden noch unentdeckten Humoristen aus der Provinz beim großen Unistreik an der FU im Dahlemer Germanisten-Café kennenlernten.

Die Schnurren erzählt der nach seinen Büchern „Deadline“, „Auerhaus“ und zuletzt „Die Modernisierung meiner Mutter“ inzwischen von der Literaturkritik ernst genommene Bjerg ein paar Tage nach der Show beim Treffen im Café Butter. Als Vater von drei Kindern ist er in seinem Revier in Prenzlauer Berg auch schon morgens anzutreffen. „Gefährliche Wahl“, kommentiert er den Sitzplatz am Rande einer Empore, der – ähnlich wie der dänische Leuchtturm – direkt am Abgrund steht. „Hier hat auch mal Bruce Springsteen gestanden“, punktet er mit popkulturellem Wissen, „und dann mit Wolfgang Niedecken gespielt.“ Ist aber 25 Jahre her. Da hieß der Laden noch „Eckstein“ und Bjerg wohnte in Kreuzberg. Nach Berlin ist der 1965 geborene Schwabe 1984 gekommen. Um der Bundeswehr zu entgehen, wie das weiland so üblich war. Und wie es sein Protagonist im Roman „Auerhaus“ hält.

Die 2015 erschienene Geschichte einer WG jugendlicher Dorf-Outcasts, die sich um einen selbstmordgefährdeten Freund bemüht, hat Bov Bjerg zu seinem eigenen Erstaunen zum Bestsellerautor gemacht. 200 000 Exemplare wurden verkauft. Die Bühnenadaption läuft landauf, landab, vom Deutschen Theater Berlin bis zum Thalia Theater Hamburg. Constantin Film hat die Kinoversion in der Mache. Regie führt Neele Vollmar, die mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ Maßstäbe im Kinderfilm setzte.

Auch für Bjerg selbst stehen „Auerhaus“-Termine an. 2018 eine Lesereise durch Italien. Ansonsten ist er froh, dass sich die Aufregung um das Buch wieder gelegt hat. „Ich lasse mich schon gern auf der Bühne belachen und beklatschen“, korrigiert er den beim Jahresrückblick gewonnenen Eindruck. Doch sonst lebe er lieber weniger exponiert. Da hockt der aufgeräumte Plauderer ganz gerne einsam in der Dichterklause, hat die ersten 30 Seiten eines neuen Romans fertig und ringt als Absolvent des Leipziger Literaturinstituts seriös mit der erzählerischen Perfektion. Als Bestsellerautor doch sicher mit Verlagsvorschuss? Bjerg schüttelt den Kopf. So vernünftig ist er nicht. Lieber schreibt er in Ruhe und bietet das Werk hinterher an. „Sonst ist die Gefahr groß, dass man irgendwas zusammendengelt. Das geht für die Bühne, aber nicht in einem Roman.“ Auf Pointe schreibt Bjerg nur noch für den Jahresrückblick. „Ich bin ein Schriftsteller, kein Kabarettist.“

Der Jahresrückblick ist das „ Lagerfeuer“ des politisch amüsierten Kleinkunst-Berlin.

Nur weil er als Gründer von „Dr. Seltsams Frühschoppen“, der „Reformbühne Heim & Welt“ und dem dann doch kabarettistischer angelegten „Mittwochsfazit“ in den 90ern die aufs Duzen geeichte Berliner Lesebühnenszene geprägt hat, ist er noch lange kein Kumpeltyp. Als Freund des Understatements spricht Bjerg lieber über das, was er nicht kann, schauspielern etwa. „Deswegen spiele ich auch keine Figuren.“ Höchstens mal einen Piloten oder Finanzminister, als sie beim Jahresrückblick einen Varoufakis brauchten. Und das Thema Trump, das im 2016er Programm noch ausführlicher behandelt wurde, kommentiert er mit: „Meine Texte waren Mist, aber sonst war’s richtig gut.“

Davon nun abzuleiten, dass die mit fortschreitendem Alter immer flüssiger agierenden, aber verschrobener anzusehenden Jahresrückblickler frei von Eitelkeiten sind, ist ein Irrtum. Scheiße aussehen als Form des Widerstands sei ja ein schöner Gedanke, findet Bjerg, hat aber eine andere Erklärung für den Erfolg der Truppe. „Die Leute stehen einfach darauf, dass man uns unsere Eitelkeit nicht unbedingt ansieht.“ Dafür ahnen sie womöglich die von Bov Bjerg als Tugend betrachtete Loyalität, die unter den „engen Freunden“, die sich die Bühne teilen, herrscht. Vor „Auerhaus“ hat er selbst noch den Grundstock seines Jahreseinkommens mit der Show bestritten. Da schätzt man es besonders, wenn ein Horst Evers, der diese Gagen nicht so irre nötig hat, den alten Kupferstechern aus Lesebühnen-Tagen weiter die Treue hält. „Wir tragen uns gegenseitig, auch wenn einer schlecht drauf ist.“ Der Jahresrückblick ist das „ Lagerfeuer“ des politisch amüsierten Kleinkunst-Berlin.

Die politischen Verwerfungen des Jahres der Fake-News hatten für Bov Bjerg auch etwas Gutes. Er abonniert jetzt online die „New York Times“ und unterstützt mit einem regelmäßigen Beitrag auch den Online-Auftritt des britischen „Guardian“. „Schließlich profitiere ich sehr von deren aufwendigen Recherchen.“ Ansonsten hegt er für 2018 klare Erwartungen: A) Dass die AfD sich selbst zerlegt. Und B) „Dass sich eine breite pro-europäische Basis-Bewegung gründet, die dem von der schweigenden Mehrheit verbreiteten Eindruck entgegentritt, dass Europa im Eimer ist.“

Das Jahresende verlebt Bov Bjerg, der Autor, übrigens anders als Bovbjerg, der Leuchtturm. Letzterer erleuchtet das Meer vor Dänemark. Ersterer spielt in Berlin eine Doppelvorstellung. Und hinterher? „Da gehe ich nach Hause und schaue, wer da ist.“ Klingt nach einem kugelrunden Silvester.

Im Mehringhof ist der Kabarettistische Jahresrückblick bis zum 1. 1. ausverkauft. Für die Vorstellungen ab 4. 1. im Theater am Kurfürstendamm gibt es Karten.

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