Bov Bjerg und sein Roman "Auerhaus": Schule aus
Könnte zu einem zweiten "Tschick" werden: Bov Bjergs wunderbarer Coming-of-Age-Roman „Auerhaus“.
So war das wohl damals, als man Abitur machte und sich in Deutsch durch die Literaturepochen mühte: „Sturm und Drang, Klassik, Romantik, ich konnte mir die Reihenfolge nie merken. (...) Hatte sich Goethe irgendwann mal vorgenommen, so, genug Klassik geschrieben, das wird mir langweilig, jetzt schreibe ich Sturm und Drang?“ Und außerdem: „Sturm und Drang, das klang wie so eine christliche Teenie-Band.“
Wer hier gerade an Goethe verzweifelt, ist der Icherzähler aus Bov Bjergs Roman „Auerhaus“, genannt Höppner, wie er mit Nachnamen heißt, weil eben damals zu Schulzeiten die Andreas’, Martins oder Julias immer nur Hartung, Bergmann oder Keune gerufen wurden. Höppner ist 18 Jahre alt, lebt irgendwo im Schwäbischen und steht kurz vor dem Abitur sowie vor der Musterung und der Entscheidung, den Dienst an der Waffe bei der Bundeswehr womöglich zu verweigern – wir befinden uns nämlich tief in den achtziger Jahren. In Höppners Leben ist auch sonst einiges los: Sein Freund Frieder hat einen Selbstmordversuch begangen, der Freund seiner Mutter nervt, mit Vera läuft es mal so, mal so. Und irgendwann gründet er mit Frieder, Vera und noch ein paar anderen eine WG, und alle zusammen ziehen sie in ein altes Bauernhaus, das Auerhaus, nicht ganz zufällig nach einem Song von Madness so genannt, „Our House“. Man könnte also sagen: Birth und School, kurz vor Work und eigentlich lange vor Death, um es abermals abgewandelt mit dem von Bjerg häufig zitierten Titel eines Popsongs aus jener Zeit zu sagen. So weit, so nicht gerade über die Maßen aufregend.
Dies ist kein Poproman!
Aufregend jedoch ist, wie der 1965 geborene und bislang vor allem als Berliner Lesebühnenautor hervorgetretene Bov Bjerg die Geschichte von Höppner und seiner Freunde erzählt: authentisch, stimmig, die Sprache Heranwachsender präzise treffend, genauso lässig, nachlässig und flapsig wie naseweis und juvenil hochtrabend. Es wirkt stellenweise, als sei Bjerg selbst noch mitten in der eigenen Aufbruchsphase, als sei seine eigene Jugend nie vergangen – nur die seiner Helden, die gerade lernen, dass dieses Vergehen unweigerlich kommt.
Smells like teen spirit: Nicht weniger bemerkenswert, dass Bjerg quasi wie nebenbei, aber schon auch explizit keinen Poproman geschrieben hat. Das eine oder andere Zitat ist dabei, siehe Madness, siehe Godfathers, auch Telefonzellen, vor denen abends „Gastarbeiterfamilien“ Schlange stehen, und ein bisschen West-Berlin-Sehnsucht fehlen nicht. Aber ansonsten kommt Bjerg komplett ohne die typischen Requisiten vom „Bravo“-Starschnitt bis zum „Geha“-Füller aus, mit denen die deutschsprachige Literatur versucht, Zeitkolorit einzufangen oder den Pop der späten neunziger Jahre wiederaufzulegen. Bov Bjerg erzählt schnickschnacklos und mit Übersicht, das kann er, genau wie Dialoge schreiben, und ein Gespür gleichermaßen für Komik wie unaufdringliche Sentimentalität hat er auch. Kurzum: „Auerhaus“ lässt sich problemlos neben „Tschick“ stellten. Muss ja nicht immer gleich Goethe sein.
Bov Bjerg: Auerhaus. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2015.236 Seiten, 18 €.
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