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Das Jahresendzeitteam mit Christoph Jungmann (M.) als Angela Merkel.
©  Mehringhoftheater/David Baltzer

Kabarettistischer Jahresrückblick: Die Gegenwart ist düster - diese Fünf leisten Widerstand

Jamaika, Castorf, Glyphosat: Der Jahresrückblick der Kabarettisten im Mehringhoftheater.

Anfangs herrscht Endzeitstimmung beim Jahresendzeitteam. Der Kabarettistische Jahresrückblick, der sein 20-jähriges Jubiläum feiert, beginnt mit einer lustigen Parodie auf die Serie „Game of Thrones“, die von manchen als politische Krisenerzählung gelesen wird. Aus dem Off ertönen Unheil dräuend die Stimmen von Manfred Maurenbrecher und Horst Evers und berichten von Ungemach. Angela Pastorentochter bekommt es beim Kampf um den Thron nicht nur mit Christian Lindner zu tun, sie muss sich auch noch mit Martyrium Schulz und dem Mad King rumplagen. Und da stapft auch schon Horst Evers in Zottelfellkostüm auf die winzige Bühne des Mehringhoftheaters und raunt von dunklen Mächten, die das Reich bedrohen. Um plötzlich ernüchtert festzustellen, dass das Jahr 2017 nichts mit Fantasy zu tun hat. Die Zeiten sind finster, doch die fabulösen Fünf – Bov Bjerg, Horst Evers, Hannes Heesch, Christoph Jungmann und Manfred Maurenbrecher – leisten Widerstand.

Bov Bjerg führt drastisch aus, was es heißt, einen Nazi am Hals zu haben. Der AfD-Mann, der ihm ein Messer an die Kehle presst, will eigentlich nur mit ihm reden, von wegen demokratischer Diskurs. Und so sitzt Berg nun schon seit Monaten mit seinem Plagegeist in der Kuppel des Reichstags und ist zur Touristenattraktion geworden. „Germans talking to nazis all day long.“ Von Angela Merkel, die in Gestalt von Christoph Jungmann immer durch das Programm führt, immer noch keine Spur. Dafür stürmt Jungmann als Alice Weidel auf die Bühne und singt „Oh Vaterland, wir sind bereit, dich von Merkel und Co. zu befreien.“ Ein Jahresrückblick ohne Merkel – undenkbar! Doch dann erscheint sie endlich, wie stets in pinkfarbenem Blazer zu schwarzen Hosen. Oberwasser hat sie diesmal nicht, beklagt sich nur ein wenig über das Buch des FAZ-Redakteurs Philip Plickert, in dem Professoren und Publizisten eine kritische Bilanz der Ära Merkel ziehen. Besonders nervt sie, dass ihr wieder ihr Kleidungsstil, die „Uniform der Dienenden“, vorgeworfen wird. Doch dann kündigt sie einen Überraschungsgast an: Christian Lindner! Hannes Heesch gibt sich so nassforsch wie selbstverliebt, lobt die FDP zunächst als selbstbewusste, junge, quicklebendige Partei – und hält dann einen Vortrag über richtiges und falsches Regieren. Das dritte Modell, führt er aus, sei das „konsequente Nicht-Regieren“. Er verrät auch, warum er Jamaika hat platzen lassen: Es gab nur Filterkaffee, handgebraut von Anton Hofreiter mit Fair-Trade-Kaffee. Als ungebetener Gast krakeelt Donald Trump im Hintergrund. Heesch gibt den US-Präsidenten als miesen Showman und covert den Sinatra-Song „The Lady is a Tramp“. Wenn er Merkel auf die Pelle rückt, erfüllt das fast schon den Tatbestand sexueller Belästigung.

Albernheit, Aufbegehren, absurder Witz

Markus Söder hat es leider nicht rechtzeitig nach Berlin geschafft. Der Knick in Erfurt, so weiß Horst Evers über die neue Schnellstrecke der Bahn zu berichten, ist Absicht, damit die Münchner nicht so schnell nach Berlin kommen. Er hat auch ausgerechnet: Wenn die Eröffnung des BER jedes halbe Jahr um ein ganzes Jahr verschoben wird, dann wird er das wohl kaum noch erleben. Hannes Heesch glänzt in seiner Lieblingsrolle als Joachim Gauck. Der ist nicht davon abzuhalten, als Luther aufzutreten – und auf Lutherdeutsch zu dozieren. Er kommt zu dem Schluss: „Es steckt sehr viel Gauck in Luther.“

Der ganz normale Berliner Wahnsinn wird auch wieder aufgespießt. Bov Bjerg greift den Sexismusstreit um das Gedicht „Avenidas“ auf und schlägt eine neue Version vor. Alleen, Blumen, Frauen, ein Bewunderer – diese vier Begriffe ersetzt er durch Straßenbahn, U-Bahn, S-Bahn und Schienenersatzverkehr. Ob das die Gender-Polizei besänftigt? Manfred Maurenbrecher widmet dem alten Kommunisten aus Lichtenberg und seiner Enkelin, diesen beiden Helden des Alltags, wieder ein herrlich aufrührerisches Lied. Auch dem Insektensterben wird ein Song gewidmet. Da summen und quacken die fünf aus Protest gegen die Verlängerung der Glyphosat-Lizenz. Zum Schluss gibt es eine Hommage an Frank Castorf und die bisherige Volksbühne, mit Experimentalfilm. Als Zugabe präsentieren sie noch einen Song auf, den sie 2006 über Gammelfleisch geschrieben haben.

Das Jahresendzeitteam – dies beweist der Abend, der zwischen Albernheit, Aufbegehren und absurdem Witz schwankt – hat noch lange nicht sein Verfallsdatum überschritten. Die Fünferbande beschränkt sich nicht darauf, Politiker auf die Schippe zu nehmen. Sie bieten auch dem Zeitgeist Paroli.

Die Vorstellungen im Mehringhoftheater (bis 1. Januar) sind ausverkauft. Ab 5. Januar im Theater am Kurfürstendamm.

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