Spielzeiteröffnung am HAU: "Hui Buh!" mit Douglas Gordon
Ist es ein Stück über die Pfandflaschen-Problematik in Prekariats-Haushalten? Nein, es ist vor allem anstrengend. Immerhin: Bei Douglas Gordons "Bound to Hurt" geht nichts zu Bruch.
Man muss aufpassen, wenn man über Douglas Gordon schreibt. Schließlich hat der Schotte unlängst die Schlagzeile produziert: „Wütender Künstler demoliert Theater mit Axt.“ Das war in Manchester, wo Gordon – Turnerpreis-Gewinner und berüchtigter Video-Extremist – seine Arbeit „Neck of the Woods“ zeigte. Eine musikalische Rotkäppchen-Fabel mit Charlotte Rampling und einigen Hackebeilen in der Hauptrolle, die in der britischen Presse wenig Begeisterung hervorrief. Woraufhin Gordon sich wohl eine der Requisiten schnappte und für die Scharfrichter den bösen Wolf gab.
So was wünscht man dem schönen HAU nicht, wo jetzt zur herbstlich späten Spielzeiteröffnung das jüngste Werk des Radikalinskis mit Doppelwohnsitz in Glasgow und Berlin-Kreuzberg zu sehen war, „Bound to Hurt“ betitelt.
Die HAU-Chefin Annemie Vanackere, fangen wir lieber mal so rum an, setzt zur Feier ihrer vierten Berliner Spielzeit einen angenehm unprätentiösen, aber nicht unambitionierten Auftakt. Die Künstlerin Vlatka Horvat lädt in „Beginnings Marathon“ das Publikum dazu ein, die erste Seite des jeweiligen Lieblingsbuchs vorzulesen. Die Gaming-Spezialisten von Machina eX veranstalten mit „Toxik“ eins ihrer Theater-Adventures. Und Gordon lässt die Bässe wummern.
Noch vor dem Einlass dröhnt aus dem Saal des HAU1 Techno-Pop in der Lautstärke eines Düsenjäger-Starts. Was nur bedeuten kann: Hier ist der Schmerz Programm. Wozu auch gehört, dass man sich den Weg auf die Plätze ohne Licht zu bahnen hat. Hui Buh, jetzt wird’s Kunst!
Jemand hat sich auf Archie übergeben. Schön ist das nicht.
Douglas Gordon ist ja eine große Nummer im Betrieb. Schon legendär ist seine Hitchcock-Zerdehnung „24 Hour Psycho“ – eine Videoinstallation, die den berühmtesten Schocker der Filmgeschichte mit gerade mal zwei Bildern pro Sekunden ablaufen lässt. Auch gefeiert wurde die Fußballer-Hommage „Zidane: A 21st Century Portrait“, für die Gordon Zinedine Zidane während eines Real-Madrid-Spiels mit 17 Kameras beobachtete. Und in Kunstliebhaber-Kreisen raunt man noch heute begeistert von seinem Opus „Play Dead; Real Time“, das einen Elefanten in der New Yorker Gorgosian Gallery beim Totes-Tier-Spielen zeigt.
„Bound to Hurt“ hat nun ein anderes Thema, das sich allerdings über weite Strecken so in die Finsternis zurückzieht wie die gesamte einstündige Performance-Installation. Bloß eine abgerissene Partylichterkette spendet anfangs ein bisschen Schummerbeleuchtung, auf einer Drehbühne klirrt das Leergut in beachtlicher Zahl. Man erfährt in fragmentarischen Sentenzen, dass hier etwas aus dem Ruder gelaufen ist: „You remember Brians Party? You were like so drunk that you threw up all over Archie“. Also: Auf Brians Fest hat sich jemand im Suff auf Archie übergeben. Das ist nicht schön.
Dazu intoniert das deutsch-isländische Ensemble Adapter eine bedrohlich wabernde Neue-Musik-Komposition des Briten Philip Venables. Wenn nicht gerade Frankie Vallies Fetenhit „Can’t take my eyes off you“ dazwischendonnert. Oder das Leergut scheppert.
Ist es ein Stück über die Pfandflaschen-Problematik in Prekariats-Haushalten? Nein, es geht um Gewalt, oft häusliche, wie das Programmheft aufklärt. Weswegen die tolle Hauptdarstellerin Ruth Rosenfeld später auch nackt unter Adapter-Getrommel auf der Bühne knien muss. Freundlich gesagt: eine sehr hermetische Veranstaltung.
Die gute Nachricht ist: Hier werden keine theatergefährdenden Requisiten verwendet. Patrick Wildermann
Wieder 9. und 10.10., 20.30 Uhr, HAU1
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