Kultur: Die Spielwütigen
Die Theatergruppe Machina eX bringt Computerspiele auf die Bühne, Ihr Fachgebiet sind Point'n-Click-Adventures, interaktive Games, bei denen der Spieler sich durch virtuelle Abenteuer navigiert. Nur dass die Spielfiguren aus Fleisch und Blut sind und höchstlebendig auftreten. Ein Probenbesuch vor der Premiere im Berliner HAU.
Wir schreiben das Jahr 2092. Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel. Die Erde hat unschöne atomare Verheerungen hinter sich, weswegen das Wohnen an der Oberfläche vorübergehend unattraktiv geworden ist. Nun aber sind die tapferen Cryonauten Amanda und Monica im Pionier-Bunker aus jahrzehntelangem Tiefkühlschlaf erwacht. Und nehmen die Neubesiedlung des Planeten in Angriff. Willkommen, goldenes Zeitalter! Doch stopp, ganz so einfach geht es nicht. Vor den Erfolg haben die Rätsel-Götter der Gruppe Machina eX den Schweiß gesetzt.
Das Grübeln überlassen die Masterminds dieser postapokalyptischen Versuchsanordnung den Zuschauern. Die sind bei ihnen die Akteure. Gerade brütet die Spielerschar über einem Zauberwürfel. Soll man den jetzt knacken? Oder nur irgendwo im Raum platzieren? „Vielleicht mal irgendwo hinlegen“, echot der Performer eines undurchsichtigen Wissenschaftlers, der mit starrem Blick vor und zurück läuft. Die rettende Idee?
„Uns ist erst ziemlich spät aufgegangen, dass niemand in der kurzen Zeit den Würfel lösen kann“, lacht Laura Alisa Schäffer. Also musste eine Alternative her. „Dafür brauchen wir diese Tests“, erklärt Anna Fries. „Um zu justieren, wie viele Hinweise der Performer geben muss.“ Gerade haben sie mit Freiwilligen den Durchlauf ihres jüngsten Projekts im Keller des HAU 2 beendet, das den verschlungenen Titel trägt „Wir aber erwachen – … aus Jahren der Kälte in einen jungen strahlenden Tag“. Es bleiben bloß noch ein paar Tage bis zur Premiere, umso wichtiger ist dieser „Beta-Test“.
Die Gruppe Machina eX transportiert Computerspiele in die Wirklichkeit. Ihr Fachgebiet sind Point-’n’-Click-Adventures, interaktive Games, bei denen der Spieler sich per Maus durchs virtuelle Abenteuerland navigiert. „Monkey Island“ hieß ein berühmtes Point-’n’-Click aus den frühen 90ern, das Genre ist heute Liebhabersache.
Die Machina-eX-Performer agieren als Game-Figuren, die immer wieder in den Leerlaufmodus schalten. Dann bewegen sie sich mechanisch auf und ab und wiederholen denselben Satz. Damit’s weitergeht, müssen die Spieler mithilfe der Requisiten im Raum den nächsten Plot-Point zusammenpuzzeln. Was auch zu amüsanten „Fehleingaben“ führt, wie es im Jargon der Computer-Aficionados heißt. Bei einem vorangegangenen Beta-Test, erzählt Fries, wurde einer ihrer Performer von den Spielern komplett verkleidet – weil die Machina-eX-Macher versehentlich eine Tüte mit Kostümen im Raum liegen gelassen hatten.
Die Gruppe besteht im Kern aus neun Mitgliedern, sämtlich Studierende oder Absolventen der Uni Hildesheim, vorwiegend aus den Bereichen Kultur- und Medienwissenschaften, Szenische Künste oder Kreatives Schreiben. Eine heterogene Truppe aus Mikrotechnikspezialisten, Dramaturgen, Performern, Sounddesignern – beileibe nicht alles Gaming-Nerds, aber vereint in der Leidenschaft fürs Spiel. Sie selbst, erzählt Laura Schäffer, sei ursprünglich eher für Jump-’n’-Runs entflammt gewesen. Und hätte gerne „Super Mario“ ins echte Leben geholt, was allerdings „an diversen TÜV-Ablehnungen scheiterte“. Die Grundidee aber blieb: Bits und Bytes aus Fleisch und Blut.
So entstand anno 2010 das erste theatrale Adventure „Maurice“, in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne in Hildesheim, als Diplomprojekt von Schäffer und ihrem Kommilitonen Jan Philip Steimel. Einen griffigen Slogan erfanden die Tüftler auch dazu: „Die Realität hat die geilste Grafik.“ Das Unternehmen Machina eX wäre womöglich nie über den ersten Level hinausgekommen. Hätte nicht der Auftritt beim „100°“-Festival der freien Berliner Szene 2011 den Durchbruch gebracht. Da zeigte die Gruppe „15 000 Gray“: Man betritt ein Labor, in dem gefesselt ein bewusstloser Professor liegt, eine Zeitbombe um den Bauch gebunden. Tick, tack, die Uhr läuft.
Es kam sensationell an. Noch einen Tag vor der Premiere hatten die Maschinisten mit langen Gesichtern beisammengesessen und einander geschworen: „Das machen wir nie wieder!“ Sie hatten bloß zwei Wochen Vorbereitungszeit gehabt, und nur vier Tage, um den Raum technisch aufzurüsten. Machina-eX-Projekte sind logistische Mammutunterfangen. Zum Vergleich: Für „Wir aber erwachen“ stand ihnen der Keller des HAU sieben Wochen lang offen. Dazu kam, dass während der Proben an „15 000 Gray“ ein Beta-Test stattfand, „der uns völlig über den Haufen warf“, berichtet Fries. Eigentlich wollten sie Rätsel von einzelnen Gruppen simultan lösen lassen, statt Station für Station von allen gemeinsam. Es funktionierte nicht, sagt sie. „Wir haben damit gerechnet, dass uns die 100°-Macher wieder nach Hause schicken.“
Von wegen. In der Folge wurde die Gruppe zum „Impulse“-Festival eingeladen, dem Theatertreffen der freien Szene. Die Maschinisten beschlossen, dem Unternehmen eine Zukunft zu geben und gründeten eine GbR, deren Heimatbasis sich mittlerweile in Berlin befindet. Vom Uni-Projekt zum Medientheater-Start-up. Gefragt auf dem „Best Off“-Theaterfestival in Hannover wie auf der „Next Level“-Gaming-Conference in Köln. Ein Zwitterstatus, der Machina eX zwar anfangs durch alle Förderraster fallen ließ, sie aber zugleich zum Paradebeispiel einer Szene macht, in der Genregrenzen fallen.
Es gibt ein paar Regeln zu beachten. Die wichtigste erläutert Machina-eX-Mitglied Nele Katharina Lenz den Beta-Test-Kandidaten vorab: „Ihr spielt miteinander, nicht gegeneinander.“ Was gruppendynamische Prozesse in Gang setzt und eine bemerkenswerte Chemie zwischen Performern und Spielern, obwohl die nie direkt miteinander kommunizieren. Die allerwichtigste Regel: niemals irgendwelche Kabel ziehen. Ansonsten hat der Spieler bei Machina eX volle Handlungsfreiheit im Rahmen der klaustrophobischen Settings. Und wird im Zweifel sogar zur richtenden Instanz.
Wie im Falle der Arbeit „Mannheim ’75“, die für Matthias Lilienthals Format „X-Wohnungen“ in einem privaten Partykeller voller Schnapsflaschen entstand. Da konnten die Spieler einem Ökoterroristen entweder das Handwerk legen. Oder ihn seine Bombe zünden lassen. Auch am Ende des neuen Adventures, versprechen Anna Fries und Laura Schäffer, stehe wieder eine moralische Entscheidung. Soll das Spiel um jeden Preis weitergehen? Oder soll es besser heißen: Game over?
HAU 2, Hallesches Ufer 32, 12. bis 15., 17. bis 21. sowie 23./24. April, Tickets: 030/25900427, www.hebbel-am-ufer.de
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