Hieronymus Bosch in Holland: Hölle auf Erden
Der Monster-Maler: Hieronymus Boschs Heimatstadt ’s-Hertogenbosch feiert den großen Künstler mit einer umfangreichen Ausstellung zu dessen 500. Todestag.
Was Hieronymus Bosch wohl dazu gesagt hätte: Genau eine Woche, bevor auf dem Marktplatz von ’s-Hertogenbosch Motive seiner Gemälde bei einer Lichtschau auf fünf historische Häuser – in der Mitte sein Geburtshaus – projizieren sollte, stürzten zwei davon ein. Von einer Minute auf die andere, mitten in der Nacht. Eine halbe Stunde zuvor hatten Handwerker die unbewohnten Gebäude verlassen, keiner kam zu Schaden. Der Höhepunkt der Festivitäten zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch (um 1450 bis 1516) fällt damit aus.
Vermutlich hätte der mittelalterliche Maler dieses denkwürdige Ereignis als höheres Zeichen gedeutet, als Warnung von oben, es nicht zu übertreiben mit den Feierlichkeiten, dem ganzen Firlefanz zu seinem Jubiläum. Denn Hieronymus Bosch war Moralist, durch und durch. In seinen Bildern trennt er säuberlich Gut von Böse und zeigt den Menschen zwischen Himmel und Hölle, getrieben von Habgier, Trunksucht, Völlerei.
Der Intendant des Jubiläumsjahrs Ad ’s-Gravesande versucht das Desaster mit Fassung zu tragen, das die kleine Stadt in den südlichen Niederlanden ausgerechnet im Moment der größten internationalen Aufmerksamkeit ereilt hat. Eigentlich wollte man hier ein Besucherzentrum für Boschs Geburtshaus errichten, aber die Besitzer der eingestürzten Häuser wollten bislang nicht verkaufen. Das dürfte sich nun geändert haben, glaubt der Intendant. Nachdem die Ruine abgeräumt sei, könnte das Zentrum hinter den rekonstruierten Fassaden entstehen: modern, besser zugänglich, wie beim Anne-Frank-Haus in Amsterdam, das ebenfalls neben der authentischen Stätte einen Neubau als Entree bekam.
Es ist die bislang vollständigste Bosch-Ausstellung
’s-Hertogenbosch ist im Fieber, die Stadt hat ihre Sensation. Nicht weil die Lightshow ausgefallen ist, nicht weil das Handelsstädtchen zum Schauplatz für Boschs Bestiarium geworden ist: Auf den Schaufenstern der Läden kleben seine Zwitterwesen, in den Kanälen sind sie als Skulpturen aufgestellt, um bei Bootstouren bewundert zu werden, im historischen Gebäude der Liebfrauen-Bruderschaft, in der Bosch Mitglied war, schweben seine Riesenfische mit reitenden Menschen als überdimensionale Ballons.
Nein, die Sensation ist anderer Art. Es ist nicht das Bohei, das sich die Jubiläumsmacher mit dem benachbarten Vergnügungspark de Efteling ausgedacht haben, sondern die Rückkehr des Künstlers mit seinen Bildern. „Hieronymus Bosch – Visionen eines Genies“ ist die bislang vollständigste Ausstellung mit Werken dieses Meisters der Monster und Fabelwesen, dieses fantastischen Erzählers biblischer Szenarien, die vor Engeln, Heiligen, Teufeln nur so wimmeln. Sein Leben lang blieb Bosch am Ort, isoliert von den Kunstzentren des prosperierenden Landes, vermutlich reiste er nicht einmal. Trotzdem verkaufte der Maler international, seine Bilder fanden reißenden Absatz vor allem beim spanischen König. Die Folge: Kein einziges Werk blieb in seiner Heimatstadt, heute befinden sie sich in den großen Museen der Welt, im Louvre, im Prado, im Metropolitan Museum, in der Berliner Gemäldegalerie.
Alle bekannten Werke des Malers wurden auf ihre Echtheit geprüft
Um sie wenigstens für das Jubiläum zurückzubekommen, mussten sich die Stadtväter etwas einfallen lassen, eigene Werke kann ihr Noordbrabants Museum als Gegenleihgabe ja nicht bieten. Stattdessen besteht das Tauschgeschäft in Know-how und Restaurierungen. Das vor sechs Jahren gegründete Bosch Research and Conversation Project bereiste neun Länder, um alle bekannten Werke des Künstlers zu untersuchen, zwölf wurden restauriert. Der Deal: ’s-Hertogenbosch bekam 17 von 24 verbürgten Gemälden, ferner 19 Zeichnungen. Zugleich machten die Experten spektakuläre Zu- und Aberkennungen. Nach neuesten Erkenntnissen müssen die Genter „Kreuztragung“ und die „Sieben Todsünden“ aus dem Prado aus dem Œuvre gestrichen werden, dafür wachsen ihm „Das jüngste Gericht“ aus Brügge und eine Zeichnung zu, die ein belgischer Privatsammler erst vor wenigen Jahren ersteigerte. Den Neubesitzer dürfte diese Adelung freuen, auch wenn sich bereits wieder erste Zweifler melden.
Der Prado zeigte sich andererseits höchst verärgert über die Aberkennung eines der wichtigsten Werke seiner Kollektion und ließ die „Sieben Todsünden“ nicht nach ’s-Hertogenbosch reisen. Jubiläumsimpresario ’s-Gravesande trägt auch dies mit Gelassenheit. Der Groll der Spanier ging dennoch nicht zu weit, zwar verleihen sie das Werk nicht, aber der Prado ist ab 31. Mai die zweite Ausstellungsstation. Aller Verstimmung zum Trotz schickte das Museum aus Madrid seinen berühmten „Heuwagen“, der die Besucher als Erstes im Noordbrabants Museum begrüßt.
Sünde, Hölle, Teufel - viele hielten Hieronymus Bosch für einen Ketzer
Der Künstler entfaltet darin seine ganze Könnerschaft. Wie ein goldenes Kalb umringen die Menschen das landwirtschaftliche Gefährt, das von einem sonderbaren Zug aus Fabelwesen geführt wird, Getier auf menschlichen Beinen. Könige, Klerus, einfache Leute greifen nach dem riesigen Strohballen, gehen einander dafür sogar an die Gurgel. Das Bild illustriert das flämische Sprichwort „Die Welt ist ein Heuhaufen – ein jeder pflückt davon, so viel er kann“.
Auf der linken Tafel ist die Vertreibung aus dem Paradies zu sehen, auf der rechten die Hölle, in der die Sünder in dunkle Verliese geführt werden, Hunde fallen sie an, Fische verschlingen sie. Die Botschaft ist klar, der in einer Wolke über dem Geschehen schwebende Christus gibt sie deutlich zu verstehen: Am Ende aller Tage wird sich das Gold als Stroh erwiesen haben, die einzige Rettung besteht in einem gottesfürchtigen Leben.
Ob Bosch selbst eines führte, ist nicht überliefert. Zuweilen stand er in der Forschung sogar unter Verdacht, ein Häretiker gewesen zu sein – so teuflisch wie seine Darstellungen waren, so böse die Ausgeburten seiner Phantasien. Doch Bosch war ein braver Mann, malte als Heiligenfiguren am liebsten den Namenspatron seines Vaters Jan, Johannes den Täufer, oder seinen eigenen, den heiligen Hieronymus, dessen lateinische Schreibweise er annahm.
Bosch schuf sich eine unverwechselbare Marke
Was den Künstler zu den grotesken Figuren inspirierte, woher er die grausamen Visionen nahm – Menschen auf der Schneide eines übergroßen Messers reiten zu lassen, Vogel, Fisch und Vierbeiner zu kreuzen –, hat das Research-Project ebenfalls nicht herausbekommen. Bosch hat sich damit jedenfalls seine unverwechselbare Marke geschaffen. Mochte das höllische Treiben etwa im „Jüngsten Gericht“ auch grauenvoll sein, in dem ein Büßer für des Teufels Harfenspiel leibhaftig auf das Instrument gespannt wird oder ein anderer als Klöppel für eine Glocke dient – auf den Gläubigen wartete der Himmel.
Als Bosch starb, richtete ihm seine Bruderschaft ein Requiem aus. In den Unterlagen des Vereins finden sich die einzigen schriftlichen Zeugnisse zum Leben des Malers. Der Gottesdienst fand am 9. August 1516 in der gerade vollendeten Kapelle der Liebfrauen-Brüder in der Kirche Sint-Jans statt. Sie ist noch heute berühmt für die steinernen Figuren auf ihren Strebepfeilern, die dem Dachfirst entgegenreiten: Handwerker, Künstler, Musikanten, dazwischen fratzengesichtige Zwittergestalten. Sie könnten Boschs Skizzenbuch entsprungen sein. Zum Jubiläum hat der Kirchenverein für Besucher eine Treppe bauen lassen, so dass er sich hoch oben fast Aug in Aug mit ihnen wiederfindet. Das Gruseln lehren sie nicht. Boschs eigene Gestalten hingegen, zart getuscht, fein gepinselt, jagen noch immer Schrecken ein. Nicht vor dem Jenseits, aber vor den Grausamkeiten auf Erden, damals wie heute.
’s-Hertogenbosch, Noordbrabants Museum, bis 8. Mai; täglich 9–19 Uhr. Katalog (Belser Verlag) 24,99 €. Informationen und Online-Tickets: www.bosch500.nl
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