Andrea Breth bei den Wiener Festwochen: Hinter den sieben Türen
Andrea Breth kombiniert bei den Wiener Festwochen „Herzog Blaubarts Burg“ mit den „Geistervariationen“ von Robert Schumann.
Wie sehr Liebe immer auch Kampf ist, hat im Musiktheater des 20. Jahrhunderts vielleicht keiner so verstörend dargelegt wie Béla Bartók in seiner einzigen, nur einstündigen Oper „Herzog Blaubarts Burg“ nach einem symbolismusgeschwängerten Libretto von Béla Balázs. Voller Rätsel ist dieses Stück, das sich den hellen Stimmen verweigert und nur für einen Bariton und einen Mezzosopran geschrieben ist: Warum folgt Judith Blaubart in dessen Burg, was kettet sie an diesen schweigsamen, verstockten Machtmenschen, was hat er erlebt, um so verhärmt zu werden, warum hält er die sieben Türen seiner Burg verschlossen? Und warum nutzt er die Chance zur Erlösung nicht, die sich ihm in Gestalt von Judith bietet?
Es ist eine Oper über Räume, echte und imaginierte, über Seelenkammern – und schon deshalb von besonderem Reiz für die Freud-Stadt Wien, wo Andrea Breth jetzt bei den Festwochen Regie geführt hat. Seit Langem lebt sie hier, hat Tschechow, Ibsen und Schnitzler inszeniert, Oper aber bisher nur andernorts, in Berlin etwa.
Sieben Türen also, im Theater an der Wien akkurat nebeneinander aufgereiht im schwarz glänzenden Bühnenbild von Martin Zehetgruber. Doch sobald Judith (Nora Gubisch) die erste geöffnet hat, setzt sich die Drehbühne in Aktion, öffnen sich immer neue Schreckensräume, in denen grau gewandte Figuren wortlos agieren. In der Folterkammer putzt einer den Tisch mit Blut. In der Schatzkammer umhängt sich Judith ekstatisch, die wuscheligen Haare abstehend, mit billigstem Strass. Im angeblich so prachtvollen Garten findet eine Beerdigung statt. Blaubarts weites Land ist ein dreckiger Erdhaufen in einer Scheune. Bilder und Text widersprechen sich, nichts stimmt, nichts funktioniert. Judith gießt Wasser neben das Glas, Blumen fallen ihr zu Boden. Selbst- und Fremdwahrnehmung scheinen auseinanderzuklaffen. Auch Blaubart (Gabór Bretz) hat die Herrschaft über seine Motorik verloren, streunt zwanghaft durch den Raum. Hinter der sechsten Tür, dem Tränensee, will er Judith immer wieder Zwangsjacken umhängen. Auch sie fallen ihm zu Boden.
Kent Nagano treibt das Orchester dazu an, jede Phrase grell auszustellen
Im Januar in Berlin, bei „Katja Kabanova“, hat Breth noch mit einer im Kühlschrank kauernden Titelfigur jegliche Janáček’sche Restwärme abgewürgt. Hier passt ihr kühler Zugriff. Es sind eisige, giftige Bilder, die sich festkrallen. Auch an Kälte kann sich Haut verbrennen. Hitze kommt kontrastierend aus dem Orchestergraben. Kent Nagano treibt die juvenilen Musiker vom Gustav Mahler Jugendorchester dazu an, jede Phrase grell auszustellen, Bartóks geniale Klangfarbenmischung, das Blech, das Schlagwerk, die stichelnde Sekund, die das Blut an den Wänden von Blaubarts Burg symbolisiert, mit knallbunten Filzstiften zu malen. Ein Musizieren von Augenblick zu Augenblick, das überall neue Sensationen findet, allerdings auch immer wieder anhalten muss, um sich in die Partitur zu bohren – und den Fluss darüber aus den Augen verliert.
Calixto Bieito hat „Blaubart“ kürzlich an der Komischen Oper Berlin als blutigen, aber weitgehend ausgeglichenen Geschlechterkampf inszeniert. Wer siegt, bleibt in der Schwebe, die Möglichkeit, dass Judith den Geliebten – und sich selbst – dem Schicksal entreißen könnte, scheint immer auf. Nicht so bei Breth. Eine feministische, „vordergründig zeitgeistige“ Lesart interessiere sie nicht, hat sie gesagt. Und so gibt es von Anfang an kein Entrinnen, bleibt Nora Gubisch letztlich eine relativ konventionelle Opfer-Judith, während sich Gabór Bretz mit schönstem, abgründigstem Bass dem Ziel entgegensingt, Judith als vierte Frau in seine Geistergalerie einzureihen. Als Bartóks letzte Streichertakte verebben, verlöscht sogar das Licht an den Pulten im Graben, die Musiker spielen sich blind in die Nacht.
Rätselbilder, Splitter, Streiflichter, Szenen bizarrer Schönheit
Pause, die Damen der Wiener Busserl-Busserl-Gesellschaft dürfen sich darüber auslassen, wie sehr sie das Gesehene „belaste“. Dann der Epilog: dann der Epilog mit einem Inszenierungsversuch der „Geistervariationen“ für Klavier, Robert Schumanns letztes Werk, kurz vor der Einlieferung in die Nervenheilanstalt entstanden. Ein holzvertäfelter Raum, die gleichen Darsteller, vor sich hin brabbelnd. „Früher war jedes Glied meines Körpers beweglich, bis auf eines. Jetzt ist jedes Glied steif, bis auf eines.“ Solche Sachen. Ein Hund bellt, Fliegen surren, einer schwadroniert, er hat sich ein Meerschweinchen gekauft. Rätselbilder, Splitter, Streiflichter, Szenen bizarrer Schönheit.
Ein Warteraum, eine Geduldsprobe. Wann setzt die Musik ein? Sind wir noch in Blaubarts Burg, wo auch die Geister herrschen? Oder schon unter den Insassen von Endenich, wo Schumann starb? Mitten in der Arbeit an den „Geistervariationen“ sprang er in den Rhein, und Breth, die Selbstmordversuche hinter sich hat, mag sich ihm nahe fühlen. Sie behauptet nichts, legt zarte Fährten zwischen den beiden Werken des Abends, Assoziationen, die man sehen kann oder ignorieren.
Die ersten Damen der Wiener Gesellschaft verlassen das Theater. Zu früh. Mit dem Ausruf „Ist das ihr Haus?“ kündigen sich die Schatten von Blaubart wieder an. Plötzlich quert Gabór Bretz die Bühne, quasselt Bruchstücke aus dem Prolog der Oper. Dann, endlich, die „Variationen“, das Grundthema. Skelettierte, der Welt schon entrückte Musik, zehn Minuten nur, in ihrer Schlichtheit, auch Haltlosigkeit unendlich anrührend. Ein Erlebnis, dessen Intensität noch dadurch gesteigert wird, dass das Licht über zehn Minuten langsam gedimmt wird, die Figuren auf der Bühne im Schatten verdämmern. Dass sie verlöschen wie Schumanns Geist.