"Katja Kabanova" an der Staatsoper: Schockfrost-Inszenierung
Regisseurin Andrea Breth bringt Janáceks „Katja Kabanova“ mit großer Kälte an die Staatsoper. Und auch Dirigent Simon Rattle - der sich die Inszenierung gewünscht hatte - haucht nur wenig Wärme ein. Ein Glück, dass die Sopranistin heißblütig bleibt!
Wenn zu Beginn eines Opernabends die unglückliche Heldin leblos in einem schmuddeligen Kühlschrank lagert, neben einer in der Tür vergessenen Flasche Wodka, dann sinkt die Aussicht auf eine virile Aufführung dem Nullpunkt zu. Die Staatsoper zeigt eine neue „Katja Kabanova“-Inszenierung, die eine alte ist und bei ihrer Einrichtung auf der Bühne des Schillertheaters vor allem eines keinesfalls aufkommen lassen will: Hoffnung, diesen unendlich zarten Schmierstoff der Seele. Andrea Breth hat Leos Janáceks Wunderwerk 2010 für das Brüsseler Théâtre Royal de la Monnaie in ein Geisterspiel verwandelt, jetzt erreicht ihre düstere Sicht Berlin. Dabei hätte eigentlich ein anderes Team die „Katja“ inszenieren sollen, doch die Pläne zerbrachen und Ersatz musste her, schließlich hatte sich Simon Rattle die Oper für seine Rückkehr ans Pult der Staatskapelle gewünscht.
Breth nun also, die skrupulöse, mit den Untiefen der Seele vertraute, von den großen Dramen der Weltliteratur gegerbte Regisseurin – sie widmet sich einer Frauengestalt, deren Lebenswille in einer dumpf-repressiven Gesellschaft alsbald erfriert. „Bei bloßen Gedanken verschwindet sie“, schrieb Janácek über seine Katja. „Ein Hauch würde sie verwehen – und erst der Sturm, der über sie hereinbrechen wird!“ Diese Katja zu zeigen wäre Arbeit für Seismografen, die kommende Erdstöße mit feinsten Sensoren vorher zu bestimmen suchen, oder aber für Archäologen, die Verschüttetes mit dem Haarpinsel freilegen, zäh und zärtlich.
Wer sich mit Janáceks Blick, seinem nie erlahmenden Interesse am verborgenen Reichtum der Seele folgend, ins Schillertheater setzt, für den werden es harte hundert pausenlose Minuten. Denn brachial ist hier alles in ein Beckettsches Nach-Endspiel verwandelt, wähnt man die Figuren so vom Schimmel bedrängt wie das Bühnenbild. Die große Naturbeschwörung, mit der für Janácek die „Katja“ beginnt und endet, das Rühren an den großen Strom, die Wolga, ist hier nur mehr ein In-der-Gosse-liegen. Es tropft, rinnt und rieselt auf Lehmboden und Unrat (Bühne Annette Murschetz). Das Landhaus der Kabanovs wirkt seit Jahrzehnten unbewohnbar, und doch bewegt sich etwas darin, das dem Aussehen nach Menschen sein könnten. Wenn ihnen das Spiel der Seele gegeben wäre, das Suchende, zu den Rändern des Elends Drängende.
Sopranistin Eva-Maria Westbroek widersetzt sich temperamentvoll dem Kühlschrank
„Das Wahre schließt doch das Schöne nicht aus“, hielt Janácek fest. „Im Gegenteil – wir brauchen mehr Wahrheit und Schönheit. Vor allem aber Leben!“ Ja, Leben wär’ eine prima Alternative unter diesem gestürzten Provinzhorizont. Doch Breth arrangiert ihre „Katja“ demonstrativ alternativlos, klebt ohne Erbarmen am Erbärmlichen, lässt routiniert Horror abschnurren. Die Liebe bleibt da genauso kalt und unleserlich wie der blanke Hass. Janáceks Seelensuche vor aufziehendem Gewitter wirft das komplett aus der Bahn. Die Interpunktion kennt plötzlich nur noch Ausrufezeichen. Breths Schlammslawen erinnern daran, dass selbst Tschechows Sprache sterben kann, wenn man seinen Humor lieber ins Eisfach packt.
Wie unpassend, ja, lieblos hineingepfercht wirkt da Eva-Maria Westbroek, Simon Rattles Wunsch-Katja. Ihre absolute Furchtlosigkeit preist der Dirigent im Vorfeld. Zu Recht. Ob sie die Busen-Celebrity Anna Nicole Smith in einer Uraufführung von Mark-Anthony Turnage verkörpert oder als Sieglinde das winterkalte Jubiläumskonzert für Richard Wagner in Bayreuth überstrahlt – die niederländische Sopranistin ist das blühende Leben. Das wäre ein Temperament nach Janáceks Gefallen, hier könnte sich zeigen, wie diese reiche Seele Stück für Stück aus ihrer Kraft fällt, gedemütigt sich selbst immer weniger verständlich ist, sich schließlich als Ehebrecherin ohne Aufbruch aufgibt. Eine Westbroek stopft man nicht ungestraft erst in den Kühlschrank und presst sie danach in eine Wanne, die später ihr selbst vergossenes Blut aufnehmen wird.
Trotz aller der Kälte: Orchester und Bühne gehen bei Janácek eine starke Verbindung ein
Die Ferne, die die Regie zum Stück und seiner einsamen Heldin aufbaut, sucht Westbroek nach Kräften zu überwinden. Aus ihrer Stimme ist ein Knospen nicht zu tilgen, doch es wirkt wie Wildwuchs in all der Leblosigkeit. Das liegt auch am Dirigenten, der trotz Wunschheldin und Wunschstück nicht ins wunschlose Glück führt. Simon Rattle hat die Staatskapelle bereits mehrfach dirigiert, man schätzt sich, findet aber nicht selbstverständlich zu einem gemeinsamen Klang. In den Aufschwüngen des Vorspiels spürt man den Spalt deutlich, der sich zwischen feinnerviger Momentaufnahme und eingedunkeltem Rahmen auftut. Bei quecksilbrigen Wechseln wackelt es, und Silber hat Rattle ohnehin aus dem Farbspektrum der Staatskapelle getilgt. Erdig ist seine Palette, doch sie lässt dabei die Wärme vermissen, für die Barenboims Orchester gefeiert wird. Einiges klingt dann sogar wie durch eine Kühlschranktür hindurchmusiziert, anderes erzwungen dramatisch, so wie geöffnete Pulsadern.
An der Besetzung liegt es zu allerletzt, wenn man am Ende mehr erschlagen denn berührt die Staatsoper verlässt. Deborah Polaski ist eine überlegen kalt züngelnde Kabanicha, Stephan Rügamer ein abgelaufenes Würstchen von Ehemann. Anna Lapkovskaja singt eine unbekümmert jugendliche Varvara, Florian Hoffmann ihren fatalistischen, aber ungemein höhensicheren Liebhaber Kudrjasch. Eine überaus hörenswerte Ausbeute.
Doch das Erstaunlichste an dieser „Katja“ bleibt: Szene und Graben, die gerne ihr Eigenleben führen und in der Kritik auch meist wie getrennte Elemente behandelt werden, stehen in stärkerer Verbindung zueinander, als wir es wahrhaben wollen. Janácek, der Alchemist, der allen Zierrat vom Genre schabte, hat uns Hinweise dazu mit seinen Werken hinterlassen. Andrea Breth, die Kompromisslose, hat es uns schmerzlich vor Augen geführt. Wurde noch heiß darüber diskutiert, ob Marthaler die „Katja“ in den Hinterhof verlegen darf, ein Kunstdruck der Wolga an der Wand, müsste es nun gellen: Darf man ein Werk brechen, in dem man ihm die Neugier versagt, die es doch im Kern ausmacht? Lemuren statt Menschen, Geister statt Seelen. Das rächt sich, nässt durch aufs Musikalische. Darum als Antidot schnell noch mal Janácek: „Wir brauchen mehr Wahrheit und Schönheit. Vor allem aber Leben!“