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Hoffentlich gut krankenversichert. Gideon Saks (Herzog Blaubart) und Ausrine Stundyte(Judith) im Bartók-Teil des Abends.
© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Calixto Bieoito an der Komischen Oper: Blut klebt an allen Wänden

Komische Oper Berlin: Der Regieberserker Calixto Bieito inszeniert Giacomo Puccini und Béla Bartók im Doppelpack. Was kommt dabei nur heraus?

In der Dunkelheit schimmert ein grünes Elektrokardiogramm. „Bumm“ macht es, „bumm, bumm“. Dann ist Schluss, Buoso Donati, der reiche Mann im Bett, ist tot – und die Oper „Gianni Schicchi“ beginnt. Eine Stunde Trubel, Erbschleicherei, Intrigen, Geiz, Gier und mittendrin ein junges Liebespaar, das sich erst kriegt, als der durchtriebene Schicchi die ganze Verwandtschaftsbagage aus dem Haus gejagt hat, das jetzt ihm gehört. Puccini hat seinen Einakter ursprünglich mit zwei anderen Stücken zum „Trittico“ kombiniert, aber wegen seiner Popularität wird der „Schicchi“ immer wieder aus diesem Triptychon herausgeknackt, die Oper in Sofia hat ihn 2011 mit der „Cavaleria Rusticana“ gepaart.

An der Komischen Oper Berlin lässt jetzt Regisseur Calixto Bieito, der seinen Ruf als Regieberserker an diesem Haus mit einer brutalen „Entführung aus dem Serail“ begründete, auf den „Schicchi“ Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ folgen – auf Anregung von Generalmusikdirektor Henrik Nánási. Zwei Werke, ein komisches, ein tragisches, die außer dem Uraufführungsjahr (1918) nichts miteinander gemein haben: Würde Bieito verborgene Verbindungen entdecken, die uns bisher entgangen waren?

Ein hyperrealistischer Raum, vorige Jahrhundertwende, gedrechseltes Bettgestell, Stehspiegel, schwere Vorhänge, Madonnenikonen: Er wolle dem „Schicchi“ nichts hinzufügen und ihn vor allem nicht ironisieren, hat Bieito vorab gesagt, das Stück sei als Komödie perfekt, Puccini hätte einfach dargestellt, wie es eben so zugeht in südeuropäischen Familien nach dem Tod des Patrons. Dann überzeichnet er die Figuren aber doch, darunter Christiane Oertel als geldbessene Tante Zita oder Jens Larsen als brummiger Cousin Simone, sie agieren wie auf Speed. Wurstenges Radler-Outfit, grotesk geschmackloses Burberry-Imitat, die Schlampe mit goldener Handtasche - Bieito tut, was alle Regisseure mit dem „Schicchi“ machen: Er karikiert. Und kann von den Schockeffekten nicht ganz lassen, etwa wenn der junge Rinuccio (Tansel Akzeybek) bei der Testamentseröffnung in den benutzten Nachttopf greift und sich herzhaft daraus bedient. Aber Bieito hält auch das Geschehen in Bewegung, ständig passiert irgendwas, da wickelt sich einer in den Vorhang, entdeckt ein anderer hinter Donatis Kopfkissen eine aufblasbare Sexpuppe. Günter Papendell, vor Kurzem noch ein herrlich gruseliger Don Giovanni, ist als Gianni Schicchi mit Halbglatze und Schmerbauch nicht wiederzuerkennen – wäre da nicht sein verlässlich strömender Bariton. Nánási gibt sich am Pult Mühe, aber das heitere Fließen der Italianitá will dem Orchester nicht gelingen, bleifüßig klingt das, was aus dem Graben dringt.

Dann der pausenlose Übergang zum anderen Stück. Das Zimmer bleibt das gleiche, nur sitzt hier jetzt Blaubart (Gidon Saks) in schummriger Dunkelheit, in der gespenstischen fis-Moll-Atmosphäre seiner Burg. An den Wänden klebt Blut, was Bartók durch die quälend oft repetierte kleine Sekund symbolisiert. Sehr schnell zeigt sich, dass dem Ungarn Nánási diese Partitur sehr viel mehr liegt, ihre Gewalt und Pracht, die brummenden tiefen Streicher, die schrillen Bläser.

Letztlich gibt es wirklich keinen Grund, beide Stücke zusammen aufzuführen, aber immerhin hat Bieito herausgefunden, dass wir es in beiden Fällen mit Opern über Räume zu tun haben: Das „Schicchi“-Schlafzimmer, in dem sich die Verwandten wie Hühner beharken, ist ein Käfig und Blaubarts Burg, in die Judith (Ausrine Stundyte) so gerne Licht hereinlassen möchte, ein Käfig der Seele. Bühnenbildnerin Rebecca Ringst nimmt den gleichen Raum, das Schlafzimmer, und zergliedert ihn nach und nach. Die ihrer Bedeutung beraubten Wände taumeln. Genau in dem Moment, in dem Judith die Schatzkammer erblickt, erscheint plötzlich eine langgestreckte Reihe Pissoirs. Seinen Humor hat Bieito definitiv nicht verloren.

Wie sich Saks und Stundyte einen existentiellen Kampf liefern, ist sensationell. Sie knallt seinen Kopf gegen die Spiegel (!), er blutet, taumelt, zieht ihre roten Stöckel an, feminisiert sich, Identitäten fließen durcheinander. Hat Bieito den „Gianni Schicchi“ noch relativ konventionell inszeniert, gelingt ihm im „Blaubart“ tatsächlich etwas Neues. Mann und Frau sind sich ähnlich, der Zuhörer verfolgt atemlos ein Psychodrama. Judith ist bei Stundyte nicht die strahlend selbstbewusste Ausfegerin, sondern ein fragiles, gebrochenes, aber auch wissendes Wesen. Welches Geheimnis verbirgt diese Frau? Und Blaubart: Gidon Saks singt ihn in seiner begrenzten pentatonischen Tonwelt als stillen Dulder.

Findet Bieito gar einen Weg, Judith siegreich aus dieser Hölle hervorgehen zu lassen? Nein, es kommt, wie es kommen muss, der Mann erwürgt sie wie einen zappelnden Fisch. Erwürgt hat in seiner archaischen Wucht auch das zweite Stück das erste. Die Zwänge der Beifallsordnung mögen es nicht anders zulassen, aber dass man schließlich den „Schicchi“-Sängern applaudiert, obwohl deren Auftritt gefühlte fünf Stunden her ist und man noch ganz und gar unter dem erschütternden Eindruck des „Blaubart“ steht, ist der letzte Moment von Verstörung, den dieser Abend auslöst.

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