Komische Oper Berlin: Hilfe, die Briten kommen!
Harry Kupfer kehrt an die Komische Oper zurück: Der langjährige frühere Intendant inszeniert Händels „Poros“ als Stück über die Kolonialzeit.
Gut Ding will Weile haben. 1956 lernte Harry Kupfer die Oper „Poros“ von Georg Friedrich Händel kennen — und nahm sich vor, das Stück über den Indienfeldzug Alexanders des Großen eines Tages zu inszenieren. Am Sonntag nun hatte seine Version der Barock-Rarität Premiere. Was viel über die unglaubliche Karriere dieses Künstlers erzählt: 1935 in Berlin geboren, bekommt Kupfer seine erste Anstellung als Regieassistent in Halle an der Saale. 1958 wird er Oberspielleiter in Stralsund, es folgen Stationen in KarlMarx-Stadt, Weimar und Dresden, bis er 1981 den Topjob für Musiktheatermacher in der DDR erhält und Chefregisseur der Komischen Oper wird. Eine Position, die er 21 Jahre innehaben wird. Bei seinem Abschied 2002 hat das Haus 37 Kupfer-Inszenierungen im Repertoire.
Sein Nachfolger Andreas Homoki war dann „eine große Enttäuschung“ für ihn, stand der doch für eine ganz andere, sinnlich-verspieltere Opernexegese. „Er hat das Haus leer gespielt“, tritt Harry Kupfer im aktuellen „Tip“-Magazin nach. Mit dem jetzigen Intendanten Barrie Kosky dagegen kommt er klar und nahm die Einladung an, nach 17 Jahren als Gast an die Behrenstraße zurückzukehren. Um „Poros“ zu inszenieren, mit 83 Jahren.
Solange er im Stehen eine Chorprobe leiten kann, will er weitermachen. Massen differenziert in Szenen zu setzen, das war stets seine Spezialität. Im Fall von „Poros“ allerdings muss er ohne Chor auskommen, denn der Opernchor war in den vergangenen Wochen zusammen mit einem insgesamt 120-köpfigen Komische-Oper-Team auf Tournee mit Koskys „Zauberflöte“ in Australien und Neuseeland.
„Poros“ ist ein Kammerspiel für sechs Solistinnen und Solisten, vor der historischen Folie geht es vor allem um Liebe und Eifersucht. Denn der titelgebende König fürchtet Alexander nicht nur als Feldherrn, sondern auch als amourösen Eroberer, der ihm seine Verlobte Mahamaya ausspannen könnte. Von unbegründeter Eifersucht geplagt, bringt er sich und sein Volk immer wieder in lebensbedrohliche Situationen.
Harry Kupfer wäre nicht Harry Kupfer, wenn es ihn nicht drängen würde, die Handlung aus antiker Ferne in eine andere Zeit zu rücken und das italienische Libretto von Pietro Metastasio ins Deutsche zu übertragen – auf dass die heutigen Betrachter sich besser mit den Personen und ihren Gefühlen identifizieren können. 1731, im Uraufführungsjahr, spielt „Poros“, Alexander ist ein britischer Sir, der im Auftrag der East India Company Handelsbeziehungen knüpfen soll. Susanne Felicitas Wolf hat die poetischen Worte des Originals in eine moderne, aber nicht anbiedernde Sprechsprache überführt, und sogar zusätzliche Inhalte eingefügt, dort, wo in den DaCapo-Arien normalerweise Wiederholungen der Verse gesungen werden.
Das Ideal des jungen Dirigenten Jörg Halubek: tänzerische Eleganz
Das fügt sich gut zur Musik, zumal der junge Dirigent Jörg Halubek ganz undogmatisch an der Konzeption einer Werkfassung für diese Produktion mitgearbeitet hat. Schon nach einem Drittel der Ouvertüre startet die Handlung, und auch in den folgenden drei Stunden wird so manche zeittypische Langatmigkeit weggelassen. Halubek gehört nicht zu jenen Alte-Musik-Spezialisten, die meinen, die barocke Rhetorik müsse besonders angeschärft werden, um ihre volle Wirkungswucht zu entfalten. Vielmehr ist tänzerische Eleganz sein Ideal, mit weichen, grazilen Bewegungen leitet er das Orchester der Komischen Oper durch den Abend. Und die auf Multistilistik spezialisierten Musikerinnen und Musiker nehmen seine Impulse feinfühlig auf, zeigen in den langsamen Nummern Mut zu ruhigem Puls und weitem Atem.
Nach Natürlichkeit im Ausdruck und nicht nach einem Effektfeuerwerk strebt auch das Solistensextett. Die zarten Gefühle der Mahamaya für Poros formt Ruzan Mantashyan mit leuchtendem Sopran zu sanft geschwungenen Melodielinien, Dominik Köninger vermag die innere Zerrissenheit des indischen Herrschers gesanglich glaubwürdig umzusetzen. Countertenor Eric Jurenas kann als Alexander mit Koloraturkompetenz aufwarten, Idunnu Münch macht Poros’ Schwester zur starken Frau, die sich von fremden wie einheimischen Machos nichts gefallen lässt. Philipp Meierhöfers Königstreue spiegelt sich in seinem noblen Bass wider, Joao Fernandes singt den Intriganten Timagenes angemessen verklemmt.
Harry Kupfer führt seine Figuren mit altmeisterlicher Handwerkskunst, weiß genau, warum er wann welche Bewegung, welchen Blickkontakt herstellen will. Und doch funktioniert die Inszenierung nicht richtig. Was auch an der Optik liegt, für die zwei alte Kupfer-Kumpels verantwortlich zeichnen: Bühnenbildner Hans Schavernoch, mit dem der Regisseur seit 1986 zusammenarbeitet, und Kostümbildner Yan Tax, den er 1999 kennenlernte, als er in Wien Michael Kunzes „Mozart“-Musical inszenierte.
Auf den ersten Blick sieht die Ausstattung ansprechend aus. Da ist der Gazevorhang, der eine historische Urwalddarstellung in Schwarzweiß zeigt, das ist die riesige Leinwand im Bühnenhintergrund, auf die wechselnde farbige Ansichten von exotischen Landschaften projiziert werden. Was auf die Dauer allerdings den Eindruck erweckt, als befände man sich in einer Messehalle bei der ITB unterm Funkturm. Weil vor den Postkartenmotiven lauter Figuren in Folklorekleidung herumwuseln. Yan Tax hat die Solisten sowie drei Dutzend Statisten nämlich nur üppig ausstaffiert, nicht aber durch ihre Kostüme charakterisiert.
Der antikolonialistische Impetus von Harry Kupfer bleibt Behauptung
Bei den Männern führt diese Klischee-Gewandung geradezu in die optische Kastration. Blass wirken die unechten Inder in ihren ausgewaschenen roten Pluderhosen, genauso blutleer wie die Briten, die Tropenhelm zur kakifarbenen Ausgehuniform tragen. Das erotische Knistern zwischen den Kulturen, um das es ununterbrochen in der Musik geht, ist szenisch keine Sekunde lang zu spüren: Warum sollten sich die Frauen für diese Herrchen interessieren? Und warum hat man für die Berliner Fassung zwar die Rollen des Poros und seines Vertrauten von der ursprünglichen Besetzung mit einem Hosenrollen-Mezzosopran und einem Kastraten für einen Bariton und einen Bass umgeschrieben, ausgerechnet Alexander aber mit einem Countertenor besetzt? In der Personifizierung durch Eric Jurenas kommt der zudem alles andere als stattlich daher, und seine Männlichkeit muss er auch noch im Register einer Frauenstimme behaupten.
Da fügt sich optisch wenig zusammen, ebenso bleibt der antikolonialistische Impetus von Harry Kupfer Behauptung. Denn der Europäer kommt ja in bester, friedlicher Absicht, singt ständig davon, dass er die Kultur der Inder bewundert, und reicht ihnen zum Happy-End musikalisch die Freundeshand. Dass dabei zwei Kisten mit Gewehren und ein paar Gläser mit Hochprozentigem offeriert werden, um die künftige Abhängigkeit der Einheimischen von den Eindringlingen zu symbolisieren, das ist als interpretatorische Brechung dann doch arg dünn.
- wieder am 29. März, 13. und 20. April sowie im Mai und Juni