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Die Händel-Festspiele sind ein Höhepunkt des Kulturjahres in Halle.
© Alexander Prautzsch/dpa-Zentralbild/dpa

Händelfestspiele in Halle: Demetrio zieht den Stecker

Nicht nur in Köln und Cottbus, auch in Halle kommt es zu Theaterquerelen. Dabei zeigt der Auftakt der Händelfestspiele, wie leistungsfähig das Haus ist.

Es ist unruhig in der hiesigen Theaterlandschaft. In Köln sieht sich Intendant Stefan Bachmann Mobbing- und Günstlingswirtschafts-Vorwürfen ausgesetzt. In Cottbus tritt Intendant Martin Schüler zurück, der Vorstandsvorsitzende der Brandenburgischen Kulturstiftung wurde fristlos entlassen, Generalmusikdirektor Evan Christs geht zum Saisonende. Auch das Theater Halle kommt nicht zur Ruhe. Nach öffentlich ausgetragenen Differenzen zwischen den drei künstlerischen Leitern und Geschäftsführer Stefan Rosinski klafft nun eine gewaltige Finanzierungslücke. Das Wort Insolvenz steht im Raum.

Rund zwei Millionen Euro fehlen den Bühnen für 2018, trotz übervoller Kassen zeigen sich Landes- und Stadtpolitik bislang unwillig, die Lücke zu schließen. Die Vorstellung der Spielzeit 2018/19 wurde von einer Protestaktion der bis zur Schmerzgrenze heruntergesparten Belegschaft begleitet. Dabei weckt das Theater derzeit wieder überregionales Interesse. Und der Auftakt der Händelfestspiele stellte nun erneut unter Beweis, wie vital und leistungsfähig das Haus ist. Mit der Eröffnungspremiere von „Berenice, Regina D’Egitto“ kann sich Halle nun rühmen, als erste Stadt überhaupt alle 42 überlieferten Opern von Georg Friedrich Händel aufgeführt zu haben.

Nicht zufällig steht „Berenice“ trotz furioser Arien am Ende dieser Reihe. Das 1737 in London uraufgeführte Werk gilt wegen seiner kruden Handlung um wahre Liebe, arrangierte Ehen und große Politik als dramaturgisch heikel. Gleichwohl ist die Neuproduktion ein Wurf, mit dem das Opernhaus Halle seinen Ruf verteidigt, starke Regiehandschriften zuzulassen. Jochen Biganzoli zeigt die Rarität als spritzige Revue mit ernsten Untertönen, bricht die ohnehin losen Bezüge auf, wechselt munter Perspektiven und Zeitebenen.

Der Abend birgt auch musikalisch Überraschungen

Wenn der Lametta-Vorhang sich öffnet – eine Reminiszenz an Bert Neumanns VolksbühnenDekor in Berlin –, rotiert Rolf Gutjahrs Drehbühne schon; die Akteure stürmen in Barockkostümen herein und ziehen durch die acht Räume, während Videoprojektionen die SmartphoneKommunikation von heute ins Bild setzen. Fotogalerien von Datingportalen, Kochpornos und WhatsApp-Chats treiben das Geschehen voran, sind die Protagonisten doch pausenlos selbst mit ihren Handys beschäftigt, posieren für Selfies oder drehen Filmchen für YouTube. Dazu wird italienisch gesungen, mit deutschen Übertiteln – ein echter Overkill. Dass das Virtuelle das Live-Geschehen zunächst dominiert, ist aber volle Absicht. Der entnervte Demetrio zieht am Ende des ersten Aktes den Stecker, erst im dritten Akt geht das Geflimmer wieder los. Biganzolis Konzept hat sich da längst als stimmig erwiesen, die Vermischung impulsiver Launen mit großer, folgenreicher Politik erscheint auf fatale Weise aktuell.

Auch musikalisch birgt der Abend Überraschungen, etwa das Duett von Berenice mit der Solo-Oboe im dritten Akt, zu der Kammersängerin Romelia Lichtenstein in den Orchestergraben hinabsteigt. Übertroffen wird sie im Sopran-Fach nur von dem Sopran-Counter Samuel Mariño, der mühelos und mit sengender Intensität in schwindelnde Höhen klettert. Ein schillernder Darsteller, trotz Allonge-Perücke glaubwürdig mit dem Colabecher hantierend. Svitlana Slyvia gibt Berenices Rivalin Selena als deftiges Beth-Ditto-Lookalike, Filippo Minecchia überzeugt als Demetrio mit weich timbriertem Countertenor. Jörg Halubek leitet das auf alten Instrumenten spielende Festspielorchester der Staatskapelle Halle umsichtig und ermuntert zu gestischem Spiel. Schon die Continuo-Gruppe sprüht vor Einfällen.

Bis zum 10. Juni laufen die Händelfestspiele noch

Das Kontrastprogramm zur rasanten Eröffnung folgte übrigens am zweiten Festspieltag, mit der festlichen Serenata „Parnasso in festa“ im Goethe-Theater Bad Lauchstädt. Eine Huldigungsmusik für die Hochzeit der ältesten Tochter von King Georg II., Prinzessin Anne, mit Prinz Wilhelm IV. von Oranien, mit Tableaux von Musen, Nymphen, Halbgöttern, Faunen. Regisseurin Sigrid T’Hooft sorgt für köstlich-kunstvolle Ergötzung mit authentischen Kostümen und streng durchexerzierter barocker Gestik zwischen gemalten Wolken. Die Lautten Compagney Berlin unter Wolfgang Katschner spielt stilsicher, die Sängerschar ist famos, die Akustik in dem auratischen Theaterchen hinreißend transparent.

Bis zum 10. Juni laufen die Händelfestspiele noch, mit mehr als 100 Veranstaltungen nicht in Halle, Bad Lauchstädt, Bernburg und Dessau. „Fremde Welten“ lautet das mit Bedacht gewählte gegenwartsnahe Motto.

Infos: www.haendelhaus.de

Regine Müller

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