Berliner Kulturpolitik unter Rot-Rot-Grün: Hände weg von der Volksbühne!
Rot-Rot-Grün macht einen Anhänger der alten Volksbühne zum Kultursenator. Klaus Lederer will mit allen reden - doch er ist zu parteiisch, um zu moderieren. Es droht eine Kulturpolitik aus der Provinz. Ein Kommentar.
Alle wichtigen Posten sind neu besetzt, vom Staatsballett bis zur Volksbühne. Etwas Neues kann beginnen. Wirklich? Der Kulturkampf um das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz bricht wieder heftig aus, die letzte und längste Darbietung der Castorf’schen Volksbühne erlebt eine neue Klimax. Oder einen weiteren Tiefpunkt, je nach Publikumsgeschmack. Klaus Lederer von der Linken ist als Kultursenator nominiert. Wenn alles glatt läuft, ist er es am 8. Dezember auch. Mit ihm verbinden die Anhänger der alten Volksbühne die Erwartung, dass der Vertrag mit dem designierten Castorf-Nachfolger Chris Dercon rückgängig gemacht wird. Das ist ein gefährliches Spiel.
Der kommende Kultursenator steht ohne jeden Zweifel auf der Seite derer, die Dercon für den Falschen halten und der alten Volksbühnenzeit nachtrauern, mit ihren einst neuen Formen des politischen Theaters. Lederer will auch das Ensembletheater erhalten, wobei es an der Volksbühne kein richtiges Ensemble mehr gibt. Es ist dort ein familiäres Kommen und Gehen, für manche sogar eine Schicksalsgemeinschaft.
Er wolle mit allen Beteiligten reden, sagt Lederer. Aber er kann schlecht den Moderator spielen, dafür ist er zu klar positioniert, parteiisch. Falls die Gespräche scheitern, sei nichts in Stein gemeißelt. Was immer das heißt: Es soll offenbar nicht ausgeschlossen werden, dass Dercon und seine Leute gehen, bevor sie überhaupt etwas zeigen konnten.
Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten? Na ja, vielleicht nicht unbedingt, lautet die Botschaft. Damit nimmt die Verunsicherung in der Kulturszene weiter zu. Beim Staatsballett reiben sich die Sasha-Waltz-Hasser die Hände. Sie wollen verhindern, dass die Choreografin das Spitzentanzamt antritt.
Wer hat da noch Lust, nach Berlin zu kommen?
Eine schöne neue, weltoffene, seriöse Kulturpolitik deutet sich an, in Wahrheit ein Abmarsch in die dunkle Provinz. Sollten Verträge nach einem Regierungswechsel so leicht zur Disposition stehen, dann sind sie ihr Papier nicht wert. Wer hat da noch Lust, nach Berlin zu kommen und eine Institution zu übernehmen?
Mit allen sprechen – das klingt gut. Aber ein Senator, ob alt oder neu, muss sich ohnehin mit Künstlern und Intendanten austauschen. Das ist keine Exklusivveranstaltung im rot-rot-grünen Salon. Lederer wird Dercon treffen und die Volksbühnen-Köpfe, die noch übrig sind. Es ist leider nicht wahrscheinlich, dass ein Friedenschluss dabei herauskommt, nach all den bitter feindseligen Briefen in Richtung von Dercon und seiner „Jetset-Kultur“. Verständigung fällt auch deswegen schwer, weil Chris Dercon so lange geschwiegen hat.
Michael Müller wird jetzt vorgeführt
Übrigens: Dercon steht ebenso wenig für das verhasste "Event", wie die Volksbühne ein Bollwerk gegen die Gentrifizierung wäre. Das sind Klischees. Aber sie verfangen, wie so viele Primitivparolen in dieser Zeit. Die Volksbühne wird als Symbol überschätzt, wenn sich an ihrem Beispiel entscheiden soll: Wem gehört die Stadt, welche Kunst wollen wir?
Schon vor Amtsantritt hat Klaus Lederer ein gewaltiges Problem: Wie wahrt er sein Gesicht, wie verhindert er, so oder so, die Beschädigung der Volksbühne? Auch mit dem Regierenden Bürgermeister Müller will er reden. Der hat als Kulturverantwortlicher Dercon engagiert und wird jetzt vorgeführt: Es fängt nicht gut an. Alle wichtigen Posten in der Kultur sind besetzt. Dabei muss es bleiben.
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