Chris Dercon gibt sich kampfbereit: „Es gibt für die Volksbühne keinen Plan B“
Der designierte Volksbühnen-Intendant fürchtet die Auseinandersetzung mit dem künftigen Kultursenator Klaus Lederer nicht.
Etwas übermüdet schaut er aus und trinkt in hastigen Schlucken seinen Kaffee im Lichthof der Deutschen Bank Kurz zuvor ist Chris Dercon aus Peking in Berlin eingetroffen, wo er Mitglied des Aufsichtsrats der „Powerstation for Art“ ist, der einzigen staatlich unabhängigen Kunsteinrichtung in der chinesischen Hauptstadt. Er hat es gerade rechtzeitig zur Präsentation in der Kunsthalle der Deutschen Bank geschafft, wo die Retrospektive des indischen Malers Bhupen Khakhar eröffnet wird, eine Übernahme von der Tate London, die er noch als Direktor des britischen Museums eingefädelt hat.
Auch seine Nachfolgerin ist da, Frances Morris, doch wieder interessieren sich alle mehr für ihn. Was hält Dercon von den neuesten Entwicklungen in Berlin, was vom designierten Kultursenator Klaus Lederer, der mit einer Rücknahme der Berufung Chris Dercons als Volksbühnen-Chef Wahlkampf gemacht hatte? Er sei nicht überrascht, gibt der belgische Kulturmanager zu Protokoll. Schließlich sei der Brief an die Mitarbeiter der Volksbühne, in denen sich Lederer als Beschützer des status quo als klassisches Sprechtheater empfohlen hatte, öffentlich gewesen. „Endlich redet man mit offenem Visier“, gibt sich Dercon kampfbereit.
Der designierte Intendant hält sich für gestählt durch Erfahrungen mit dem rechten Politiker Pim Fortuyn, mit dem er als Direktor des Boijmans-van-Beuningen-Museums in Rotterdam aneinandergeraten war. „Da habe ich viel gelernt“, sagt Dercon.
„Ich mag Politik, denn sie ist wichtig.“ Allerdings müssten bei der Debatte zwei Dinge gelten: Sie dürften nicht post-truth und nicht post-factual sein, wie es zunehmend auf der politischen Bühne zu erleben sei. Zu Lederer direkt will er sich trotzdem nicht äußern, da er noch nicht ernannt sei. „Ich muss vertraglich nur meinem direkten Chef reportieren, und das sind bis zum 8. Dezember Michael Müller und Tim Renner.“
So arbeitet Dercon weiter am Programm für seine erste Spielzeit, die im Herbst 2017 beginnt. Gerade erst wurde im Münchner Architekturmuseum der Bühnenentwurf von Francis Kéré für das Tempelhofer Feld vorgestellt, den Dercon in Auftrag gegeben hatte: „Es gibt viele Künstler, die unter anderen Bedingungen arbeiten, die die Trennung zwischen Bühne und Zuschauer auflösen wollen. Für solche Produktionen brauchen wir einen Raum wie den von Keré, der flexibel ist, mit leichter Infrastruktur.“
Angesprochen auf die Möglichkeit, Kerés Bühne unabhängig von der Volksbühne zu betreiben, winkt Dercon ab: „Es gibt keinen Plan B. Ich denke nur über meinen Plan A nach. Seit dem 24. März 2015 ist mein Konzept in der Stadt bekannt, auch wenn einige Menschen mit politischen Ambitionen behaupten, dass es so etwas nicht gäbe.“
Im April 2017 wird Dercon mit seiner Mannschaft das konkrete Programm für die erste Spielzeit vorstellen. Eine Abkoppelung der Kéré-Bühne lehnt er strikt ab, sie sei Teil der Volksbühne. „Schließlich ist die Tempelhof-Idee entstanden, weil wir flexible Möglichkeiten wollten. Und gerade nicht das, was Herr Castorf und Professor Hegemann jetzt machen: dass man die ganze Volksbühne abbaut und die Leute in Sitzsäcken platziert.“ Die Keré-Bühne werde außerdem nicht jeden Tag bespielt, im Winter sei es zu kalt dafür. „Wir sind offen für Kooperationen“, bietet Dercon an. „Das könnte toll sein. Es gibt viele andere Organisationen in der Stadt, die freie Szene, die Architekturbiennale, die suchen alle Raum.“
Dercon gibt sich betont heiter – „Ich bin gut drauf!“ – und gegenüber kommenden Angriffen gelassen: „Ich komme aus einer politischen Familie. Mein Vater war Bürgermeister in einer kleinen belgischen Gemeinde. Als Kinder haben wir erlebt, wie die Bauern vor unserer Tür aus Protest Mist abluden.“ Und: „Es gibt viel Schlimmeres auf der Welt.“
Bei seinem China-Aufenthalt habe er mitverfolgen können, wie ein Museumsdirektor sich im Fernsehen öffentlich entschuldigen musste, weil er ein bestimmtes Werk gezeigt hatte. „Ich hoffe, dass es dazu nicht kommen wird in Berlin, dass ich irgendwann eine öffentliche Entschuldigung abgeben muss,“ kokettiert Dercon. Dazu muss er allerdings erst einmal sein Amt antreten.Nicola Kuhn