Raubkunst: Geschichte und Gerechtigkeit
Trotz aller Streitigkeiten: Die „Washingtoner Prinzipien“ zur Rückgabe von Nazi-Raubkunstgut haben sich bewährt.
Fast zwanzig Jahre liegt die „Konferenz über Vermögenswerte der Holocaust- Ära“ zurück, die im Spätherbst 1998 in der amerikanischen Hauptstadt Washington abgehalten wurde. Ihr Titel ließ noch noch kaum ahnen, wie folgeträchtig diese Konferenz sein würde. Vertreter von 44 Staaten nahmen an der vom US-Finanzstaatssekretär Stuart Eizenstat einberufenen Konferenz teil und unterzeichneten am Ende die „Washingtoner Prinzipien“, die die Restitution von Raubgut, also der vom NS-Regime in Deutschland und den von der Wehrmacht besetzten Ländern insbesondere jüdischen Eigentümern geraubten und abgepressten Kunstgegenständen, auf eine verbindliche Grundlage stellte. Anlass der Konferenz war – neben der spektakulären Beschlagnahme zweier aus Österreich entliehener Museumsstücke in den USA – das Bekanntwerden der Lagerung von Raubgold in Schweizer Banksafes, überhaupt der Schweizer Umgang mit Eigentumswerten ungeklärter Herkunft in diesem Jahr 1998, das sich zum annus horribilis für die bis dahin so verschwiegenen Züricher Banken auswuchs.
Die Bankenaffäre ließ sich vergleichsweise schnell bereinigen, sie gab zugleich den Anstoß zu einer schmerzlichen Selbstprüfung der Schweiz hinsichtlich ihrer Rolle während der Zeit des NS-Regimes im benachbarten Deutschland. Was sich weder schnell noch gar abschließend bereinigen ließ, ist indessen der Umgang mit „NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, sogar in Ländern, die unter der Naziherrschaft gelitten hatten und auf die ein oder andere Weise dennoch zu Nutznießern des umfassenden Raubzuges des NS-Regimes geworden waren.
Eine Absichtserklärung, kein Vertrag
Die Washingtoner Konferenz, ahnte man bereits damals, bildete einen historischen Markstein, dessen Fernwirkungen noch gar nicht abzuschätzen sind, eine Wende im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Dabei handelt es sich bei dem Papier von 1998 nicht einmal um einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, sondern um nichts weiter als eine Absichtserklärung, unterzeichnet von Regierungsvertretern ohne entsprechendes Mandat. Aber die „11 Grundsätze in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“, waren mit einem Mal in der Welt und entfalteten ihre Wirkung. Insbesondere Punkt 8, in dem es heißt, wenn „die Vorkriegseigentümer (...) oder ihre Erben ausfindig gemacht werden können, sollen rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine gerechte und faire Lösung zu finden, wobei diese je nach den Gegebenheiten und Umständen des spezifischen Falls unterschiedlich ausfallen kann“.
Eine „gerechte und faire Lösung“ – auf diese einprägsamen Worte hat sich die Diskussion um Restitution, um jeden einzelnen Fall von Anspruch, Prüfung und Rückgabe – oder eben auch nicht – versteift. Den Nachsatz von der Unterschiedlichkeit eines jeden Falls und seiner Lösung geriet mit den sich alsbald verhärtenden Positionen von Anspruchstellern und ihren Anwälten auf der einen, Museen und staatlichen Instanzen auf der anderen Seite in Vergessenheit. Zumindest in der Öffentlichkeit bildete sich dieser Eindruck, befeuert von medienwirksamen Streitfällen wie der Herausgabe der „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Brücke-Museum auf Anordnung des Berliner Senats 2006.
Eile und Heimlichtuerei
Die Eile und Heimlichtuerei, mit der der Senat das hochbedeutende Gemälde aus einem öffentlichen, jedoch nicht- staatlichen Museum entfernte, entfachte eine heftige und bis heute schwelende Kontroverse um Reichweite und Grenzen der Washingtoner Erklärung und der auf sie bezogenen Maßgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Restitution ist und bleibt ein juristisches Glatteis.
Da traf es sich, dass am Donnerstagabend Ronald Lauder in Berlin eine Rede zum „Jubiläumsjahr“ der Washington Principles hielt, der wortmächtige Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) und unermüdliche Streiter für Restitution. Lauder ist im Hauptberuf milliardenschwerer Konzernerbe und daneben einer der weltbedeutendsten Kunstsammler, der mit der „Neuen Galerie“ ein eigenes Museum in New York unterhält – mit der aparterweise von ihm ersteigerten „Berliner Straßenszene“.
Lauder ging bei seinem Vortrag im Axel-Springer-Haus in die Vollen. „Es ist so einfach zu versprechen, das Richtige zu tun“, hob er nach kurzem Rückblick auf Washington an, um dann sein vernichtendes Urteil zu fällen: „Aber können wir endlich mehr Resultate sehen? Ich warte bereits seit Jahren und sehe nichts, gar nichts.“ Und weiter: „Deutschland hat so viel versprochen, aber bislang lediglich einen Mindestaufwand betrieben, um die Situation zu bereinigen.“
Das zu dem Abend geladene Fachpublikum – die selbst höchst engagierte Kulturstaatsministerin Monika Grütters ließ sich entschuldigen – applaudierte höflich, wohl wissend, dass Lauders Vorwürfe schlichtweg unzutreffend sind. Auch Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), beschränkte sich in einer anschließenden Podiumsdiskussion, die Arbeit seiner Stiftung herauszustellen.
In der Tat hat die SPK von Anfang an eine Vorreiterrolle angenommen und bereits vor der Ende 1999 erfolgten „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände“ zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingten Kulturgutes die Weichen auf Provenienzrecherche, Verhandlungen mit Anspruchstellern und Rückgabe gestellt. „In der SPK“ – betonte Parzinger – „haben wir über 50 Restitutionsfälle zu einer fairen und gerechten Einigung gebracht und arbeiten weiterhin systematisch unsere Bestände auf.“ Das gilt inzwischen für alle großen Museen in Deutschland. Hamburg hat sehr früh begonnen, eigene Provenienzforschung zu etablieren, andere Städte brauchten länger, um sich dem unabweisbaren Gebot der Aufarbeitung historischen Unrechts zu stellen. Dass aber Museen systematisch die Recherche verschleppten oder gar Raubkunst in den Depots versteckt hielten – ein immer wieder geäußerter Verdacht –, gehört in den Bereich der bei diesem Thema heftig sprießenden Verschwörungstheorien.
Verhärtete Fronten
Die Fronten sind verhärtet; wenn es denn überhaupt Fronten gibt und nicht bloß Drohkulissen interessierter Anwälte und Organisationen. Zahlreiche Erbengemeinschaften der ursprünglichen Eigentümer haben sich mit den betroffenen Museen gütlich geeinigt, und häufig hieß dies Ausgleichszahlung an die Erben bei Verbleib des Kunstwerks im Museum. Das ist eine, vielleicht die beste Lösung, die sich unter dem Begriffspaar „fair und gerecht“ fassen lässt. So viel zum Lauder’schen „Mindestaufwand“.
Es sind immer wieder falsche Erwartungen geweckt worden, zuletzt beim sensationsumwaberten „Fall Gurlitt“. Nach eingehender Prüfung der spektakulär beschlagnahmten Sammlung stellte sich heraus, dass von knapp 1500, überwiegend minder bedeutenden Kunstwerken gerade einmal sieben „befangen“ sind, wie Peter Raue, als Anwalt mit zahlreichen Restitutionsfällen befasst, in der Diskussion betonte. Raue war es auch, der klipp und klar erklärte, er kenne „kein einziges öffentliches Museum, dass sich bei Vorliegen eines Restitutionsfalles weigert herauszugeben.“
Ronald Lauder hielt in seiner Rede noch einen bezeichnenden Passus bereit. „Schließlich geht es nicht allein um die Rückführung der Kunstwerke“, führte er nach aller Philippika gegen deutsche Politikverbohrtheit aus: „Es geht um die Wiedergutmachung der Geschichte.“ Da hätte man den Atem anhalten mögen.
Wenn das die Aufgabe sein soll, die die Rückgabe geraubter Kunstwerke erfüllen soll, dann kann das Ganze nur scheitern. Geschichte als solche lässt sich nicht „wiedergutmachen“. Sie ist geschehen, und es ist die Verantwortung der Nachgeborenen, ihr gegenüber angemessen zu handeln. Auf der privaten Ebene heißt dies Klärung der oft höchst verworrenen Provenienzen und Ansprüche – es gibt, nebenbei, auch zerstrittene Erben – und fallweise, ja sogar meist Rückgabe im Sinne einer „fairen und gerechten Lösung“. Mehr allerdings kann man nicht verlangen. Das Erbe der Geschichte und mit ihr die Last, sie bleiben.
Bernhard Schulz
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