Die Sammlung Gurlitt wird erstmals gezeigt: Die befreiten Bilder
Vier Jahre nach dem Skandal ist in Bern und Bonn die Kollektion des NS-Kunsthändlers zu sehen. Gezeigt werden die Ergebnisse der Provenienzrecherchen.
Es ist gar nicht lange her, da wurde noch darum gerungen, wer die Sammlung von Hildebrand Gurlitt zeigen darf, von deren Existenz die Öffentlichkeit im November 2013 überhaupt erst erfuhr. Ein Sensationsfund war das damals, Anfang 2012 von der bayerischen Staatsanwaltschaft in der Münchner Wohnung des NS-Kunsthändler-Sohnes Cornelius Gurlitt beschlagnahmt. Die monatelange Geheimhaltung durch den Staat schürte den Skandal nochmals. Raubkunst lautete der Generalverdacht. Plötzlich waren die Machenschaften der Nazis und ihre Enteignungen jüdischer Sammler präsent, die jahrzehntelang verborgene Kollektion holte die Vergangenheit zurück.
Die Bilder selbst allerdings bekamen nur wenige im Original zu sehen. Im Garchinger Zolldepot, wohin die rund 1500 Werke samt Geschäftsunterlagen von der Staatsanwaltschaft geschafft worden waren, wurden nur einzelne Arbeiten den Kameras präsentiert. Die etwas später online gestellten Blätter von Kirchner, Marc, Munch, Schlemmer, Klee, die Gemälde von Liebermann und Monet ließen sich im Internet kaum genauer betrachten. Spekulationen schossen ins Kraut, von einem Milliardenwert der Sammlung war zunächst die Rede. Heutigen Schätzungen nach bewegt sich die Höhe im zweistelligen Millionenbereich.
Adam Szymczyk meldete sich sogleich. Der polnische Kurator hätte zu gern die Sammlung auf seiner Documenta in Kassel gezeigt: als ein Dokument früher bundesrepublikanischer Geschichte. Er wollte am Beispiel Gurlitt vorführen, wie die Mitläufer, ja Mittäter des „Dritten Reiches“ nach Kriegsende auch in der Kunst weiterwirken konnten. Mediziner, Juristen, Diplomaten, Militärs hatten längst ihre NS-Geschichte aufgearbeitet. In der Kunstwelt aber entwickelte sich ein Bewusstsein für diese Problematik nachhaltig erst durch den Schwabinger Aplomb.
Einer wie Hildebrand Gurlitt kam nach 1945 wie gerufen
Das späte Erwachen hat auch mit der Kunst selbst zu tun. Die junge BRD brauchte die Bilder der zuvor verfolgten Avantgarden als Ausweis ihres Aufbruchs in eine neue, demokratische Zukunft: als zweiten Moderne-Schub und zur Re-Education. In dieser Atmosphäre wurde 1955 auch die Documenta gegründet. Hildebrand Gurlitt, einst Vorkämpfer der Expressionisten und für sein Engagement sowohl als Museumsdirektor in Zwickau als auch Kunstvereinsleiter in Hamburg aus dem Amt gedrängt, kam wie gerufen.
Dass er sich durch die Nazis als einer der vier offiziellen Kunsthändler der „entarteten Kunst“ verdingt und als Chefeinkäufer für das „Führermuseum“ in Linz betätigt hatte, wollte später niemand so genau mehr wissen. Dieser vermeintlich Aufrechte konnte als Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins nach 1945 erneut reüssieren und seine zunächst durch die Alliierten beschlagnahmte Sammlung teilweise auf Ausstellungsreisen schicken, ja sogar Handel treiben. Der Fall Gurlitt demonstriert perfekt die damalige kollektive Amnesie, die erst mit dem Auftauchen seiner Sammlung endete.
Der Documenta-Macher Szymczyk hat die Gurlitt-Sammlung nicht bekommen. Stattdessen widmete sich in Kassel in der Neuen Galerie Maria Eichhorn dem Thema. Dort präsentierte die Berliner Künstlerin weitere Beispiele geraubter Kunst, geraubter Bücher. Zur weiteren Recherche rief Eichhorn das Institut Rose Valland ins Leben. Vor Ausstellungsbeginn appellierte sie ans Publikum, selbst nachzuforschen, ob sich zu Hause etwa Gebrauchsgegenstände befänden, die einst jüdischen Vorbesitzern gehörten.
Die Documenta bekam zwar schlechte Noten und hat einen Schuldenberg zurückgelassen. Eichhorns Institut aber wird als künstlerisches Projekt weiterexistieren. Zwei Universitäten haben sich bereit erklärt, es unter ihre Fittiche zu nehmen. Sie werden den besonderen Ansatz, die Aufklärung geraubter Alltagsgegenstände, weiter verfolgen.
Um Aufklärung geht es in erster Linie auch in der Bundeskunsthalle in Bonn und dem Kunstmuseum in Bern, wo die Gurlitt-Sammlung zum ersten Mal in einer Doppelschau dem großen Publikum vorgeführt wird. Dieses Privileg wollten sich die Berner als Gurlitts Erben und schon gar nicht Monika Grütters nehmen lassen. Schließlich hatte die Kulturstaatsministerin den internationalen Skandal vom November 2013 abgefangen durch die eilige Einberufung der Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ zur Untersuchung der Herkunft der Bilder, durch deutliche Erhöhung der Gelder für Provenienzforschung sowie ein allenthalben bekundetes Verantwortungsbewusstsein.
Cornelius Gurlitt machte den Weg für Restitutionen von privater Hand frei
Ihr gelang es zwar, den beim World Jewish Congress aufgeflammten Schuld-Vorwurf durch Forcierung der bislang schleppenden Auseinandersetzung öffentlicher Museen mit den eigenen Beständen abzumildern. Zum Erfolg taugte die von ihr eingesetzte Taskforce dennoch nicht. Die mageren Ergebnisse des reich ausstaffierten Teams – bis heute ist nur für fünf Werke ein NS-verfolgungsbedingter Entzug bestätigt, vier wurden bislang restituiert – evozierten fast den nächsten Skandal. Inzwischen weiß man, wie mühsam die Recherchen sind, die Absicherung zu allen Seiten hin, damit eine Rückgabe in die richtigen Hände erfolgt. Cornelius Gurlitt hatte diesen Weg kurz vor seinem Tod im Mai 2014 geebnet, indem er sich auch als Privatmann den „Washingtoner Prinzipien“ unterwarf, die sonst nur für öffentliche Museen gelten.
Dass die Sammlung nicht nur beforscht, sondern endlich auch gezeigt werden kann, steht allerdings erst seit Ende letzten Jahres fest: seit die Erbstreitigkeiten mit Teilen der Familie gerichtlich geklärt sind und der Nachlass – wie von Cornelius Gurlitt bestimmt – ans Kunstmuseum Bern ging. Während die Bundeskunsthalle rund 250 Stücke zeigt, für die nach wie vor Verdacht besteht oder an denen das Magdeburger Zentrum für Kulturgutverluste seit Auflösung der Taskforce Ende 2015 weiterarbeitet, präsentiert das Kunstmuseum Bern unter dem Titel „ ,Entartete Kunst‘ – beschlagnahmt und verkauft“ die rund 200 unstrittigen Werke, ebenfalls vornehmlich auf Papier.
Die Rollenverteilung zwischen Bern und Berlin behält weiterhin Bestand, seit sich das Kunstmuseum entschlossen hat, den Nachlass anzunehmen. Auch in der Schweiz hatte der Fall Gurlitt eine späte Auseinandersetzung mit den eigenen Museumsbeständen ausgelöst. Für die Bundesregierung in Berlin aber stellt die Bonner Ausstellung ein Stück Rechtfertigung dar für den langen Weg, die kärglichen Ergebnisse. „Der NS-Kunstraub und die Folgen“ lautet deshalb der Titel der dort gezeigten Bestandsaufnahme.
Ein Büßergang dürfte in Bonn zu erwarten sein, eine eher bescheidene, stille Schau mit viel Quellenmaterial. Gurlitts Kollektion wird sich dabei eher als Ansammlung diverser Artefakte denn als bemerkenswerte Sammlung erweisen, war sie doch ein Nebenprodukt seiner Händlertätigkeit. Wenn es gut geht, so die Hoffnung der Kuratoren, könnten sich durch die Ausstellung sogar neue Spuren ergeben. Mag die Aussicht auch gering sein, eins dürfte die Ausstellung dennoch leisten: Auf Kunst, die zwischen 1933 und 1945 ihren Besitzer wechselte, lässt sich nicht mehr arglos blicken. Zumindest das hat der Fall Gurlitt gelehrt.
Kunstmuseum Bern, 2. 11. bis 4. 3.; Bundeskunsthalle Bonn, 3. 11. bis 11. 3. Gemeinsames Begleitbuch, Hirmer Verlag, 344 S., 480 Farbill., 29,90 €. Nicola Kuhn ist zusammen mit Meike Hoffmann Autorin der Biografie „Hitlers Kunsthändler. Hildebrand Gurlitt 1895–1956“, erschienen beim C.H. Beck Verlag, München, 400 S., 24,95 €.
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