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Max Slevogt liebte es, sich zu inszenieren. 1904 porträtiert er sich mit seiner Gattin auf dem Weg zum „Bal paré“.
© Ursula Rudischer

Max-Slevogt-Ausstellung in Mainz: Genussmensch und Action Painter

In den Weinbergen der Südpfalz schuf sich der Secessionsmaler Max Slevogt einst ein Refugium zum privaten Lebensgenuss. Eine Ausstellung in Mainz widmet sich nun dem Leben und Wirken des deutschen Impressionisten.

Von Max Slevogts Terrasse geht der Blick weit in die Rheinebene, über Rebhänge und Waldhügel, Burgen und Weindörfer. Davor liegt ein blühender Garten. Ein Malerparadies ist dieses abgelegene Gehöft Neukastel in der Südpfalz. Der Künstler verliebte sich schon als Jugendlicher in den Ort und nutzte 1914 die Finanznot des Vorbesitzers, um sich das kleine Anwesen zu sichern. An klaren Tagen ging der Blick des Hausherrn von hier bis zum Schwarzwald.

Slevogt hat die postkartenschöne Aussicht oft gemalt: gänzlich unkitschig, in rücksichtslosen, saftigen Pinselzügen, die den rohen Leinwandgrund, wenn nötig, auch mal freilassen und als hellstes Weiß zum Strahlen bringen. Wie der ältere Secessionskollege Max Liebermann in seiner Villa am Wannsee schuf sich der 1868 geborene Bayer Slevogt in den Weinbergen der Südpfalz ein Refugium zum privaten Lebensgenuss, das ihm ein Reservoir an Motiven sicherte.

Hier verbrachte der Maler fortan jedes Jahr die Sommermonate. Sah seine Weinreben reifen, sonnte sich mit der Familie nackt im Garten, ließ sich von Mallust packen und konnte im Herbst eine reiche Ernte von Landschaftsbildern in Transportkisten ins Tal karren, um sie per Bahn nach Berlin zu spedieren. Dort riss man die impressionistische Ware den Kunsthändlern Bruno und Paul Cassirer aus den Händen. Die Galeristen hatten den Maler mit einem lukrativen Exklusivvertrag aus München in die Preußenmetropole gelockt. Slevogt brauchte Berlin als Absatzmarkt. Aber das Herz des Genussmenschen und Weinliebhabers schlug für die Pfalz.

Seine gemütlichen Wohnzimmermöbel stehen in Neukastel noch an ihrem Platz. Die weinberankte Pergola grünt, leicht verwildert, unbeirrbar wie jedes Jahr. Im Musikzimmer wartet der alte Flügel, umgeben von furiosen Wandbildern, in denen Slevogt seine Lieblingsopernhelden zum Leben erweckte. Da flötet ein muskulöser Papageno, Siegfried lockt den Drachen mit Hörnerklang, Webers Freischütz hat, skizzenhaft hingeworfen, seinen Auftritt. Der musikbegeisterte Künstler schuf den Wandbilderreigen zum eigenen Vergnügen. Zu nächtlicher Stunde konnten die Dörfler ihn manchmal Arien schmettern hören. Im Bibliothekszimmer ließ Slevogt seine zweite große Inspirationsquelle sprudeln: Hier feixen und kämpfen an der Decke literarische Gestalten von Shakespeare bis Scheherezade.

Doch das vor genau hundert Jahren erworbene Domizil Slevogts ist erschreckend herunterkommen, durch hässliche Anbauten entstellt und seit Jahren unzugänglich. Ein Pflegefall. Zum Glück hat sich jetzt ein denkmalerfahrener Architekt des Anwesens angenommen und es samt Originaleinrichtung, Waldbestand und ehemaligen Weinbergterrassen erworben. Drei, vier Jahre gibt er sich, um alles instand zu setzen und öffentlich zugänglich zu machen. Die Berliner Liebermann-Villa wäre ein idealer Kooperationspartner, man hat bereits Kontakt aufgenommen (siehe auch Seite 12). Schon jetzt öffnet der Slevogt-Hof für Wochenend- Führungen seine historischen Räume: als Begleitprogramm zur großen Slevogt-Ausstellung in der Landeshauptstadt Mainz.

Die will dem bedeutendsten Pfälzer Künstler endlich volle Anerkennung verschaffen. Zu lange stand Slevogt im Schatten von Liebermann und Corinth, als Unbekanntester im Triumvirat der großen deutschen Impressionisten. Der Geschäftssinn der Cassirers hatte die drei einst zur Marke zusammengeschweißt, wirklich befreundet waren sie nicht, eher Konkurrenten um die zahlungskräftige Sammlerschaft im Moderne-affinen Berlin. Gegenüber von Liebermanns Wannseevilla malte Slevogt die Gartenloggia seines Mäzens Johannes Guthmann in Neu-Kladow mit launigen Antikenfresken aus. Die Villa steht noch, die im Zweiten Weltkrieg vernichteten Wandbilder hängen jetzt als Reproduktionen im Gartenhof des Mainzer Landesmuseums. Ein schöner Auftakt für den Rundgang durch Slevogts Schaffen.

Von den Rembrandt-braunen Anfängen in München über mondäne Porträts und ekstatische Tänzerinnen bis zu den souveränen Freilichtlandschaften zeigt die Ausstellung 85 Gemälde und 70 Zeichnungen. Auch das berühmte, Esprit sprühende Rollenbildnis des Opernstars Francisco d’Andrade als Don Giovanni, mit dem Slevogt sein Berlin-Debüt gab. Erstmals lässt sich in Vorstudien verfolgen, wie der Künstler das spontan wirkende Gemälde entwickelte. Die Wissenschaftler konnten endlich den über 1000 Blatt starken zeichnerischen Nachlass auswerten. Jahrzehntelang hielten die Erben das Konvolut nebst 2000 Druckgrafiken unter Verschluss. Erst als herauskam, dass ein Mitarbeiter auf dem Slevogt-Hof jahrelang klammheimlich Hunderte von Blättern entwendet hatte, kamen Verhandlungen in Gang, den Schatz für die öffentliche Hand zu erwerben.

Später, nach seinem Durchbruch zur Freiluftmalerei, brauchte Slevogt keine Vorskizzen mehr. Dann ging er auf großer Leinwand vor dem Motiv lieber gleich aufs Ganze: Action-Painting im impressionistischen Gusto. Die lichte Tüpfelmalerei der französischen Impressionisten hatte Max Slevogt in Paris und in Berliner Galerien kennengelernt. Wie sehr ihm die Maler imponierten, zeigt sein Riesengemälde eines eleganten Picknicks im Grünen. Man könnte das Werk von Weitem fast für einen Monet halten. Wäre da nicht der typische, vehemente Pinselschwung Slevogts.

Nur die großartigen, radikalen Gemälde von Slevogts Ägyptenreise 1914 fehlen in Mainz: Sie sind im Dresdner Albertinum zu sehen. Dorthin hatte der Künstler die zwanzig lichtstarken Landschaften direkt nach seiner Reise verkauft. Und sich so den Erwerb seines Landsitzes Neukastel finanziert.

„Max Slevogt – Neue Wege des Impressionismus“, Landesmuseum Mainz, bis 12. 10.; Katalog 29,90 €. Zwei Themenausstellungen auf Schloss Villa Ludwigshöhe in Edenkoben ergänzen die Slevogt-Retrospektive: „Berliner Impressionismus. Werke der Berliner Secession aus der Nationalgalerie Berlin“ (bis 17. 8.) und „Im Banne der Verwüstung. Max Slevogt und der Erste Weltkrieg“ (bis 13. 8.). Letztere Ausstellung wird ab 2. 11. in der Liebermann-Villa am Wannsee zu sehen sein.

Elke Linda Buchholz

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