Moselsteig: Wer will, wagt einen Seitensprung
Gute Aussichten zwischen Koblenz und Perl: 365 Kilometer lang führt der Moselsteig durchs wohl schönste Flusstal Deutschlands.
Schnell wie ein Pfeil schießt der Korken samt einem Stück Flaschenhals durch die Luft und verschwindet im üppig blühenden Oleanderbusch in Apels Garten. Winzer Hubert Apel schmunzelt zufrieden und schenkt den Elbling brut schon mal in die Gläser ein, während seine Gäste etwas enttäuscht auf die Fotos auf den Displays ihrer Smartphones schauen. Entweder ist darauf nur die Sektflasche oder der Korken zu sehen. Den französischen Champagnersäbel holt Apel jetzt öfter hervor, denn seit der Moselsteig offiziell eröffnet ist, herrscht im Weingut in Nittel an der Obermosel viel Betrieb.
Wanderfreunde hatten das geahnt. Viele lobten den Moselsteig schon vor seiner Eröffnung in den höchsten Tönen als „aussichtsreich, abwechslungsreich und außergewöhnlich“. Während in Rheinland-Pfalz am Rhein, im Hunsrück, in der Eifel, im Westerwald und im Naheland ein Steig nach dem anderen entstand, ließen sich die Moselaner Zeit. Und das war wohl gut so. Denn der exakt 365 Kilometer lange Weg durch das vielleicht schönste Flusstal Deutschlands – von Perl am Dreiländereck bis zum Deutschen Eck in Koblenz – kann sich gegen die Konkurrenz bestens behaupten.
Die Planer verließen sich nicht nur auf den Charme der Landschaft und die gute Beschaffenheit der Wege, sondern haben auch an die unterschiedlichen Gewohnheiten der Wanderer gedacht. Streckenwanderer können bei nur moderaten Steigungen ordentlich Kilometer machen und finden unterwegs viele lauschige Rastplätze, um sich aus dem Rucksack zu verpflegen. Andere, für die eine gemütliche Einkehr auf einem Winzerhof, der Besuch einer Burg, einer Römervilla oder eines Marktes die Wanderung zum Erlebnis macht, wählen entlang des Moselsteigs unter diversen abzweigenden Wegen ins Tal. Maximal zwei Kilometer – schon ist man bei einer Sehenswürdigkeit angelangt.
Das gilt auch für Nittel. Nur wenige Schritte hinter Apels Weingut leuchtet die erste Markierung des Moselsteigs – sonnengelb auf weißem Grund – im Weinberg auf. Die Elblingreben wachsen bis hinauf zu den Kalksteinfelsen akkurat in Reih und Glied. Sie zählen zu den ältesten kultivierten Weißweinreben in Europa.
Burgunderrebsorten vermutet man nicht an der Mosel
Im Weinbaugebiet Mosel ist immer noch der Riesling der unangefochtene König der Reben, aber der Elbling macht immer mehr von sich reden als besonders seltener und feiner Genuss. Weich rollt er über die Zunge, elegant herb, doch zugleich jung und frisch. Die alten Römer bauten ihn im südlichen Teil der Mosel schon vor rund 2000 Jahren an und nannten in „vitis alba“, die weiße Rose. Das milde Klima und der Muschelkalkboden geben dieser Rarität ihren unverwechselbaren Geschmack.
Im Flaschengärverfahren reift der Elblingwein zu einem wunderbaren Sekt. Hubert Apel, der das Weingut gemeinsam mit seinem Bruder Harald in dritter Generation führt, ist außerdem stolz darauf, dass seine Burgunderrebsorten, die man an der Mosel gar nicht vermutet, mehrfach prämiert wurden. Seine Rotweinkollektion zieren vier goldene Kammerpreismünzen.
An der Obermosel weitet sich die Landschaft. Von den Nitteler Weinlagen blickt man über die flachen Luxemburger Weinberge auf der anderen Moselseite tief ins Land hinein. Im Tal fließt die Mosel gemächlich dahin. Neben dem Moselsteiglogo ist auch die Markierung „Felsenweg Nittel“ präsent, denn auf seinen 24 Etappen bindet der Moselsteig die schönsten Wanderwege des Tals mit ein. Dabei folgt der Pfad dem Lauf des Flusses, ganz egal, in welch abenteuerlichen Schleifen sich dieser durch das Schiefergebirge schlängelt.
„Verjus-Schaum passt wunderbar zur Saiblingroulade“
Ab Trier verändert die Landschaft ihren Charakter. Die Weinberge werden steiler, und die Mosel zieht Schleifen, als könne sie sich nicht entscheiden, in welche Richtung ihre Reise gehen soll. Mehr als ein Dutzend Mal wechselt der Weg die Uferseite, um keine der herrlichen Aussichten auszulassen. Eine der schönsten ist der Blick auf die Moselschleife von Bremm. Besser könnte die Lage eines Weinortes nicht sein. Fachwerkbauten schmiegen sich auf dem schmalen Stück Land zwischen steilem Weinberg und Mosel aneinander. Die natürliche Kulisse ist zudem ein Superlativ, denn der Bremmer Calmont ist mit 65 Prozent Hangneigung die steilste Weinberglage Europas.
Die Mittelmoselgemeinde Trittenheim liegt am flachen Hang auf der Landzunge einer engen Moselschleife. Hier hat Alexander Oos mit seinem Wein- und Tafelhaus der Moselkulinarik einen Stern hinzugefügt und bleibt dabei wunderbar bodenständig: „Ich mache beim Kochen nicht jede Mode mit, aber schau mir schon mal was von den alten Römern ab. Aus dem Saft der unreifen Rieslingtrauben, den die Römer einst zum Säuern verwendeten, entsteht der Verjus-Schaum. Das passt im Frühling wunderbar zur Saiblingroulade“, sagt der Sternekoch.
Von seinem Restaurant blickt man direkt auf die Steillage „Apothekerberg“ auf der anderen Flussseite. Genau diesen Wein sollte der Gast im Glas haben, wenn er die Kochkunst von Oos genießt. In der Apothekerlage fanden Winzer 1920 rein zufällig zwei gut erhaltene Sandsteinsarkophage aus spätrömischer Zeit. Niemand weiß, wer da begraben wurde und was aus den Grabbeigaben geworden ist. Sicher ist nur, dass es wohlhabende Römer gewesen sein müssen. Der Aufwand, die schweren Sarkophage auf den Steilhang zu bugsieren, spricht für sich. Heute ist der friedliche Platz einer der beliebtesten Aussichts- und Rastplätze an der Mosel.
Zu jeder Jahreszeit gibt es eine passende Moselgräwes-Variation
Zwei Flussschleifen weiter duftet es mitten im Weinberg nach Thymian und Oregano. Im Ürziger Gewürzgarten gedeihen die Kräuter auf dem Schieferboden offenbar genauso gut wie der Wein. „Ich bin oft hier, um Küchenkräuter zu pflücken. Auf den von der Frühlingssonne erwärmten Schieferplatten sitze ich dann gern noch ein bisschen und schau den vorbeifahrenden Schiffen zu“, verrät Küchenchef Markus Reis an seinem Lieblingsplatz an der Mosel. Im benachbarten Zeltinger Hof führt er sein Restaurant.
„Mir ist wichtig, dass Fleisch und Gemüse aus der direkten Umgebung kommen“, sagt Reis. Zum Spargelschälen setzt er sich auch gern mal direkt in die Gasse und kommt dann leicht mit den Wanderern ins Gespräch. Denen läuft beim Anblick der Spargelstangen schon das Wasser im Munde zusammen.
Speziell für die neue „Laufkundschaft“ hat der Koch in diesem Jahr das Gericht „Moselsteisch“ kreiert. In einer Weinkiste, der „Steische Wein“, wird ein an die Jahreszeit angepasster Moselgräwes serviert. Das ist ein typisch regionales Gericht aus Weinkraut, Zwiebeln, Speck und Kartoffelpüree. Im Frühjahr wird es mit frischem Lauch ergänzt, im Sommer mit Zucchini, im Herbst mit Kürbis und im Winter mit Maronen. Zu jeder Jahreszeit gehören eine warme Scheibe Kasseler, heimische Wurstspezialitäten und ein Fläschchen „Reis’ling“ dazu.
Abends haben auch die Wirte Muße für Gespräche
Auf den Wegen des Moselsteiges wandert es sich leicht, geradezu beschwingt. Mal federn die Schritte auf weichem Wald- und Grasboden, mal überraschen Kletterpartien über felsige Pfade, die man in der Gruppe nur im Gänsemarsch bewältigen kann. Dann wieder spaziert man auf breiten Wegen zwischen den Reben einfach so dahin. Immer wieder möchte man der Verlockung erliegen, einen Abstecher ins Tal zu machen.
Am Flussufer reihen sich die Winzerschänken mit einladenden, lauschigen Innenhöfen, und wer kleine Umwege nicht scheut, wird immer belohnt. Denn kein Ort gleicht dem anderen. In Trier beeindrucken die Römerbauten, in Traben-Trarbach bezaubern Jugendstilhäuser, in Neumagen-Dhron bietet sich eine Moselfahrt im Römerschiff an, Beilstein besticht mit Ritterburg und mittelalterlichen Fachwerkbauten auf engstem Raum, in Cochem fasziniert die Reichsburg und in Koblenz die Festung-Ehrenbreitstein.
So still wie auf dem Moselsteig, wo nur Vogelgezwitscher zu hören ist und höchstens mal eine Eidechse blitzschnell über den Weg huscht, um gleich darauf auf einer warmen Schieferplatte reglos zu verharren, ist es in den Orten natürlich nicht. Die meisten Touristen kommen nicht zu Fuß und auch nicht individuell. Meist steigen sie in Gruppenstärke aus Bussen oder von Moselschiffen. Aber nachmittags wird es meist ruhiger, und die Gäste, die hier übernachten, sitzen bei einem guten Glas Moselriesling gemütlich beim Winzer. Wenn man Glück hat, spiegelt sich dazu die abendliche Sonne golden im Fluss.
Auch die Wirte haben dann Muße für Gespräche, und die drehen sich, natürlich, vor allem um Wein. Doch aus den Rezepten der moselländischen Küche wird auch kein Geheimnis gemacht. Viele Gäste wollen vor allem eins: Tipps für den kommenden Wandertag.
Heidrun Braun