Berliner Secession: Galerie im Glück
Der Unternehmer Jörg Thiede hat 20 Jahre lang Werke der Berliner Secession gesammelt. Jetzt schenkt er sie der Berlinischen Galerie. In deren Sammlung passen sie hervorragend.
Eine „Gegend, in der alle ansässig sind, die die Freiheit lieben, gleichviel ob sie witzig oder traurig, realistisch oder dekorativ ist“, so rühmte der Kritiker Oscar Bie die Berliner Secession im Jahr 1900. Zwei Jahre zuvor war die Künstlervereinigung mit Max Liebermann an der Spitze gegründet worden, um der offiziellen Kunstpolitik im Berlin Wilhelms II. eine unabhängige Plattform für die Moderne entgegenzusetzen. Kaum zu glauben, dass die Initialzündung für dieses Projekt ein idyllisches Bild gab, das eine stille, menschenleere Wald- und Seenlandschaft zeigt. Die Ablehnung des Gemäldes "Grunewaldsee" von Walter Leistikow durch die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 führte zur Gründung der Secession. Lesser Ury, Lovis Corinth, Max Slevogt, Käthe Kollwitz, Heinrich Zille gehörten ihr an, ein Bündnis von Individualisten, die sich mit Unterstützung der Kunsthändler Paul und Bruno Cassirer erfolgreich selbst vermarkteten.
Der Unternehmer Jörg Thiede hat Werke der „Vereinigung der Elf“ und der Secession in den vergangenen 20 Jahren systematisch gesammelt und seit 2006 in seiner Villa am Wannsee, gleich neben der Liebermannvilla, ausgestellt. Ein Liebhaberprojekt ohne öffentliche Unterstützung, aber mit dem Charme zupackenden Unternehmertums. Den Sammler und Besitzer konnte man dort selbst an der Kasse sitzend oder bei der Gartenarbeit schwitzend antreffen. Thiedes zupackendes Temperament motivierte andere Privatsammler, ihm wertvolle Stücke zur Verfügung zu stellen. Nun aber hat Thiede, der schon weit über 70 ist, die Villa verkauft und die von ihm gegründete Stiftung aufgelöst. Ein Verkauf der Sammlung kam nicht in Frage. Wem aber sollte er sie schenken?
Es ist späte Liebe auf den ersten Blick zwischen Sammler und Galerie
Die Nationalgalerie hatte er schon immer im Kopf, aber die kann bekanntlich nur einen Bruchteil ihrer Sammlung zeigen, weil es an Platz fehlt. Das Verschwinden der liebevoll erjagten und teuer bezahlten Werke in dunklen Depots ist für Sammler ein Albtraum. Vor wenigen Monaten erst kam der Kontakt des gebürtigen Berliners Thiede mit der Berlinischen Galerie zustande – wohl eine späte Liebe auf den ersten Blick. Für den strahlenden Direktor Thomas Köhler sind die 73 Werke aus Thiedes Stiftung und Eigenbesitz ein Geschenk des Himmels. Sein Landesmuseum für die Berliner Kunst der Moderne hat kein Geld, um auf dem Kunstmarkt mitzumischen, und steht zudem immer etwas im Schatten der aus Bundesmitteln mitfinanzierten Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Gegründet wurde die Berlinische Galerie 1975 als privater Bürgerverein. Lange hat es gedauert, bis sie ein eigenes Haus in einem umgebauten Glaslager bekam, unglücklicherweise abseits der Trampelpfade der Kunsttouristen. Mit der Ausstellung „Wien-Berlin“ konnte sie jüngst einen Publikumserfolg verbuchen, und das zahlt sich nun doppelt aus. Die Secessionskunst beider Städte, ihr Mit- und Nebeneinander um 1900 war der Ausgangspunkt der Ausstellung. Der früheste Zeitabschnitt wird durch die Zustiftung Thiedes wunderbar ergänzt. Porträtzeichnungen von Menzel und Adolph von Werner aus den 1880er Jahren gehören ebenso dazu wie ein Gemälde Franz Skarbinas, das einen Weißbierausschank mit strickenden Frauen und disputierenden Männern auf einem grauen Berliner Hinterhof bei anbrechendem Frühling zeigt.
Es wird aussehen, als seien die neuen Bilder schon immer da gewesen
Neben den Secessionisten ist auch der vom Kaiser geschätzte Marinemaler Carl Saltzmann vertreten, dessen Villa in Potsdam Thiede vor Jahren kaufte und restaurierte. Das „Fischerboot vor der norwegischen Küste“ ist wohl auf einer Reise im Gefolge des Kaisers entstanden, das „Brennende Schiff“ in Turner’scher Manier während des Ersten Weltkriegs. Jahrelang ist Thiede hinter den Bildern einer Serie von Karl Hagemeister her gewesen, die ein Birkenwäldchen in verschiedenen Jahreszeiten zeigt, zwei hat er für fünfstellige Summen gekauft und dann doch wenigstens noch ein Foto des fehlenden Winterbildes erjagt, genauer: des Malers, wie er draußen im Schnee an dem mannshohen Werk arbeitet. Von der 1944 im Ghetto Theresienstadt umgekommenen Malerin Julie Wolfthorn kommt eine „Flötenspielerin“ in die Berlinische Galerie.
Thomas Köhler will die Bilder umgehend in die neue Präsentation integrieren, die ab Frühjahr gezeigt wird: „Es wird so aussehen, als seien sie schon immer da gewesen.“ Bei der Vorstellung der Schenkung legt Jörg Thiede großen Wert darauf, dass er – im Gegensatz zu anderen Sammlern – absolut keine Bedingungen daran geknüpft hat. Und zog noch eine Überraschung hervor, die dem Museumschef und seiner Mannschaft für einen Augenblick den Atem stocken ließ: eine Zeichnung Liebermanns von 1932, nicht lange vor seinem Tod. Sie zeigt Ehefrau Marta, die sich später unter dem Verfolgungsdruck der Nazis das Leben nahm. Wo wäre diese intime Skizze, in der so viel lokale Geschichte mitschwingt, besser aufgehoben als in der Berlinischen Galerie?
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