Comicfestival Hamburg: Genrefizierung zwischen Schanze und Kiez
Das Comicfestival Hamburg fand zum zehnten Mal statt – Anlass zu einer Retrospektive sowie für eine Standortbestimmung. Ein persönlich gefärbter, aber nicht handkolorierter Bericht
Der erste im Erbrochenen liegende Betrunkene begegnet mir, bevor ich Anna Haifisch inmitten ihrer Ausstellung im Schanzenviertel antreffe. Es ist elf Uhr vormittags und der Schanzenflohmarkt beginnt sich zögerlich zu regen. Haifisch wirkt vorabendartig angeschlagen, steht aber aufrecht. Die Konversation beschränkt sich daher vorerst aufs Nötigste, zudem hatte man erst kürzlich ein erschöpfendes Interview mit amerikanischer Unterstützung geführt.
Die Räumlichkeiten versprühen den Charme und das vertraute Odeur besetzter Häuser, in denen ich in meiner längst verblühten Jugend ab und an zu nächtigen pflegte. Das Bildaufgebot ist für eine Ausstellung zweier Künstler – Lasse Wandschneider präsentiert sich ebenfalls – etwas schmal, sodass die Sichtung meinem eng getakteten Zeitplan entgegen kommt.
Mich freut, wie man hier in Großansicht anhand einer Wandmalerei Haifischs schönen Strich im Detail in Augenschein nehmen kann; die vielerorts unreflektiert nachgeplapperte und ursprünglich als Neckerei in die Welt gesetzte Feststellung, dass Haifisch gar nicht zeichnen könne, wird nüchtern und verifizierbar widerlegt. Das Exponat einer mit „The Artist“ verzierten Kotztüte der Fluggesellschaft Air Canada erinnert mich an den alkoholvergifteten Empfang bei der Ankunft im inzwischen ökögentrifizierten Stadtteil, der wie eine verkommenere Version von Berlin-Mitte daherkommt, und vergegenwärtigt mir zudem, dass ich hier wohl kein meinen Vorstellungen entsprechendes Frühstück finden werde.
Testpilot Speedy entrückt im Hier und Jetzt
Also mache ich mich zusammen mit „Röhner“-Autor Max Baitinger auf den Weg zum Herzstück des Festivals, der Messe im Kölibri. Da uns unsere Marschroute über die Reeperbahn führen wird, sehe ich mein leibliches Wohl als einigermaßen gesichert an.
Während ich versuche, Baitinger Details über zukünftige Projekte aus der Nase zu ziehen, kriecht endlich etwas Sonne hinter der hanseatischen Wolkenwand hervor und ich kann meine müden Augen hinter einer Sonnenbrille verbergen. Nach der Schnellversorgung bei einem auf dem Weg liegenden Bäcker, die Einkehr im zu dieser Zeit bereits – beziehungsweise immer noch – geöffneten Etablissement „Rettungsring“ in einer Seitenstraße der Reeperbahn erscheint dann doch als zu gewagt, rückt Baitinger damit raus, dass er demnächst wohl einen Comic für einen in Berlin ansässigen Verlag machen wird.
Ich stelle erfreut fest, dass sein bisheriges verlegerisches Heim Rotopolpress inzwischen zur Teststrecke für Prototypen im deutschen Comic geworden ist, und lehne Baitingers Ansinnen, ihm eine vernichtende Kritikzeile für den Umschlagtext des kommenden Werkes zu überlassen, zwar freundlich ab, begrüße die Idee des vorauseilenden Verrisses an sich aber außerordentlich.
Angekommen im Kölibri, der um die frühe Mittagszeit schon recht gut frequentiert wird, laufe ich als erstes Carlsen-Mann Klaus Schikowski in die Arme. Das ist stets recht angenehm, denn der verantwortet unter anderem verlegerische Risikokapitalunternehmen wie die deutsche Ausgabe von Thierry Smolderens und Alexandre Clérisses „Ein diabolischer Sommer“, einem der besten Comics, die dieses Jahr ins Deutsche übersetzt wurden. Ich erwähne das, weil ich zu Beginn des Jahres harsch mit Carlsens Verlagspolitik ins Gericht gegangen bin. Bei den Hamburgern läuft aus editorischer Sicht nicht alles schlecht, denn ein umsatzträchtiger Verkaufsschlager ist „Ein diabolischer Sommer“ sicher nicht, dafür aber eine wichtige Veröffentlichung .
Bevor Schikowski mir mitteilt, dass es ihn erfreuen würde, wenn Clérisse mal einen „Spirou“-Band zeichnen würde, was ihm die Vermarktung des Künstlers erleichtern würde, fragt er mich, woher ich wüsste, dass tatsächlich eine Dritte und diesmal in den siebziger Jahren spielende Zusammenarbeit von Smolderen und Clérisse geplant ist. Ich verrate ihm nicht, dass ich mir diese Vermutung nur aus den Fingern gesogen hatte, um die Zeichenzahl des Artikels zu erhöhen und murmele irgendwas vom Genuss zweifelhafter Pilzomelettes sowie visionären Erscheinungen und schwebe entrückt von dannen.
„Entrückt“ ist auch eine treffende Beschreibung für den mentalen Zustand von Nadine Redlich, die am Rotopolpress-Stand sitzt und sichtlich angeschlagen aber fleißig ihren neuen Comic „Paniktotem“ signiert. Nachdem sie mir ein Bild in mein Rezensionsexemplar gezeichnet und dieses unterschrieben hat, wende ich mich dem am Stand des Avant-Verlages residierenden und aus den USA stammenden Entwicklungshelfer in Sachen Comics, James Turek, zu, um ihn mit Einzelheiten über den von mir demnächst auf diesen Seiten rezensierten Spider-Woman-Band zu nerven, der mir vor allem deshalb betrachtungswürdig erschien, weil die Hauptfigur schwanger ist.
Turek möchte lieber weiter seine Neuerscheinung „Motel Shangri-La“ signieren, deren Rezension „in Kürze“ (Redakteur Lars von Törne, immer) ebenfalls hier nachlesbar sein wird, allerdings dann vom Kollegen Marc-Oliver Frisch verfasst. Turek wimmelt mich und meine Fachsimpelei ab, indem er mir sein „Eli Larrymore“-Heftchen in die Hand drückt, das mich Dank seiner Bezüge zu christlicher Rockmusik wie „Stryper“ besänftigt.
Jenseits von Eden
Derartig spirituell gestärkt bin ich nun bereit für Entdeckungen und mache diese am Stand des italienischen Verlages Canicola, an dem Alice Socal herumhängt. Die in Hamburg lebende Italienerin hatte letztes Jahr ihren Comic „Sandro“ bei Rotopolpress veröffentlicht, der durch Socals enormes grafisches Talent beeindruckt, wenngleich die Geschichte um bis ins psychotische hineinreichende Entwicklungsstörungen bei Heranwachsenden bisweilen wie eine Abschlussarbeit für die Kunsthochschule wirkt, in der man wirklich jeden nur erdenklichen Kniff bildlicher Erzählung einsetzt, um das erlernte Wissen ausreichend zu demonstrieren. Dies schadet letztlich dem Erzählfluss und dem Gesamteindruck, jedoch bleibt „Sandro“ trotzdem ein interessantes Werk.
Socal bietet also das Programm von Canicola feil, nebenbei verteilt sie noch leckere Äpfel, und zumindest mir ist nach der seelischen Stärkung seitens James Turek nun auch wieder etwas leiblicher Genuss recht, denn ich weiß gar nicht, für welchen der vielen Titel ich mich entscheiden soll. Da alle Werke englische Übersetzungen am unteren Rand der Seiten aufweisen, wächst die Verlockung ins Unermessliche, wegen dem Apfel fühle ich mich eh schon wie in einer Art paradiesischem Garten.
Die Entscheidung fällt schließlich zu Gunsten von Vincenzo Filosas „Viaggio A Tokyo“, der mir bereits aus der vom in Berlin lebenden Argentinier Berliac kuratierten lettischen „š!“-Anthologie „Gaijin Mangaka“ ein Begriff ist. Allein die Taktung der Eröffnungssequenz, bei der Austausch von Drogen und Geld mittels eines an einem Seil hängenden Korbs durchgeführt werden, ist den Preis der zudem geschmackssicher designten Ausgabe wert. Gerne hätte ich noch Martoz' roh und -äh- irgendwie urgewaltig wirkenden „Amore Di Lontano“ eingesackt, von den überformatigen Ausgaben von Anna Deflorian oder Andrea Bruno ganz zu schweigen. Aber ich hatte ja bereits einen Apfel und hinter mir bildete sich eine Schlange (sic).
Ein' könn' wir noch im Kellerloch
Außerdem, der mittlerweile dritte aus Leipzig angereiste Gast in Hamburg neben Haifisch und Turek wartete, und zwar Ralph Niese. Gemeinsam liefen wir zu seiner Ausstellung mit dem Titel „The Young Time Traveller's Den“. Der strahlende Sonnenschein, der mich selbst im lichtdurchfluteten Kölibri dazu nötigte, meine Sonnenbrille nicht abzunehmen, was wiederum Carlsen-Pressefrau Claudia Jerusalem-Groenewald zu der Bemerkung (und mich zur Besorgnis) veranlasste, man würde mich trotzdem erkennen, war nun einem diffusen Licht gewichen, welches mich bestens auf Nieses Bildergruft der Absonderlichkeiten einstimmte.
Wie schon bei Anna Haifisch, die übrigens zusammen mit Niese studiert hat, war der olfaktorische Aspekt hier im Vordergrund; jedoch, man muss es so sagen, hier machte das durchaus gesamtkünstlerischen Sinn, denn die Souterrainlage – was vornehm ein runter gerocktes Kellerloch umschreibt – passte nebst Ambiente mit teil unverputzten Mauern hervorragend zum Schundkosmos des Künstlers.
Der zeigt sich als beeinflusst von US-amerikanischen Künstlern wie beispielsweise Brandon Graham, James Stokoe oder Sloane Leong; eine Generation, die wiederum in Folge des Konsums von zu extremer Übertreibung neigenden Image-Comics der neunzehnhundertneunziger Jahre, aber auch der ersten Ausgaben des „Heavy Metal“-Magazins sowie von Manga-Importen, merkwürdige organische Bildwelten mit phantastischem Charakter generiert.
Zu Nieses Fans zählt außerdem Michel Fiffe, der ihm stilistisch mitunter recht nah steht, was insbesondere bei einigen Kolorationen zu beobachten ist. Und auch Z-Movie-Trash-Opern wie „Space Riders“ von Alexis Ziritt and Fabian Rangel Jr. passen in dieses Umfeld: Niese hatte für die Serie 2015 ein Variant-Cover angefertigt.
Ein weiterer Anstoß, so zu arbeiten, wie er eben arbeitet, war der britische Comic-Autor Pat Mills, der sich früher Trailer-Shows von populären Filmen ansah, und dann deren sensationsheischend angerissene Inhalte weiter ausfantasierte, um diese in seinen Comics zu verbraten. „Marshal Law“ ist übrigens Nieses Favorit; ich kontere mit „Nemesis“, aber den kennt der junge Zeitreisende nicht.
Wer das vom Chrononauten verfasste „Maximo Problemo“, erhältlich auf dem diesjährigen Comic-Salon in Erlangen, gelesen hat, begreift wie Niese im Sinne von Mills vorgeht: Mit Vorliebe stürzt er sich auf ein bereits populärkulturell erprobtes Franchise, führt es durch Übertreibung und Brechung ins Absurde, um mit einer neuen Deutung in den Sonnenuntergang davon zu reiten. Was er in seiner Fledderung der TV-Serie „ALF“ aus Familienvater Willie Tanner a.k.a. Max Wright macht, geht schon in Richtung von „Kranke Comics“ eines Klaus Cornfield, wenn auch nicht ganz so radikal tabu-brechend – kurz vor der analen Vergewaltigung Wrights/Tanners bricht Niese gnädig ab; da hätte Cornfield erst voll aufgedreht.
Erstaunlich aber schon, dass die spontane Antwort nach dem Lieblingscomic des Künstlers mit „Ed The Happy Clown“ des professionellen Onanisten Chester Brown beantwortet wurde, eine Antwort, mit der ich eher nicht gerechnet hätte. Auf Nieses Gegenfrage, ob ich denn den von ihm in Erlangen erworbenen Comic inzwischen gelesen hätte, musste ich verschämt auf meinen Stapel der Schande und Vorzugsbehandlung für zu rezensierende Werke aus existenziellen Gründen verweisen, versprach aber, die Lektüre im Rahmen dieses Artikels nachzuholen.
Und diese war durchaus lohnend! Hier sieht man, was man mit Kenntnis der erzählerischen Mittel aus einer Geschichte herausholen kann, wenn diese nur wohldosiert eingesetzt werden. Die Doppelseite, welche den Titel der Story offenbart, lässt Max Wright in Richtung eines im aufgehenden Sonnlicht liegenden Torbogens laufen, während seine Silhouette einen langen Schatten wirft – ein schöner Kommentar auf Nieses Modus Operandi des Verwendens der Figurenbiografie bei deren gleichzeitiger Überschreibung. In diesem Schatten ist der Titel der Geschichte zu lesen, der noch ein „Fistful Fumetti presents“ mittels eines Schildes verpasst bekommt, welches von zwei in die Gegenrichtung laufenden Männern getragen wird, was eine zusätzliche Dynamisierung im Bildaufbau bewirkt.
Ja, Ralph Niese mag italienische Trashcomics, mit seinen Ideen findet er sich aber nicht in der deutschen Comicszene wieder. „U-Comix“ sind ihm zu altbacken, weil irgendwo in den neunzehnhundertachtzigern hängengeblieben. In Anthologien zu veröffentlichen, was seinem Hang zur kürzeren Form eigentlich entgegenkäme, fällt somit flach; vielleicht wären Weissblech-Comics, einer der wenigen auf Genrestoffe spezialisierten Verlage, eine Option. So bleibt letztlich vermutlich nur die digitale Distribution, oder es passiert mal der seltene Glücksfall, dass bei einem Verlag wie Buddelfisch „The Young Time Traveller Calendar 2015“ herauskommt, der das Format des Kalenders als erzählerisches Experiment in Form von Kurzcomics nutzt.
Alles Kuti
Ich muss jetzt aber unbedingt aus diesem Erdloch raus, und bedanke mich für die ausführliche Konversation. Mit dem letzten Rest Sauerstoff nehme ich noch eine im Nebenraum gelegene Mini-Ausstellung von Jens Cornils mit, der sehr raum- und luftlassend (schnapp) auf großzügig gestalteten Seiten seine sehr visuellen und damit textarmen Narrativen gehorchenden Geschichten erzählt, was einiges hermacht und einen schönen Kontrast zu Nieses bis auf den letzten Millimeter zugepflasterten Wänden bildet. Und die Sammelausstellung „Comics und Bildergeschichten – Adaption, Übertragung, künstlerische Geiselnahme“ von Studierenden der Hochschule für Angewandte Wissenschaften kann ich mir nach einer Überdosis Niese getrost schenken.
Auf dem Weg zur Ausstellung „10 Jahre Comicfestival Hamburg“ beschäftigt mich die Frage, wie Comic-Künstler in Deutschland heute ihren Weg machen können. Interessanterweise gehen Niese und Haifisch den Weg über die USA, beide haben dort angedockt: Niese bei Boom, Haifisch bei Vice. Nun gut, der Osten Deutschlands war ja auch lange genug vom kapitalistischen Endgegner abgeschnitten.
Im Vorfeld des Ausstellungsbesuches zum Jubiläum des Festivals hatte ich mit Vorstandsmitglied Heiner Fischer, der einzigen personellen Konstante im Organisationsteam seit dem erstmaligem Ausrichten des Festivals 2006, gesprochen. Auf meine Frage, wie so ein auffällig trashlastiger Künstler wie Niese derart prominent im Festival-Line-Up gelandet ist, das doch in den Vorjahren eher auf Kunstcomics und das Zeug, das sich gern als Graphic Novel vermarkten lässt, fokussiert war, antwortet Fischer, er möge Niese, und habe ihn deshalb vorgeschlagen, außerdem sehe er diesen Paradigmenwechsel eher nicht.
Sascha Hommer, mittlerweile aus Zeitgründen nicht mehr im Bereich der Festivalorganisation tätig, organisiert demnächst an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg einen Workshop zum Thema „Genre vs. Comics“. Worum es denn da ginge, möchte ich vom Reiseschriftsteller der Herzen wissen, nachdem ich ihm ein Exemplar von Sarah Burrinis „Das Leben ist kein Ponyhof“ als Belohnung für seine Ausführungen in Aussicht gestellt habe.
Sofort bekomme ich einen 1A-Vortrag verpasst und denke so bei mir, der Mann ist drin im Stoff!
Es prasseln auf mich ein: „generische Merkmale“, „Affirmativ“, „Brechung“ et cetera pp. Seine fürsorgliche Nachfrage, ob ich auch alles verstanden hätte, bejahe ich und hoffe inständig, dass Kollege Frisch die gleichen Fachtermini in seinem Aufsatz zum Thema „Genre“ verwendet hat. Hommer scheint den zuvor ausgelobten Ponyhof-Band vergessen zu haben, also mache ich, dass ich wegkomme.
Das Bild verschwimmt, und nach dieser kleinen Rückblende tauche ich wieder direkt gegenüber vom ersten von mir am Morgen besuchten Anlaufpunkt auf. Dort ist nämlich die Jubiläumsausstellung untergebracht.
Das Wetter trübt sich erneut ein, ein weiterer Kurzbesuch beim Bäcker meines Vertrauens bringt genießbaren Kaffee und eine leichte Hyperglykämie mit sich. In der Leistungsschau des Festivals wird der historische Verlauf nach Jahreszahlen geordnet und auf Tafeln dokumentiert, garniert mit vielen Fotos und Plakaten aus der zehnjährigen Geschichte der Veranstaltung; leider hängen manche Exponate arg hoch. Es gibt auch fesche Originale und Drucke zu erwerben, aber in weiser Voraussicht hebe ich mein Geld für die „Kuti Kuti“-Schau ganz in der Nähe auf; unter dem Titel „Tempora Mutantur“ feiert das finnische Comic-Kollektiv dort ebenfalls sein zehnjähriges Jubiläum.
Neben Ralph Nieses Kellerparade ist die finnische Bildergalerie sicher die eindrucksvollste, zumindest von denen, die ich aufsuchen konnte. Und zufälligerweise hat man hier auch einen Strip namens „Time Traveller Sexi“ von Jyrki Nissinen im Angebot.
Jetzt zahlt sich auch meine finanzielle Zurückhaltung beim vorherigen Haltepunkt aus: Kuti Kuti offerieren nämlich einen luxuriösen Hardcoverband im Überformat, welcher sämtliche der dort ausgestellten Original-Einzelseiten in gesammelter Form präsentiert. Allein vor der wunderschönen und in eleganten Rundungen angelegten Seite von Mari Ahokoivu könnte ich stundenlang stehen, um die Details des Originals mit denen der endgültigen und kolorierten Druckfassung vergleichen; allein, es fehlt die Zeit.
Die Finnen zeigen sich wie immer als Künstler von Format, deswegen wohl auch der Hang zur ausladenden Printpräsentation. Man braucht sich nur die monströsen “Finnish Comic Annuals“ anzusehen, deren vierte Ausgabe übrigens von Sascha Hommer mit herausgegeben wurde und die als einziger der Bände auf Deutsch bei Reprodukt erschienen ist. Die von Kuti Kuti verbrochene „Specter“-Ausgabe, von der einzelne Seiten auch bei Niese im Keller liegen könnten, schlägt in Sachen Format allerdings alles: Sie ist 42 cm x 29,4 cm groß.
Was die Frage nach der Präsentation des Mediums aufwirft: Nach der jahrelangen und wahnhaften Konzentration auf das Buchformat, um in den Handel mit selbigen zu gelangen, was in gewisser Weise zu einer Selbstbeschränkung in der Ausdrucksform führte, wäre bei einer Re-Affirmation des Genrebegriffs eventuell ebenso ein Umdenken in der Formatgestaltung angezeigt. Letztlich kann das nur die Stärken des Mediums betonen – auch und gerade gegenüber digitalen Mitbewerbern. Weg vom auf Regalgröße gebrachten Buch, hin zu Heften, Produktionsmittel für die Massen und sündhaft schöne Luxusausgaben, die die Pracht der Zeichenkunst angemessen einfangen können: Credo!
Hatari
Pünktlich zu diesen um meinen Kopf kreisenden gedankenschweren Wolken setzt der erste Nieselregen ein und ich denke so: Schietwetter, hallo Hamburg. Man beschließt den Abend in einem nach einem berühmten Film mit John Wayne und Hardy Krüger benannten Lokal mit entsprechend deftiger Küche, in dem ich James Turek, der auf dem gesamten Festival keinen Spider-Woman-Comic aufzutreiben vermochte, aber gerne mal einen „Alpha Flight“-Comic machen möchte, zum Trost mit Bonmots über Wassertrinker von W. C. Fields aufheitere. Johann Ulrich vom Avant-Verlag unterbreitet mir derweil seine Ansichten über die deutsche Comic-Presse. Dass die Graphic Novel tot sei, habe ich an diesem Tag allerdings nicht nur von ihm gehört. Sein Angebot, mir noch fehlende „Hex“-Hefte zu verkaufen, besiegelt mein Schweigen über die weiteren Details dieses Gesprächs..
Das Essen bezahle ich dann allerdings selbst, bevor ich in den Zug nach Hause einsteige und denke, dass die Bemerkung Heiner Fischers über das zehnte und letzte Comicfestival einer seiner üblichen schlechten Witze war, die ich mir schon seit Jahren anhören muss. Worauf ich glatt einen inhaltsschwangeren Comic verwetten würde. Spider-Woman, anyone?
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