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Walt Disney auf Abwegen: Eine Seite aus Anna Haifischs "Von Spatz".
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Comicfestival Hamburg: Alster-Tuschwasser auf St. Pauli

Noch bis zum 11. Oktober findet das Comicfestival Hamburg statt. Der Schwerpunkt liegt auf dem unkommerziellen und künstlerischen Comic, wird aber nicht zum Dogma erhoben.

Mit einem etwas schlanker wirkenden Programm wartet die diesjährige Ausgabe des Hamburger Comicfestivals auf. Vielleicht liegt das an personellen Veränderungen, so ist der frühere Mitveranstalter Sascha Hommer nur noch in den angebotenen Workshops tätig. Und möglicherweise ist die Finanzierung schwieriger geworden, jedenfalls wird der Carlsen-Verlag nicht mehr als Unterstützer im Programmheft aufgeführt. Dennoch präsentiert der Hamburger Verlag vor Ort Tobi Dahmens Webcomic „Fahrradmod“ in Anwesenheit des Künstlers als Printausgabe. Wenn Sie jetzt einen Damenfahrrad-Kalauer erwarten, sind Sie hier falsch. Dafür wird verraten, dass Isabel Kreitz es Herrn Dahmen gleichtut und ihre neueste Veröffentlichung „Rohrkrepierer“ ebenda signieren wird. Mit seinen gesammelten Sonntags-Strips für den Tagesspiegel, benannt „The Singles Collection“, wird Mawil bei Reprodukt vertreten sein, und am Stand von Rotopolpress ist Anna Haifisch zugegen.

Haie der Großstadt

Haifisch, deren just zum Festival erscheinendes Langformdebüt „Von Spatz“ von einem fiktiven Aufenthalt Walt Disneys in einer psychiatrischen Einrichtung nach einem Nervenzusammenbruch erzählt, beweist nebenbei, dass man zwar von Vorbildern wie Jason oder Lewis Trondheim beeinflusst sein kann, deswegen aber noch lange nicht auf Kreativität verzichten und sich daher mit dem statischen Abspulen von Biografien oder der Aufarbeitung von Folgen repressiver Systeme auf die kollektive deutsche Volkspsyche befassen muss. Okay, es gibt ein klitzekleines Hitler-Bild, aber ansonsten ist alles eher Leben und Sterben in Los Angeles, vor allem was die in Orange und Gelb schwelgende Koloration angeht.

Wut als Triebfeder, mit der es sich gut zeichnen lässt: Eine Seite aus "Seinen Crap" von Berliac.
Wut als Triebfeder, mit der es sich gut zeichnen lässt: Eine Seite aus "Seinen Crap" von Berliac.
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Nicht unterschlagen werden soll der Hinweis auf den bindestrichlos daherkommenden Graphic Novel Salon, dessen Ankündigungsseite leider ebenso eine Angabe zur Urheberschaft der recht beeindruckenden Bildreproduktion von Andrea Ferraris vermissen lässt. Aber möglicherweise klärt sich das während der Gesprächsrunde, wenn es um die laut Festivalseite „Bandbreite dieses packenden Genres“ geht.

Allerdings: Man könnte alternativ zur Graphic Novel Illustrationen zu musikalischen Eintagsfliegen mit erklärenden Texten versehen. Zumindest kommt das im Avant-Verlag erscheinende „Ice Ice Baby“ von Caroline Löbbert und Marcus Lucas praktischerweise gleich zweisprachig daher, was der zu beobachtenden verstärkten Annäherung zwischen Deutschen und Amerikanern auf dem diesjährigen Comicfestival womöglich weiteren Auftrieb verleiht. Nett anzusehen ist es zweifellos, folgerichtig werden also Teile des Werkes ausgestellt, aber kann man dazu ein Tänzchen wagen? Nun, vielleicht klärt sich das später, auf der Festivalparty im Molotowclub am Samstagabend kurz vor Festivalende.

Lieber Burkholder als Shareholder Value

Andy Burkholder trägt einen Teil zur Deutsch-Amerikanischen Freundschaft bei, allerdings ohne den Adolf Hitler zu tanzen. Burkholders Schaffen wirkt auf den ersten Blick wie Gekritzel, offenbart aber auf den zweiten Blick Eleganz und Prägnanz in der Linienführung und stellt eine subtile Attacke auf Comic-Konventionen dar. Das Hauptthema seines ursprünglich als Webcomic und kürzlich bei 2D Cloud gesammelt erschienenen „Qviet“ ist Sex in allen Facetten, von hochkomisch bis tieftraurig. Was den Künstler jedoch weder vom Workshop geben noch vom Vorlesen abhält; Letzteres dann unter anderem zusammen mit Max Baitinger.

Bewegt, aber nicht ergriffen - die Stille in Andy Burkholders "Quiet".
Bewegt, aber nicht ergriffen - die Stille in Andy Burkholders "Quiet".
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Weitere Workshops übernehmen der bereits eingangs erwähnte Sascha Hommer, von dem letztes Jahr ein sehr schönes Heft in der ambitionierten amerikanischen Anthologiereihe „Frontier“ erschien, sowie James Turek, gebürtiger US-Amerikaner und mittlerweile Wahl-Leipziger, der mit „Make My Day“ bereits ein Englisch-Buch für Kinder veröffentlicht hat und zur Entspannung „Tatort“-Folgen in komprimierter Form auf seinem Tumblr nacherzählt. Womit Turek zweifelsfrei ein Beispiel für gelungene Integration im christlich-sozialen Sinne darstellt.

Von der Pampa zur Insel: Kulturelle Aneignung im globalen Dorf

Apropos „Frontier“, dort wurde überdies eine Anna Deflorian gewidmete Ausgabe veröffentlicht, deren Fähigkeiten man in einer Ausstellung bewundern kann, in der sich dem vom Goethe-Institut initiierten internationalen World Transfer-Kulturaustausch gewidmet wird. Daneben sind neben vielen anderen Künstlern auch deutschsprachige Künstler wie Ulli Lust und Reinhard Kleist zu sehen.

Berliac, geboren in Argentinien und inzwischen in Berlin residierend, ist Thema wie auch Kuratierender einer Ausstellung, in welcher der südamerikanische Comic erkundet wird. „Seinen Crap“, so der Titel seiner im Selbstverlag herausgegebenen Heftreihe, der mit „Manga für Erwachsene-Dreck“ nur unzulänglich übersetzbar ist, redefiniert künstlerisches Freischwimmen von Vorbildern als Hassliebe zwischen nüchterner Bestandaufnahme und Auto-Aggression. Dazu gehört die Ausdifferenzierung eines Stils, die den Vorwurf der künstlerischen Aneignung von Stilistiken aus anderen Kulturkreisen bewusst provoziert.

Außerdem empfehlenswert: die Satelliten-Ausstellungen, in denen Thomke Meyer und andere zu sehen sein werden. Meyer hat sicherlich einiges aus Werken, die insularem Kulturschaffen entstammen, verinnerlicht, sieht dabei aber trotzdem recht beeindruckend aus.

Von der Insel in das globale Dorf geht es in der Ausstellung „Comics zur Lage der Welt“, die der Zeitung Le Monde Diplomatique entstammen, darunter ist beispielsweise der nachhaltig wirkende Jesse Jacobs. Weitere Details entnehmen Sie bitte aus der im herausfordernden Layout gestalteten Veranstaltungsübersicht der Online-Programmzeitung, die es vor Ort übrigens ausgedruckt und mit einer eigens dafür produzierten zusätzlichen Comicbeilage geben wird.

Die Website des Comicfestivals Hamburg findet sich hier.

Weitere Artikel unseres Autor Oliver Ristau finden Sie hier.

Niemand ist eine Insel. Ein Bild aus Thomke Meyers Werk, dem eine der Satellitenaustellungen gewidmet ist.
Niemand ist eine Insel. Ein Bild aus Thomke Meyers Werk, dem eine der Satellitenaustellungen gewidmet ist.
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